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# taz.de -- Kohleausstieg und Hambacher Wald: Kampf mit umstrittenen Fakten
> Der Kohleausstieg kostet Jobs, führt zu Strommangel und rettet den
> Hambacher Wald auch nicht: Was ist dran an diesen Argumenten der
> Kohle-Fans?
Bild: Ohnehin nicht zu retten? Was für ein Quatsch!
Bedroht ein früherer Kohleausstieg wirklich „Hunderttausende Jobs“?
Im [1][Mittelpunkt der Gewerkschaftsproteste] gegen einen schnellen
Kohleausstieg steht die Sorge um Arbeitsplätze. „Wir sind laut für unsere
Jobs“ lautet das Motto. Im [2][Aufruftext] schreibt die
Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), eine „einseitige
Klimapolitik“ würde „Hunderttausende“ Jobs gefährden.
Auf eine solche Zahl kommt man aber allenfalls unter der Annahme, dass
infolge des Kohleausstiegs die Strompreise dramatisch steigen und deshalb
große Teile der energieintensiven Industrie das Land verlassen. Direkt an
der Braunkohle hängen weitaus weniger Jobs.
Der Braunkohleverband selbst spricht in seinen Statistiken von knapp 20.000
Menschen, die direkt in den Tagebauen und den von ihnen versorgten
Kraftwerken beschäftigt sind. Berücksichtigt man auch die Beschäftigten bei
Lieferanten, ihre Ausgaben für den privaten Konsum und die Investitionen
der Unternehmen, ergibt sich laut einer aktuellen [3][Studie des Instituts
der Deutschen Wirtschaft] (PDF) im Auftrag des Braunkohleverbands eine
Gesamtzahl von 72.000 Arbeitsplätzen, die von der Braunkohle abhängen und
demnach durch einen Kohleausstieg bedroht wären.
Diese Berechnung ist allerdings umstritten. So berücksichtigt die Studie
nicht, dass infolge eines Kohleausstiegs zwangsläufig andere Formen der
Stromerzeugung zunehmen müssen, also Wind-, Gas- und Solarkraftwerke sowie
Speicher – was mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze einhergeht (wenn auch
nicht notwendigerweise am selben Ort).
Auch die Annahme, dass ehemalige RWE-Mitarbeiter in Zukunft keinerlei
Konsumausgaben mehr tätigen werden, erscheint realitätsfremd. Und die
Arbeitsplätze, die man auch nach dem Ende der Kohleverstromung noch über
Jahrzehnte für die Renaturierung der Tagebaue benötigt, werden ebenfalls
komplett ignoriert.
Andere Studien sehen die Auswirkung auf die Beschäftigung denn auch
deutlich optimistischer. So kommt etwa das Freiburger Öko-Institut in einer
[4][Analyse für das Umweltbundesamt] zu dem Schluss, dass auch ein
beschleunigter Kohleausstieg, wie er zur Erreichung der deutschen
Klimaschutzziele erforderlich ist, weitgehend ohne betriebsbedingte
Kündigungen erfolgen könnte. Grund ist die ungewöhnliche Altersstruktur in
der Kohlebranche: Fast zwei Drittel der Beschäftigten in den Tagebauen
werden bis zum Jahr 2030 ohnehin in den Ruhestand gehen.
Gefährdet der Kohleausstieg tatsächlich die Versorgungssicherheit?
Ein weiteres zentrales Argument, das regelmäßig gegen einen schnellen
Kohleausstieg (also etwa bis zum Jahr 2035) vorgebracht wird, ist die
Versorgungssicherheit. Auch bei der Demonstration am Mittwoch wird wieder
vor einem „Blackout“ gewarnt. Wenn sowohl Atom- als auch Kohlekraftwerke
abgeschaltet sind, gebe es nicht genug Strom, wenn die Sonne nicht scheint
und der Wind nicht weht, so die Befürchtung. Und diese ist nicht ganz
unberechtigt.
Denn auch wenn Deutschland derzeit massive Überkapazitäten im Strombereich
hat und ein Teil der Kohlekraftwerke problemlos abgeschaltet werden könnte,
sieht es bei einem vollständigen Ausstieg anders aus. Zwar kommen mehrere
Studien verschiedener Forschungsinstitute zu dem Schluss, dass ein
[5][Kohleausstieg bis 2035 möglich] ist. Doch um die Stromversorgung
jederzeit sicherstellen zu können, müssen – neben einer Flexibilisierung
vorhandener Biomassekraftwerke und dem Bau von Speichern – voraussichtlich
auch neue Gaskraftwerke entstehen.
Diese sind aber zum einen klimafreundlicher als Kohlekraftwerke, weil sie
pro Kilowattstunde im Vergleich zu Braun- oder Steinkohlekraftwerken nur
ein Drittel bzw. die Hälfte an CO2 produzieren. Zum anderen sind
Gaskraftwerke sehr viel flexibler und können damit gezielt nur dann
zugeschaltet werden, wenn sie wirklich gebraucht werden. Und langfristig,
wenn auch fossiles Erdgas aus Klimaschutzgründen ersetzt werden muss,
können sie auch mit Gas betrieben werden, das synthetisch aus Ökostrom
erzeugt wird.
Ist der Hambacher Wald wirklich „ohnehin nicht zu retten“?
Als Reaktion auf die erfolgreichen Proteste zur Rettung des Hambacher
Waldes, dessen Abholzung für den Braunkohletagebau Hambach vom Gericht
vorläufig gestoppt wurde, behaupten der RWE-Vorsitzende Rolf Martin Schmitz
und der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis in großer Einmütigkeit, dass
der Wald in keinem Fall zu retten sei. Selbst wenn der Kohleabbau in
Hambach komplett eingestellt würde, müsste der Wald gerodet werden.
„Wir brauchen diese Erdmassen, um die Böschungen dauerhaft zu
stabilisieren“, sagt Schmitz. „Die sind so steil, dass sie abgeflacht
werden müssen.“ Hintergrund ist, dass die riesige Tagebaugrube nach dem
Ende des Betriebs in einen See verwandelt werden soll, und dessen
Böschungen dürfen nicht so steil sein, dass sie ins Rutschen geraten
können.
Dem widerspricht der [6][Umweltverband BUND in einer eigenen Studie]
ausdrücklich – und zwar unter Bezug auf Angaben von RWE selbst. Denn das
Unternehmen geht in seinen Planungen davon aus, dass die Böschung des Sees
eine Neigung von 1 : 5 haben wird. Derzeit ist die dem Wald zugewandte
Seite der Grube mit einer Neigung von 1 : 8 allerdings deutlich weniger
steil. Ein Abbaggern des Waldes aus Stabilitätsgründen ist demnach nicht
notwendig; vielmehr könnte RWE allein durch eine Versteilung der Böschung
sogar noch vier Jahre Kohle fördern, ohne die Abbaukante zu verschieben
oder die Stabilität des späteren Sees zu gefährden.
26 Oct 2018
## LINKS
[1] /Kohle-Jobs-nach-Hambach-Protest/!5541067
[2] https://alsdorf.igbce.de/demo-24-10-2018-bergheim/174400
[3] https://braunkohle.de/index.php?article_id=98&fileName=zusammenfassung_…
[4] https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/beschaeftigungsentwicklung-in-…
[5] /Think-Tank-fordert-schnellen-Ausstieg/!5545710
[6] https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/braunkohle/2018_10_23_BUND_…
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
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