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# taz.de -- Gewerkschafter über Streiks bei Ryanair: „Billigst, auf Kosten a…
> Die Liberalisierung der europäischen Luftfahrt wird auf dem Rücken der
> Beschäftigten ausgetragen, sagt Verdi-Mann Robert Hengster.
Bild: Brauchen starke Nerven: Passagiere von Ryanair
taz.am wochenende: In diesem Sommer sind so viele Flüge von, nach und
innerhalb Deutschlands ausgefallen wie noch nie. Fluggäste brauchten starke
Nerven …
Robert Hengster: Die Passagiere spüren zum ersten Mal die personelle
Unterbesetzung, indem Flüge Verspätungen haben oder abgesagt werden, weil
es keine Crew gibt, die den Flieger fliegt oder die am Boden die
Serviceleistungen durchführt. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es nicht mehr so
viele Arbeitskräfte wie früher. In den Niedriglohnbereichen finden die
Unternehmen nicht mehr genug Personal. In der Luftfahrt, speziell im
Bodenverkehrsdienst Flugbereich gibt es 15 bis 20 Prozent Unterbesetzung.
Warum gibt es denn gerade im Flugverkehr einen großen Niedriglohnbereich?
Es gibt einen riesigen Marktdruck. Billig-Airlines üben einen massiven
Druck aus, zum Beispiel Ryanair, aber auch die Lufthansa und andere große
Airlines, die die eine große Marktmacht haben. Die
Bodendienstleistungsunternehmer sind von diesen Fluggesellschaften extrem
abhängig. Die Unternehmen zahlen ganz nah am Mindestlohn. Mit der Folge:
Sie finden keine Leute mehr. Am größten sind die Probleme in den stark
nachgefragten Ballungsräumen München, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg und
Berlin.
Was verdient ein Angestellter dort?
Die Angestellten im Bodendienst sind bei Drittanbietern beschäftigt, zum
Beispiel AHS in Deutschland. Sie verdienen zwischen 10 und 12 Euro pro
Stunde, dies im Nacht- und Schichtdienst.
Auch die Billigfluglinien bezahlen ihre Beschäftigten schlecht?
Ja, die meisten. Billigfluglinien wie Ryanair zahlen nicht nach deutschen
Tarifverträgen. Wir sind gerade in Verhandlungen mit Ryanair, die sich sehr
schwierig gestalten. Weil Ryanair auf keinen Fall deutsches Arbeitsrecht
anwenden möchte, sondern für das Personal in Deutschland irisches Recht
anwendet. Deshalb ist eine unserer wichtigsten Forderungen die Anwendung
von deutschem Arbeitsrecht.
Früher war die Luftfahrt in Europa fest in staatlicher Hand. Die
Deregulierung und Marktöffnung des Luftverkehrs seit den 1990er Jahren war
eine politische Entscheidung. Wer hat sie vorangetrieben?
Die Deregulierung und Marktöffnung im Luftverkehr ist von der Europäischen
Kommission ausgegangen, die sich um keine Sozialstandards kümmert. Deswegen
ist dieser Verkehrsbereich praktisch abgerutscht ins Prekariat. Die
Verkehrskommissare der Europäischen Kommission haben die Liberalisierung
massiv vorangetrieben, um günstigere Flüge zu produzieren. Sie sagen, das
zahlen zwar die Arbeitnehmer, aber die Liberalisierung ist uns wichtiger
als die Arbeitnehmerrechte.
Ist das Lobbyismus?
Der milliardenschwere Michael O’Leary, der große Anteile an Ryanair
besitzt, erhält bei der Europäischen Kommission sehr, sehr viel Termine.
Auf der anderen Seite gibt es die Einrichtung des europäischen sozialen
Dialogs in der Europäischen Kommission. In diesem sitzen auch wir für den
Luftverkehr. Wir haben gemeinsam mit den Arbeitgebern dort nicht mehr als
einen Termin in den vergangenen zwei Jahren bei der zuständigen
Verkehrskommissarin erhalten. Die marktliberalen Kräfte wie O’Leary werden
dagegen hofiert, weil sie genau das liefern, was die Europäische Kommission
will: Billigflüge in jeder Ecke der Europäischen Union.
Um welchen Preis?
