# taz.de -- Start-up-Unternehmen im Journalismus: Wir fangen dann jetzt mal an | |
> In den vergangenen Jahren gab es so viel Unternehmertum im Journalismus | |
> wie lange nicht. In den USA fallen Gründungen leichter. | |
Bild: Arbeit in den Redaktionsräumen von Republik in Zürich | |
Vor dreieinhalb Jahren habe ich [1][das digitale Magazin Deine | |
Korrespondentin] gegründet. Ein paar Monate vorher war ich in den USA auf | |
Recherchereise. Mein Thema: Die Zukunft des Journalismus. Ich habe Leute | |
von Facebook und der New York Times getroffen, von der Washington Post und | |
BuzzFeed. Vor allem aber habe ich viele Start-up-Gründer kennengelernt. Sie | |
brannten für ihr Projekt und arbeiteten Tag und Nacht daran. Dieser | |
Euphorie konnte ich mich nicht entziehen. Deshalb habe ich ein paar | |
befreundete Auslandskorrespondentinnen gefragt, ob sie Lust hätten, ein | |
Crowdfunding mit mir zu starten. | |
## Die Gemeinnützigkeit | |
Zuvor hatte ich ein halbes Jahr lang zig Stiftungen angeschrieben und um | |
eine Anschubfinanzierung gebeten. Doch ich bekam nur Absagen. Der Grund: | |
Ich bin eine Privatperson. Viele Stiftungen können nur Organisationen | |
fördern. Und ich bin nicht gemeinnützig. Journalismus ist in Deutschland | |
per se nicht gemeinnützig – anders als in den USA. | |
Dort spielen Stiftungen wie die Knight Foundation oder die Melinda and Bill | |
Gates Foundation eine wichtige Rolle zur Finanzierung von journalistischen | |
Projekten. Und auch sonst ist es sehr viel leichter, an Geld zu kommen. Im | |
Markt schwappt jede Menge Risikokapital, das in aufstrebende Start-ups | |
investiert wird. Laut Statistik scheitern zwar sieben von zehn Start-ups, | |
aber die wenigen, die erfolgreich sind, gehen meist richtig durch die | |
Decke. | |
Das hat auch damit zu tun, dass dort ein anderer Unternehmergeist herrscht. | |
Oftmals werden Studierende schon an der Universität ermuntert, ein eigenes | |
Projekt auf die Beine zu stellen und es mal mit einem Start-up zu | |
probieren. In Deutschland haben die meisten JournalistenschülerInnen oder | |
VolontärInnen hingegen noch nie etwas von „Entrepreneurship“ gehört. | |
Außerdem gibt es zehnmal mehr Bedenkenträger als Befürworter. In den USA | |
bekommt man Anerkennung und Zuspruch, wenn man sich selbstständig macht. | |
Hierzulande heißt es oftmals: „Und wie willst du davon leben?“ | |
Und diese Frage ist nicht ganz unberechtigt. Natürlich wollen Gründerinnen | |
und Gründer jede freie Minute ihrem Projekt widmen, aber: Wirft es so viel | |
ab, dass man damit die Miete – und alles andere – bestreiten kann? Alle | |
Gründer, die ich kenne, kämpfen mit diesem Problem. Am Anfang macht man | |
viel ehrenamtlich, weil man dafür brennt. Leidenschaft kennt keinen | |
Feierabend und im Zweifelsfall auch keine freien Wochenenden. Aber nach | |
ein, zwei Jahren merkt man, dass die finanziellen Reserven aufgebraucht | |
sind und die Kräfte nicht ausreichen, das Start-up nebenbei – also neben | |
einem anderen Job – zu machen. Also kündigen und alles auf eine Karte | |
setzen? Unternehmer müssen immer mal wieder Risiken eingehen. Aber die | |
meisten tun sich damit deutlich leichter, wenn sie keinen Kredit fürs Haus | |
abbezahlen und gleichzeitig zwei Kinder durchfüttern müssen. | |
Deshalb liegt es auf der Hand, warum die meisten GründerInnen Anfang 30 | |
sind. Studium – check. Berufserfahrung – check. Familiengründung – erst … | |
Planung. Unter den UnternehmerInnen sind im Übrigen deutlich seltener | |
Frauen vertreten. Ihr Anteil liegt derzeit bei überschaubaren 14 Prozent. | |
In der Medienbranche, in der ich mich bewege, stelle ich übrigens einen | |
deutlich höheren Anteil fest. Fast überall sind Frauen im Gründungsteam. | |
Aber da es grundsätzlich viel mehr Journalistinnen als Programmiererinnen | |
gibt, verwundert das nicht weiter. | |
Das ist übrigens ein weiteres Problem bei Medien-Start-ups: Journalisten | |
wollen in der Regel über ein spezielles Thema berichten und glauben, dass | |
die Welt genau darauf gewartet hat. In Wirklichkeit hat niemand auf dich | |
gewartet. Wenn man vorher eine Umfrage gemacht hätte, ob es überhaupt genug | |
Interesse für das Produkt gibt, hätte man sich in manchen Fällen viel | |
Arbeit erspart. | |
## Das Crowdfunding | |
Einige Start-ups machen einen ersten Markttest, indem sie ein Crowdfunding | |
starten. Und ich würde anhand meiner Erfahrung bei Deine Korrespondentin | |
sagen, dass das eine gute Idee ist. Allerdings kann ein Crowdfunding ganz | |
unterschiedlich verlaufen. Du kannst eine halbe, eine ganze oder gleich | |
mehrere Millionen Euro einnehmen. Das Wichtigste: die Vorbereitung. | |
