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# taz.de -- Kommentar Nach Chemnitz und Köthen: Nazis und Rechte klar benennen
> Man dürfe nicht pauschalisieren, heißt es oft. Doch das ist auch ein
> Propagandainstrument. Es schützt jene, die in der Grauzone verharren
> wollen.
Bild: Deutschland? Da darf man auch nicht pauschalisieren …
Da darf man nicht pauschalisieren, man muss das sehr differenziert
betrachten! Wie oft haben wir uns diesen Satz in den vergangenen Wochen
anhören müssen, wenn es um rechtsextreme Umtriebe in diesem Land ging. Denn
Pauschalisieren, das wird uns von interessierter Seite einzutrichtern
versucht, Pauschalisieren ist grundsätzlich schlecht. Und wer nicht
differenziert, das ist die unweigerliche Folge, hat im politischen Diskurs
schon verloren.
Nur: So einfach ist es nicht. Das pauschale Verdammen von
Pauschalisierungen ist zu einer beliebten Methode geworden, mit der
unbequeme Wahrheiten abgewehrt werden sollen. Vermeintliche
Differenzierungen wiederum dienen häufig dazu, die Wirklichkeit so
aufzuweichen und in Einzelheiten verschwimmen zu lassen, dass am Ende schon
irgendwas hängen bleibt, auch wenn es faktisch nicht stimmt.
Das soll kein Plädoyer sein, nicht genau hinzuschauen und die Sachlage im
Detail zu analysieren. Gerade wer genau hinschaut, entdeckt am Ende ein
Muster, auf dessen Grundlage er eine klare Bewertung äußern kann. So ist
das etwa – um ein aktuelles politisches Beispiel anzuführen – wenn man sich
anschaut, wie es sich mit dem Rechtsextremismus in Sachsen verhält.
Nach eingehender, auch vergleichender, Analyse kann und darf und sollte man
vielleicht auch ganz pauschal sagen: Sachsen hat ein Naziproblem. Wer das
jetzt als pauschales „Sachsen-Bashing“ abtut und eine Differenzierung
einfordert, will vor allem eines: Verharmlosen und von den real
existierenden Problemen ablenken. (Dass nicht alle in Sachsen Nazis sind,
muss an dieser Stelle nicht betont werden, denn das hat nichts mit
Differenzierung zu tun, es handelt sich schlicht um: Logik.)
## Doch: In Chemnitz wurden Menschen gejagt
Das beste Beispiel dafür, wie Differenzierungen benutzt werden, um ein
Problem wegzudifferenzieren, ist die Debatte über das, [1][was am 26.
August und den Folgetagen in Chemnitz passiert ist.] Die rassistischen
Übergriffen auf vermeintlich ausländisch aussehende Menschen seien keine
Hetzjagd gewesen, keine Menschenjagd, allerhöchstens seien möglicherweise
Jagdszenen zu sehen gewesen, betonen die Differenzierer von rechts außen –
und klingen so, also hätten sie sich extra Stoppuhr und Maßband besorgt, um
nachzumessen und so belegen zu können, dass alles nicht so schlimm war.
Vor lauter Wortbeiträgen von Hobbysemantikern droht unterzugehen: Es wurden
in Chemnitz Menschen gejagt, nur weil sie aussehen, wie es manchen nicht
gefällt, dass sie aussehen. Aber bitte nicht pauschalisieren! Es mussten ja
schließlich nicht alle schwarzen Menschen wegrennen! Es gab sogar welche,
die nicht mal verbal angegriffen wurden! Und manche der Angreifer haben
sogar selbst ausländische Freunde!
Pauschale Aussagen schaffen Klarheit in der Bewertung, weil sie klare
Grenzen aufzeigen.
Wenn zum Beispiel Hunderte durch Kleidung, Verhalten und teils auch
aufgrund ihrer Gesichtsbekanntheit unzweifelhaft als Nazis zu erkennende
Menschen durch eine ostdeutsche Kleinstadt ziehen und volksverhetzende
Reden gehalten werden, dann ist das: eine Nazidemo. Man könnte sogar sagen,
dass bei dieser Demo Nazis demonstrieren.
Jetzt werden gleich wieder welche protestieren: Bloß nicht
pauschalisieren!, begleitet von der Forderung, dass man doch differenzieren
müsse. Und dass am Sonntag in Köthen nicht alle Demo-Teilnehmer*innen Nazis
waren, sondern dass vielleicht auch besorgte Bürger*innen auf die Straße
gingen, die schlicht ihrer Trauer Ausdruck verleihen wollten.