Die Beschädigung der sozialen Standards in ganz Europa, die Beschädigung
der deutschen Tarifverträge bei den deutschen Airlines, aber auch die
Beschädigung der anderen europäischen Tarifverträge. In der Europäischen
Kommission hat das niemand auf dem Schirm. Den Kollateralschaden bezahlen
ausschließlich die Arbeitnehmer. Die Tarifverträge bei Lufthansa, bei
Easyjet, Air France und bei anderen Fluggesellschaften in Europa geraten in
Deutschland unter Druck, weil sie unlauteren Wettbewerbsbedingungen
ausgesetzt sind.
Wie geht es weiter in der Branche?
Die Europäische Kommission treibt die Marktliberalisierung weiter voran.
Stichwort Ownership and Control: Aktuell muss sich eine Airline zu über 50
Prozent in europäischem Besitz befinden, um Streckenrechte nach und in
Europa zu erhalten. Zukünftig soll das nach dem Wunsch der Kommission nicht
mehr so sein. Das eröffnet zum Beispiel staatlich gelenkten Airlines, etwa
aus den Golfstaaten oder auch China den Einstieg in europäische Airlines
und somit in die europäische Fluginfrastruktur. Stichwort Wet Lease: Die
Europäische Kommission will auchWet Lease zwischen der USA und Europa
vorantreiben. Hier sollen dann außereuropäische Fluglinien im Auftrag
europäischer Airlines mit Crew und Flugzeugen für diese europäischen
Airlines eingesetzt werden. Das heißt, das Flugzeug einer amerikanischen
Billig-Airline wird mit den Farben und Symbolen einer europäischen Airline
bemalt und fliegt dann für diese zum Beispiel innereuropäische Strecken.
Die Folge?
Die Europäer bauen Arbeitsplätze ab. Wenn zum Beispiel ein chinesischer
Anbieter am Ende dieser Liberalisierung für Lufthansa, für Easyjet oder
Ryanair, Air France oder andere europäische Airlines fliegt, das
Flugzeug also aus China nach Deutschland kommt, mit einer chinesischen
Zulassung und chinesischer Crew, und dann für europäische Airlines fliegt,
dann erleben wir das Ende europäischer Tarifverträge und der europäischen
Arbeitsplätze.
Viele Leute sagen, ohne Billigtickets könnten viele Menschen nicht reisen.
Man redet in diesem Zusammenhang auch von der Demokratisierung des Reisens.
Wie sehen Sie das?
Nach dieser Logik müsste ich ja alle Leute, die Kleidung kaufen, zum
Textildiscounter Kik schicken, der im Fernen Osten zu katastrophalen
Bedingungen produziert. Es kann doch nicht sein, dass immer auf Kosten
anderer Berufsgruppen, die selbst im Prekariat leben oder selbst massiv
unter Druck stehen, etwas ermöglicht wird. Beispielsweise die
Expatriot-Pendler, die von Polen nach Großbritannien fliegen müssen oder
von der Ukraine nach Europa. Dass die sich das Fliegen leisten können
müssen, geht ausschließlich auf Kosten anderer Kollegen, die dann keine
soziale Perspektive haben. Es kann doch nicht sein, dass wir ganz Europa
auf Wunsch der Europäischen Kommission sozial in die Wüste schicken und uns
dann darüber wundern, dass diese Menschen sich von der Europäischen Union
abwenden.
Die Beschäftigten in der Luftfahrt tragen die Kosten der Liberalisierung.
Alle anderen verdienen gut?
Airbus oder Boeing verdienen als Lieferanten von Flugzeugen hervorragend.
Die machen ihre Flieger nicht billiger. Die Arbeitnehmer, die in diesen
Bereichen arbeiten, sind tariflich geschützt und verdienen auch gut. Die
Treibstoffanbieter verkaufen zum selben Preis an alle. Das Einzige, an dem
die Airlines sparen können, ist am Personal. Die Personalkostenanteile an
den Vollkosten einer Airline sind extrem niedrig. Bei den Billigfliegern
wie Ryanair machen die Personalkosten rund 12 Prozent der Vollkosten aus.
Das Leasing oder der Kauf von Flugzeugen, Kraftstoff wie auch Lande- und
Überfluggebühren machen über 80 Prozent der Vollkosten einer Airline aus.
Früher waren Beschäftigte in der Flugbranche hochgeachtet, dann wurde aus
der weltgewandten Stewardess eine „Saftschubse“.
Eine solche Bezeichnung ist völlig daneben.
Was hat zuerst Schaden genommen: das Image oder der Lohn?