Diejenigen, die eine phänomenale Kampagne hingelegt haben – wie zum | |
Beispiel das Digitalmagazin Republik aus der Schweiz –, haben das ein Jahr | |
lang vorbereitet. Mehr als 15.000 Unterstützer für ein Projekt zu | |
begeistern, funktioniert nicht von heute auf morgen. Andere wie Perspective | |
Daily traten auf Bühnen auf, um potenzielle Nutzer für ihr Konzept zu | |
begeistern. Der Vorteil dabei: Man kommt raus aus der eigenen | |
Journalistenblase. | |
Deshalb ist die Königsdisziplin im Journalismus meiner Meinung nach nicht | |
mehr die klassische Reportage, sondern das Community Building. Oder anders | |
gesagt: dass man es schafft, Menschen an ein neuartiges Projekt zu binden | |
und davon zu überzeugen, es dauerhaft zu unterstützen. Der Vorteil eines | |
Medien-Start-ups ist: Es kann alles Mögliche ausprobieren und den | |
Journalismus ein Stück weit neu erfinden. Der Nachteil ist: Es gibt keine | |
bewährten Strukturen, keine treue Anhängerschaft. | |
Beides muss man sich erst hart erarbeiten. Und das ist gar nicht so | |
einfach, weil es mittlerweile unzählige Player gibt, die alle um die | |
Aufmerksamkeit der Crowd buhlen. Manche probieren es mit Podcasts, andere | |
mit Webinaren, wieder andere mit analogen Events. Immer geht es darum, den | |
Unterstützer auf seine Seite zu ziehen. Idealerweise gewinnt man sogar | |
Multiplikatoren, die in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis weitere Menschen | |
zum Spenden animieren. | |
## Die Nachhaltigkeit | |
Denn das ist die Währung: Wie gut gelingt es, Spenden einzutreiben? Man | |
kann es Abonnement, Mitgliedschaft oder Verlegerschaft nennen. Am Ende geht | |
es darum, Geld zu bekommen. Und als Nischenmedium bekommt man das im Netz | |
nicht über Anzeigen, sondern über die Crowd. Ich glaube, der Bereich des | |
Live-Journalismus wird dabei immer wichtiger. Auch wir bei Deine | |
Korrespondentin merken, dass die Menschen ein großes Bedürfnis nach | |
besonderen Erlebnissen, nach ausgefallenen Happenings und bleibenden | |
Erinnerungen haben. Wenn man es schafft, ihnen das zu bieten, kommen sie – | |
so meine These – immer wieder. Natürlich bestreitet man nicht nur damit | |
sein Einkommen, aber es kann ein Standbein von mehreren sein. Auch das war | |
übrigens eine Erkenntnis aus den USA: Alle Start-ups haben mindestens drei | |
oder vier Erlösquellen. | |
Auch wir haben vieles im Bereich nachhaltige Finanzierung ausprobiert. Das | |
Mantra „Trial and Error“ gilt für alle. Deshalb haben wir einiges gemacht, | |
das grandios gescheitert ist, wie zum Beispiel unsere Bezahlschranke drei | |
Monate nach dem Start der Seite. Auch das ging auf meine Erfahrungen aus | |
den USA zurück, wo 2014 die meisten Medien eine Bezahlstrategie im Netz | |
hatten. In Deutschland war man davon noch weit entfernt. Deshalb waren wir | |
unserer Zeit einfach voraus. Inzwischen hat fast jedes Medium eine | |
Bezahlschranke. | |
In den vergangenen fünf Jahren ist im medialen Ökosystem vieles in Bewegung | |
geraten. Es gibt großartige Projekte, die neuartigen Content produzieren | |
oder eine bestimmte Nische besetzen. Bislang halten sich die meisten | |
Stiftungen vornehm zurück, wenn es um die Unterstützung dieser zarten | |
Pflänzchen geht. Und auch die Forderung, dass die Öffentlich-Rechtlichen | |
etwas von ihren Gebührengeldern abgeben sollen, halte ich für illusorisch. | |
Das Einzige, das den Medien-Start-ups in Deutschland übrig bleibt, ist, | |
einen langen Atem zu haben und nicht vorschnell aufzugeben. | |
Schmerzt es mich, dass ich nach dreieinhalb Jahren zwar alle laufenden | |
Kosten bestreiten kann, aber meine Arbeit noch immer ehrenamtlich ist? | |
Klar. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind nie schön. Gleichzeitig habe ich | |
irgendwann verstanden, dass es sich bei einem Medien-Start-up um einen | |
Marathon handelt, nicht um einen Sprint. Nicht alle haben die Kraft, das | |
durchzustehen und sich – trotz unzähliger Rückschläge – immer wieder von | |
Neuem zu motivieren. Nimmt man die Mühe allerdings auf sich, wächst man | |
über sich hinaus. Und dass immer mehr Menschen bereit sind, solche Projekte | |
auch finanziell zu unterstützen, macht Mut, finde ich. | |
Jetzt liegt es an den GründerInnen, wie es mit diesem Ökosystem weitergeht. | |
Wir müssen uns viel stärker als bisher vernetzen. Denn: Nur gemeinsam | |
können wir zu einer echten Alternative zu den etablierten Medienhäusern | |
werden. | |
11 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deine-korrespondentin.de/ | |
## AUTOREN | |
Pauline Tillmann | |
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