# taz.de -- Die Krise der Billigairlines: Die Luft wird immer dünner | |
> Der Streik der Ryanair-Piloten zeigt: Am Ende leiden Beschäftigte und | |
> Passagiere unter dem gnadenlosen Konkurrenzkampf in der Luftfahrt. | |
Bild: Am Freitag bleiben die Ryanair-Maschinen am Boden – es wird gestreikt | |
Es war die bislang erfolgreichste Aktion von Beschäftigten des | |
Billigfliegers Ryanair. Am Freitag [1][strich die Airline 396 Flüge] in | |
Europa, davon 250 in Deutschland. Zuvor hatte die Pilotengewerkschaft | |
Cockpit zum Streik aufgerufen. | |
Für die Passagiere hatte diese Ankündigung immerhin einen geringfügigen | |
Vorteil: Sie konnten sich früh darauf einstellen, dass ihr Flug am Freitag | |
nicht geht. Das ist nicht selbstverständlich, oft erfahren Fluggäste erst | |
sehr kurzfristig von der Streichung ihrer Maschine. | |
Die Ryanair-Piloten streiten für mehr Geld und weniger Flugstunden bei | |
einem Arbeitgeber, der für seinen [2][beinharten Kurs gegenüber | |
Beschäftigten] und für seine Ticketniedrigpreise berüchtigt ist. Wie andere | |
Fluggesellschaften trägt Ryanair den Konkurrenzkampf in der Branche auf dem | |
Rücken der Beschäftigten aus. | |
Jeden Tag starten und landen in Deutschland im Schnitt 4.400 Maschinen. | |
Flugausfälle sind zum Massenphänomen geworden. Bis Ende Juli annullierten | |
Ryanair und andere Linien nach Angaben des Flugrechteportals EU-Claim in | |
diesem Jahr 19.631 Flüge von, nach und in Deutschland. Im ganzen Jahr 2017 | |
waren es 21.918. Oft schieben die Airlines das Wetter oder Streiks vor – | |
aber schuld sind auch die Gesellschaften, weil sie zu knapp kalkulieren. | |
Hinzu kommen Tausende Verspätungen und immer wieder Pannen. Erst kürzlich | |
mussten in Frankfurt, München sowie Bremen Terminals gesperrt werden, weil | |
bei den Sicherheitskontrollen Reisende versehentlich nicht geprüft wurden. | |
## „Es ist ein Drama“ | |
„Es ist ein Drama, was sich im Luftverkehrsmarkt abspielt“, sagt Christine | |
Behle, für die Luftfahrt zuständiges Vorstandsmitglied der Gewerkschaft | |
Verdi. Als das Münchener Terminal gesperrt wurde, waren zwei | |
Mitarbeiterinnen für 3.000 Reisende zuständig. „Die Kosten in der Branche | |
werden so gedrückt, dass für den Service immer weniger bleibt“, sagt Behle. | |
Und der größte Kostendrücker in der Branche ist die irische Fluglinie | |
Ryanair. „Durch Ryanair wächst der Druck auf die anderen Airlines“, sagt | |
sie. „Das ist ein Riesenproblem.“ | |
Ryanair verkauft Tickets ab 39 Euro und macht einen Gewinn von 1,4 | |
Milliarden Euro, rechnet Janis Schmitt, Sprecher von Cockpit, vor. Die | |
Piloten von Ryanair wehren sich dagegen, dass diese Diskrepanz von | |
Unternehmensgewinnen und Dumpingpreisen auf ihre Kosten ermöglicht wird. | |
Laut Cockpit-Angaben verdienen sie im Schnitt rund 77.000 Euro brutto im | |
Jahr, bei Konkurrenten wie Eurowings oder Tuifly sind es 100.000 Euro. | |
Ryanair gibt an, Piloten könnten bis zu 190.000 Euro bekommen. Die | |
Einkommen zu vergleichen ist schwierig, weil es keinen Branchentarifvertrag | |
gibt. Die Einkommenstabellen sind kompliziert, etwa wegen der Zuschläge. | |
Die Gewerkschaft des Kabinenpersonals, die Unabhängige Flugbegleiter | |
Organisation (Ufo), erklärt sich solidarisch mit den Piloten, auch wenn | |
ihre Mitglieder sehr viel weniger verdienen: Maximal 25.000 bis 30.000 Euro | |
im Jahr sind es bei einer Vollzeitstelle inklusive der gesamten Zulagen – | |
einige Tausend Euro weniger als bei anderen Airlines. „Die | |
Arbeitsbedingungen bei Ryanair sind wesentlich härter, auch weil es keine | |
tariflichen und betrieblichen Regelungen gibt“, sagt Ufo-Vorstand Christoph | |
Drescher. Der Urlaub wird Beschäftigten kurzfristig und mitunter | |
willkürlich zugeteilt, sie können einfach versetzt werden, und vor allem | |
ist nicht klar, ob das deutsche oder das – ungünstigere – irische | |
Arbeitsrecht gilt. | |
Billigflieger wie Ryanair haben dafür gesorgt, dass sich fast jeder eine | |
Flugreise leisten kann. Bis in die 1990er Jahre regelten bilaterale | |
Verträge zwischen Ländern internationale Routen, Sicherheitsvorschriften | |
und Tarife. Dann wurde der Markt liberalisiert, und neue Anbieter drängten | |
auf den Markt, die Preise fielen. Die Zahl der Passagiere ist rasant | |
gestiegen und wird auch in Zukunft wachsen – aber nicht so stark, wie die | |
Airlines aufrüsten. | |
## Es wird ein Überangebot geben | |
Nach einer Analyse der Unternehmensberatung Oliver Wyman wächst die Flotte | |
in Europa bis 2022 um 600 Maschinen auf dann 5.700 Stück. Und diese Flieger | |