Ein schlechtes Image ist in der Tat zum niedrigen Lohn dazugekommen. Mit
geringem Lohn und geringer Wertschätzung entsteht das Image, wie es jetzt
ist. Und ob Pilot, Flugbegleiter, Techniker oder Bodenpersonal – es werden
bei einigen Billigfliegern ja alle gleich schlecht bezahlt. Altes Personal
wird durch neues ersetzt. Firmen, für die die alten Tarifverträge
abgeschlossen wurden, werden ausgehungert und geschlossen. Dies sieht man
sehr gut am Beispiel der Wisag und deren Bodendienstfirmen in Berlin. Neue
werden eröffnet und zahlen dann niedrigere Tarife oder bleiben tariflos.
Wie ist das möglich? Die Branche expandiert, was doch eine günstige
Voraussetzung für Gewerkschaften und Beschäftigte ist?
Diese Lage gibt es erst seit eineinhalb Jahren. Vorher haben wir eine
massive Krise im Luftverkehr gehabt. Ich darf daran erinnern, dass die
Beschäftigten der Air Berlin bis jetzt an der Insolvenz zu tragen haben.
Die Air Berlin ist im Sommer 2017 pleitegegangen. Auch dort ist es so
gewesen, dass die Leute nicht zu Bedingungen des Betriebsübergangs von den
Erwerberunternehmen übernommen wurden, wie es eigentlich in der EU
gesetzlich vorgesehen ist. Sie mussten sich neu bewerben und wurden dann
genommen oder nicht.
Was müsste passieren, damit die Lage für die Beschäftigten besser wird?
Das nationale Recht müsste für in Deutschland stationierte Beschäftigte
zwingend angewendet werden. Es kann nicht sein, dass eine irische Firma,
die von Deutschland abfliegt, sich aussuchen kann, welches Arbeits- und
Sozialrecht sie anwendet. Das wäre eine der wichtigsten Stellschrauben. Das
würde nicht nur den deutschen Beschäftigten helfen, sondern auch den
europäischen.
Wer hätte das in der Hand?
Die EU-Kommission. Genauso wie sie die Liberalisierung vorantreibt, könnte
sie auch die soziale Absicherung in Europa vorschlagen. Es liegt aber auch
an den Nationalstaaten. Die Europäische Kommission hat das Wachstum der
Billig-Airlines unterstützt, indem sie Steuerflucht und die Auswahl der
niedrigsten Sozialstandards zulässt. Diese Firmen nutzen nun genau diese
Schlupflöcher, um die anderen Fluglinien auszubooten, die sich noch an die
Regeln halten.
Was sollte die Bundesregierung tun?
Sie kann den Mindestlohn erhöhen und die Einhaltung kontrollieren. Ebenso
könnte sie den Branchentarifvertrag für den Bodenverkehrsdienst, den wir
mit den Arbeitgebern nun verhandeln, für allgemein verbindlich erklären.
Sie könnte gleiche Bedingungen für Airlines herstellen, so dass ein fairer
Markt entsteht, zum Beispiel Einflugrechte für staatlich subventionierte
Airlines beschränken.
Vom Billigflieger profitieren die Verbraucher direkt. Und man kann sagen:
Preis schlägt Qualität, aber schlägt Preis auch die Flugsicherheit?
Also aus unserer Sicht wird es auch bei der Sicherheit zunehmend
problematischer. Die Mindeststandards werden noch eingehalten, aber wenn
das so weitergeht und in einigen zehn Jahren wieder eine Stufe nach unten
nivelliert wird, dann sehe ich keine positive Entwicklung.
Was raten Sie Verbraucherinnen und Verbrauchern?
Ich fliege sehr oft mit Easyjet, mit Lufthansa oder mit Austrian Airlines.
Easyjet ist ein Billigflieger, der Tarifverträge hat, nicht nur in
Deutschland, sondern in ganz Europa. Easyjet wendet Tarifverträge an, die
immer auf nationalem Recht basieren. Was ich als Gewerkschafter nicht
empfehle, sind nicht tarifierte Airlines. Schauen Sie, was aus Europa
kommt, und fragen Sie, wo Tarifverträge angewendet werden. Wo nationales
Recht gilt, können Sie bedenkenlos fliegen. Dort treffen Sie auf sichere
und überzeugte Kollegen und nicht auf Leute, die jeden Tag mit Druck und
Angst in den Flieger steigen.
15 Sep 2018
## AUTOREN
Edith Kresta
Anja Krüger
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