## In die rechte Ecke stellt man sich schon selber
Es mag stimmen, dass nicht alle dieser Menschen einen Nazigrundkurs beim
NPD-Bildungswerk absolviert oder einen Bachelor in angewandter Rassenkunde
an der Bernd-Höcke-Fernhochschule erlangt haben.
Aber eine solche Ausdifferenzierung lenkt vom eigentlichen Problem ab:
[2][Es haben in Köthen Nazis demonstriert und unüberhörbar volksverhetzende
Reden gehalten.] Wer nicht mit Nazis, die Naziparolen grölen, in einen Topf
geworfen werden will (auch so eine beliebte Formulierung), der soll halt
weggehen. In die rechte Ecke stellt man sich schon selber.
Und ob die Nazis wie in Köthen „Nationalsozialismus jetzt!“, „National,
Sozialismus, jetzt!“ oder „Nationaler Sozialismus jetzt!“ rufen, sollte m…
zwar als Journalist*in korrekt zitieren, einen Unterschied macht es am Ende
aber allenfalls für Fachleute. Entscheidend ist doch: Es sind dort auf der
Straße Menschen unterwegs, die sich die NS-Diktatur zurückwünschen.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass Nazis und Naziunterstützer*innen die
Grenzen des Sagbaren verschieben. Und Differenzierung – auch das ist in
diesen Tagen offenkundig – scheint ohnehin nur wichtig zu sein, wenn sie
den eigenen Interessen dient.
## Maaßen differenziert Dinge, die nicht zur Debatte stehen
Wenn etwa der Chef des „Bundesverfassungsschutz“ genannten
Inlandsgeheimdienst [3][Hans-Georg Maaßen] wie ein oberfleißiger
Deutschlehrer die Begriffe „Hetzjagd“ und „Authentizität“ auseinandern…
bekommt er Applaus von der „Ich habe nichts gegen Flüchtlinge,
aber“-Fraktion. Und wenn er von einem „Mord“ in Chemnitz spricht statt von
einem „mutmaßlichen Totschlag“, schweigt sie. Dabei ist zumindest dieser
Unterschied ganz klar juristisch definiert.
Am schlimmsten ist es, wenn etwas differenziert wird, was eigentlich gar
nicht zur Debatte steht. Auch hier hat sich Maaßen in dieser Woche
hervorgetan, indem er ein Video, seine Beschriftung und dessen Quelle zum
Maß aller Bewertungen erhebt, obwohl die Frage eine ganz andere ist.
Die Frage ist nämlich, was in Chemnitz passiert ist und wieso Maaßen
behauptete, es würden mit einem mutmaßlich gefälschten Video gezielt
Falschinformationen gestreut. Maaßen hat sich hier der Methode bedient, die
jüngst vor allem AfD-Politiker*innen perfektioniert haben: Erst provokante
Aussagen raushauen und diese dann aufgrund von Gegenwind mit kleinteiliger,
vermeintlicher Differenzierung, die in Wahrheit eine Lüge ist, teilweise
wieder einzuholen versuchen.
Die Differenzierung als Propagandainstrument zu benutzten, kann erfolgreich
sein, weil Nachrichtenmeldungen hinsichtlich Länge und Komplexität begrenzt
sind und die Aufmerksamkeitsspanne der Rezipient*innen kurz. Wenn sich die
Dinge im ausdifferenzierten Klein-Klein verlieren, wenden sich schnell die
Ersten ab und sagen, sie wüssten gar nicht mehr, was nun eigentlich stimme.
## Falsche Fakten und abstruse Verschwörungstheorien
Und dann retten sie sich häufig in die Feststellung: Die Wahrheit liegt in
der Mitte! Das aber stimmt nicht. Die Wahrheit mag oft irgendwo dazwischen
liegen, aber nahezu nie in der Mitte, schon gar nicht, wenn eine Seite
falsche Fakten oder gar abstruse Verschwörungstheorie in die Debatte
einführt, wie es zurzeit auch in der Politik viel zu häufig geschieht.
Stichwort „Grenzöffnung“, „todbringende Messermigration“, „Umvolkung…
Wenn Person A sagt, die Erde sei eine Kugel, und Person B entgegnet, sie
sei eine Scheibe, ist die Erde in Wahrheit keine Halbkugel. Nicht nur in
diesem Fall muss man pauschal sagen: Das ist totaler Unsinn. Das mag
undifferenziert sein, ist aber richtig.
16 Sep 2018
## LINKS
[1] /Chemnitz/!t5027409
[2] /Rechtsextremer-Trauermarsch-in-Koethen/!5534278
[3] /Hans-Georg-Maassen/!t5007569
## AUTOREN
Sebastian Erb
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