# taz.de -- Neue Proteste in Köthen: Bürger sollen Jalousien runterlassen | |
> In Köthen rufen rechte und rechtsextreme Gruppen am Sonntag zu neuen | |
> Protesten auf. Politik und Hochschule raten davon ab, in die Stadt zu | |
> gehen. | |
Bild: Die Köthener sollen die Augen vor dem rechten Mob verschließen – als … | |
Die Warnung ist deutlich. „Wir bitten um Vorsicht“ schreibt die Leitung der | |
Hochschule Anhalt. Sie empfiehlt ihren Studierenden auf ihrer Homepage, am | |
Sonntagnachmittag in Köthen „großzügig Straßenbereiche zu meiden“. Die | |
Nummer einer eigenen Hotline und die der Polizei werden gleich mit | |
angegeben. Der Grund „potentiell gefährliche Demonstrationen“. | |
Am frühen Sonntagabend wollen mehrere rechte Gruppen in der Kleinstadt in | |
Sachsen-Anhalt aufmarschieren. Knapp 2.000 ausländische Studierende sind | |
dort an der Hochschule mit ihren drei Standorten Bernburg, Dessau und | |
Köthen eingeschrieben. | |
Nachdem am vergangenen Sonntag organisierte Rechtsextreme erfolgreich zu | |
einer spontanen Demonstration in Köthen aufgerufen hatten, versuchen nun | |
auch weitere Gruppen, von der AfD über Pegida bis in die neonazistische | |
Kameradschaftsszene, den Tod von Markus B. zu instrumentalisieren, [1][der | |
in Köthen ums Leben kam]. | |
Der 22-Jährige soll versucht haben, einen Streit zwischen mehreren Afghanen | |
zu schlichten. Zwei von ihnen sitzen in Untersuchungshaft. Laut eines | |
Obduktionsberichts starb B., der eine Herzerkrankung hatte, an einem | |
Herzinfarkt. Vorangegangen war dem aber offenbar eine Auseinandersetzung | |
auf einem Spielplatz in Köthen. | |
## Innenminister empfiehlt, die Augen zu verschließen | |
Am Freitag hatte der Rechtsmediziner Rüdiger Lessig in Halle die | |
Todesursache bekannt gegeben und erklärt, das B. von Geburt an einer | |
Fehlbildung des Herzens litt: „Er war schwer krank und wir müssen aus | |
medizinischer Sicht sagen: Es hätte bei ihm jederzeit zu einem Herzinfarkt | |
kommen können.“ | |
Bereits am vergangenen Sonntag, wenige Stunden nach dem Tod des Mannes, | |
hatte zunächst die Kirche in Köthen zu einer Trauerandacht gerufen, dann | |
auch der Bürgermeister des Ortes. Beide riefen dazu auf, den Tod des | |
Menschen nicht zu instrumentalisieren. Am vergangenen Sonntagabend dann | |
hatten rechte und rechtsextreme Gruppen zu einem „Trauermarsch“ in Köthen | |
aufgerufen, dem sich nach – großzügig geschätzten – Polizeiangaben bis zu | |
2.500 Menschen anschlossen, unter ihnen hunderte offen Rechtsextreme. In | |
Redebeiträgen ging es um die Asyl- und Einwanderungspolitik. Ein Redner | |
sprach von einem „Rassenkrieg gegen das deutsche Volk“ und rief dazu auf, | |
„von Tür zu Tür“ zu gehen, um sich zur Wehr zu setzen. Gegen ihn und | |
weitere Redner [2][ermittelt die Polizei] inzwischen wegen Volksverhetzung. | |
„Getötet, verleugnet, vergessen – wie oft noch?“ heißt es nun im Aufruf… | |
den neuerlichen Protesten in Köthen, die für Sonntagabend geplant sind. Die | |
Aktion wird getragen von rechten und rechtsradikalen Initiativen wie | |
Pegida, dem nationalistischen Magazin „Compact“, der Bewegungen „Ein | |
Prozent“ und „Zukunft Heimat“. Diese seien nicht bereit, die | |
„Kollateralschäden eines fatalen Gesellschaftsexperiments in Kauf zu | |
nehmen“, so das Bündnis, das auch aus der AfD unterstützt wird. Trauer hört | |
sich indes anders an. | |
In einen Interview hat Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) den Bürger in | |
Köthen unterdessen empfohlen, heute abend zu Hause zu bleiben und die | |
Rolladen herunterzulassen. „Nicht, weil wir die Sicherheit nicht | |
gewährleisten können, sondern um ein Zeichen zu setzen, dass man die nicht | |
sehen will“, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung. | |
## Rechts sollen nur die anderen sein | |
In der Empfehlung schwingt die Annahme mit, das aus der Stadt selbst keinen | |
rechten Personen anlässlich des Todes von B. agieren würden. Das ist eine | |
Wahrnehmung, die von einem breiten Bündnis gegen den Aufmarsch so nicht | |
geteilt wird. | |
Mehrere Initiativen, unter anderem „Halle gegen Rechts – Bündnis für | |
Zivilcourage“, das „Bündnis Dessau Nazifrei“ und das „Bündnis Querfur… | |
Weltoffenheit“ haben unter dem Motto „Den extremen Rechten entgegentreten �… | |
für eine offene und plurale Gesellschaft“ [3][zum sichtbaren Gegenprotest] | |
aufgerufen. Im Aufruf, den auch Grüne und Linke unterstützen, heißt es: | |
„Jede weitere Verharmlosung der Ereignisse eröffnet der extremen Rechten | |
weitere Spielräume, jede weitere Relativierung verhindert zu verstehen, was | |
sich hier gesellschaftlich und politisch entwickelt.“ | |
Das Bündnis stört sich daran, dass die hohe Beteiligung der Rechtsextremen | |
in Stadt- und Landespolitik herunter geredet würde. Die Aktionen würden von | |
diesem Personenumfeld dominiert. „Dass sich an den Aufmärschen [4][auch | |
Bürgerinnen und Bürger beteiligt] haben, die sich selbst nicht der | |
rechtsextremen Szene zugehörig fühlen, macht die Aufmärsche nicht weniger | |
gefährlich“ , heißt es so auch in dem Aufruf. Zum erwarteten Zulauf der | |
Demonstrationen wollte die Polizei bisher keine Angaben machen. | |
Von den Ereignissen in Köthen berichtet taz-Reporter [5][Martin Kaul] heute | |
im Livestream via Periscope und auf [6][Twitter] | |
16 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Nach-Streit-in-Sachsen-Anhalt/!5534126 | |
[2] /Rechtsextremer-Trauermarsch-in-Koethen/!5534278 | |
[3] /Jugendarbeiter-ueber-Rechtsextremismus/!5535324 | |
[4] /Kommentar-Nach-Chemnitz-und-Koethen/!5531991 | |
[5] http://www.periscope.tv/martinkaul | |
[6] http://www.twitter.com/martinkaul | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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