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# taz.de -- Zahlen aus der Wissenschaft: Meinungsstark und faktenschwach
> Das ifo-Institut hat Wirtschaftsprofessoren zum Kohle-Ausstieg befragt.
> Deren Antworten zeigen vor allem eins: dass viele von ihnen vom Thema
> wenig verstehen.
Bild: Beim Thema Kohle ist es nicht immer einfach, den Durchblick zu behalten
Berlin taz | Dass man es mit Zahlen und Fakten nicht sonderlich genau
nehmen muss, um mit einer starken Meinung in die Öffentlichkeit zu gehen,
haben die berühmten 107 Lungenärzte kürzlich ja eindrücklich bewiesen. Doch
auch in anderen Disziplinen gibt es eine Tendenz, sich zu Themen zu äußern,
bei denen man die aktuelle Debatte offensichtlich nicht wirklich verfolgt.
So hat das Münchener ifo-Institut am Dienstag eine [1][Umfrage] unter 143
deutschen Wirtschaftsprofessoren veröffentlicht, die sich zum Kohleausstieg
äußern. Den sehen die Ökonomen überwiegend skeptisch: So sind 42 Prozent
der Befragten der Meinung, dass durch den deutschen Kohleausstieg die
CO2-Emissionen in Europa nicht sinken werden. Auch Professor Niklas
Potrafke, Leiter des ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische
Ökonomie, sieht das so: „Wenn sich an den Zertifikaten zur CO2-Emission in
der EU nichts ändert, werden andere Länder vermutlich mehr ausstoßen“, sagt
er zur Begründung.
Eigentlich ist das ein guter Punkt: Wenn durch nationale Einsparmaßnahmen
in einem Land CO2-Zertifikate frei werden und mit diesen dann der Ausstoß
in anderen Ländern steigt, bringen nationale Maßnahmen tatsächlich nicht
viel. Das hat aber mittlerweile auch die EU gemerkt – und die Regeln darum
geändert: Nationalstaaten können künftig eine entsprechende Menge an
CO2-Zertifikaten löschen, wenn sie Kraftwerke stilllegen.
Die Kohlekommission empfiehlt ein solches Vorgehen in ihrem
Abschlussbericht (in diesem [2][pdf] auf Seite 75) ausdrücklich. Und
Zweifel daran, dass das passieren wird, sind unbegründet. „Natürlich werden
wir von dieser Möglichkeit Gebrauch machen“, sagt ein Sprecher von
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD).
Doch nicht nur in diesem Punkt belegt die Umfrage des ifo-Instituts vor
allem, dass deutsche Wirtschaftswissenschaftler die aktuellen Entwicklungen
in der Klimapolitik nicht verfolgen. Auch ihre Erwartungen zur künftigen
Strompreisentwicklung zeigen eine gewisse Distanz zur Realität.
Erstaunlich ist dabei nicht, dass 65 Prozent der befragten Professoren
aufgrund des Kohleausstiegs mit steigenden Strompreisen rechnen. Sondern in
welcher Höhe sie diese erwarten: 19 Prozent glauben an einen Anstieg bis zu
10 Prozent; 28 Prozent erwarten einen Anstieg von 11 bis 25 Prozent, 15
Prozent gehen von Preissteigerungen von 26 bis 50 Prozent aus, und 3
Prozent erwarten sogar, dass die Preise um mehr als 50 Prozent steigen.
## Prognosen nicht nachvollziehbar
Zur Einordnung hilft ein Blick auf [3][Zahlen] des Bundesverbands der
Deutschen Industrie. Der warnt ebenfalls vor steigenden Strompreisen durch
den Kohleausstieg und steht nicht im Verdacht, diese kleinzurechnen. Der
BDI erwartet, dass der Strompreis an der Börse durch den Kohleausstieg bis
zum Jahr 2030 um 0,4 Cent pro Kilowattstunde steigt. Im denkbar
ungünstigsten Fall wären auch 1,4 Cent möglich. Für private Verbraucher
würde das einen Preisanstieg um knapp 5 Prozent bedeuten, für die Industrie
im Schnitt um 8 Prozent.
Dass das ifo-Institut sich mit merkwürdigen Äußerungen gegen die
Energiewende positioniert, ist übrigens nicht neu. Der ehemalige Präsident
des Instituts, Hans Werner Sinn, [4][meinte schon 2015], die deutsche
Energiewende habe „das mögliche Maß erreicht“. Seitdem ist der Anteil der
erneuerbaren Energien im deutschen Strommix von 27 auf 38 Prozent
gestiegen.
27 Feb 2019
## LINKS
[1] http://www.cesifo-group.de/de/ifoHome/presse/Pressemitteilungen/Pressemitte…
[2] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/abschl…
[3] https://e.issuu.com/embed.html#2902526/67225037
[4] /!5008063/
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
Schwerpunkt Klimawandel
Energiewende
Kohleausstieg
Strombörsen
BMBF
Kohlekommission
Strompreis
Dieselskandal
RWE
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