können mehr Passagiere mitnehmen als die Maschinen heute. „Das | |
Luftfahrtgeschäft in Europa ist von Marktirrationalitäten geprägt“, sagt | |
Björn Maul, Partner bei Oliver Wyman. Nach Berechnungen der Internationalen | |
Zivilluftfahrtorganisation bauen Ryanair, Lufthansa, EasyJet und die | |
Konkurrenten die Kapazitäten für Passiere fast doppelt so stark aus, wie | |
die Nachfrage nach Tickets in den nächsten Jahren steigen wird. Das heißt: | |
Es wird ein Überangebot geben. | |
Die Folge ist ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Das hierzulande | |
bekannteste Opfer: Air Berlin. Vor fast genau einem Jahr meldete die nach | |
der Lufthansa zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Insolvenz an. Air | |
Berlin ist am extremen Expansionskurs seiner Manager gescheitert. Als die | |
Fluglinie in den Sommerferien 2017 zahlungsunfähig wurde, schlugen sich die | |
Konkurrenten um die Reste. Attraktiv waren vor allem die vielen | |
Start-und-Lande-Rechte. Denn davon gibt es nur eine begrenzte Zahl. | |
Den Zuschlag bekamen die Lufthansa-Tochter Eurowings, die britische Linie | |
EasyJet und über die österreichische Laudamotion indirekt auch Ryanair. | |
Allerdings verlief die Übernahme der Reste von Air Berlin keineswegs | |
reibungslos. Auch das ist ein Grund für die massiven Flugausfälle. | |
Air Berlin hatte immerhin vernünftige Löhne gezahlt, das sagen selbst die | |
Gewerkschaften. Die Mehrzahl der 8.000 Beschäftigten hat neue Jobs | |
bekommen, allerdings zu schlechteren Bedingungen. „Hart war die Insolvenz | |
vor allem für die Flugbegleiterinnen“, sagt Christine Behle von Verdi. Die | |
Lufthansa wollte ursprünglich 3.000 von ihnen übernehmen, aber stellte nur | |
wenige Hundert an. EasyJet hat rund 500 Flugbegleiterinnen von Air Berlin | |
übernommen – zu fast den gleichen Bedingungen. | |
Das war ein Glücksfall. Denn in der Luftfahrtbranche gilt das | |
Senioritätsprinzip. Das heißt, das Gehalt hängt auch von der Dauer der | |
Betriebszugehörigkeit ab. Erfahrene Flugbegleiterinnen werden jedoch von | |
neuen Arbeitgebern als Berufsanfängerinnen eingestuft. Die Folge sind | |
erhebliche Lohnverluste. „Einige haben Einbußen von bis zu 40 Prozent“, | |
sagt Behle. Schon vor Jahren wurden bei allen Airlines Tarifverträge | |
abgeschlossen, die für Neubeschäftigte Abstriche vorsehen. Das gilt selbst | |
für die Lufthansa. | |
## Überlebenskampf | |
Die Schlacht der Airlines um Kunden wird noch härter werden. 2017 sind | |
neben Air Berlin auch die europäischen Fluglinien Alitalia und Monarch | |
Airlines pleitegegangen. Etliche Unternehmen befinden sich in einem | |
Überlebenskampf, auch wenn sie noch Gewinne machen. Doch gleichzeitig | |
müssen sie immer wieder in teure neue Maschinen investieren. Viele Airlines | |
werden verschwinden oder aufgekauft, eine Marktkonsolidierung findet statt. | |
In den USA teilen sich fünf große Airlines 85 Prozent des Marktes, bei | |
insgesamt 48 Fluglinien. In Europa gibt es noch 139 Fluglinien. Die fünf | |
größten – Lufthansa, Ryanair, EasyJet, die Air France/KLM-Gruppe und die | |
International Airline Group – erwirtschaften 66 Prozent des Umsatzes. „Die | |
Low-Cost-Anbieter treiben den Markt“, sagt Klaus-Dieter Scheurle vom | |
Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Nach der Insolvenz von | |
Air Berlin sind die Preise zwar gestiegen, aber nur vorübergehend. Jetzt | |
sind die Tickets wieder billig. „Das ist gut für die Verbraucher, zeigt | |
aber, das wir einen sehr harten Wettbewerb haben“, sagt er. | |
Dabei hat der Konkurrenzkampf auch für Verbraucher durchaus negative | |
Seiten. Zu beobachten ist das täglich an den Flughäfen, der Kostendruck hat | |
Folgen, selbst im Normalbetrieb: Die Fluglinien halten kaum noch Reserven | |
vor, es gibt keine Zeitpuffer mehr. Wenn stets das gesamte Personal im | |
Einsatz ist und alle Flieger in der Luft sind, führt jede Verzögerung, | |
jeder kleine Zwischenfall zu einer Kaskade von weiteren Störungen. | |
Dabei ist die gravierendste Störung, an deren Verursachung die Flugbranche | |
stark beteiligt ist, nicht im Ticket eingepreist. Fliegen kann nur zu | |
Taxipreisen angeboten werden, weil die extrem hohen Folgekosten nicht | |
einkalkuliert sind. Es gibt keine angemessene Klimaabgabe. Die Abgase | |
tragen erheblich zur Erderwärmung bei, dennoch wurde die Luftfahrtbranche | |
aus den Klimaabkommen von Kioto und Paris ausgeklammert. | |
10 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
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