# taz.de -- Gamescom und „Fortnite“: Bis die Hände zittern | |
> Auf Schulhöfen sprechen viele über das Spiel „Fortnite“. Woher kommt die | |
> Faszination? Drei Perspektiven. | |
Bild: Crash, Boom, Bang: Szene aus „Fortnite“ | |
## Der Anfänger | |
Meine Freunde spielen „Fortnite“. Alle. Sie schwärmen regelrecht davon. | |
Aber nicht nur sie. In meiner Schule führen selbst die, die eigentlich viel | |
zu jung für Computerspiele sind, schon seltsame Tänze auf. Ein Teil des | |
Spiels, wie sie mir erklären. Nach der Schule verabreden sie sich zum | |
gemeinsamen Computerspielen. | |
Ich kann das nicht verstehen. Ich spiele keine Computerspiele. Ich halte | |
das für Zeitverschwendung. Bisher jedenfalls. | |
Ich mache gerade ein Schülerpraktikum in der taz-Redaktion. Dort hat man | |
mich gebeten, dieses Spiel, über das gerade alle Jugendlichen reden, doch | |
mal auszuprobieren. Also los – ich bin ja auch neugierig, was alle meine | |
Freunde daran so fesselt. | |
Ich ziehe die Vorhänge meines kleinen Zimmers zu, klappe den Laptop auf und | |
starte das erste Computerspiel meines Lebens: „Fortnite – Battle Royal“. | |
Sofort erklingt Musik, und ich sehe eine Figur vor mir: meinen Avatar, | |
einen virtuellen Doppelgänger, der gar nicht aussieht wie ich. Ein junger, | |
schwarzer, kräftig gebauter Mann in Militärhosen und Tanktop, eine | |
Spitzhacke in der Hand, ein Stirnband um den Kopf, alles in der Anmutung | |
eines Comics. | |
Dann falle ich aus einem fliegenden Bus. Im letzten Moment öffnet sich ein | |
Fallschirm, und ich lande sanft auf einer Insel irgendwo im Meer. Außer mir | |
landen fast hundert andere Spieler hier, meine Feinde. Echte Menschen aus | |
aller Welt, genau in diesem Moment live dabei, verbunden durch das | |
Internet. | |
Das Ziel des Spiels ist, alle diese Feinde zu eliminieren, als letzter | |
Überlebender die Insel zu verlassen und dabei dem Sturm zu entkommen, der | |
sich immer dichter um die Insel zuzieht. Wahrscheinlich stelle ich mich | |
sehr schlecht dabei an. Meine Mitspieler nennen mich bald „Noob“, Neuling. | |
Ich sterbe nach etwas weniger als drei Minuten. | |
Es fließt kein Blut. Auf Gewaltdarstellungen legt das Spiel keinen Wert. | |
Klar, es werden Menschen umgebracht. Aber da zerfetzt niemand im | |
Kugelhagel. Wer jemanden umbringt, tanzt dazu. Fast ein bisschen zynisch. | |
Klick, und schon geht es wieder los. Zwei Minuten später werde ich erneut | |
ausgeknockt. Und wieder. Und wieder. Das Spiel hat mich, genau wie meine | |
Freunde, in seinen Bann gezogen. Schließlich, weit nach Mitternacht, muss | |
ich mir eingestehen, dass ich heute nicht mehr gewinnen werde und trotzdem | |
bald aufstehen muss. Aber morgen ist schließlich auch noch ein Tag. | |
Jonathan Auer ist 17 Jahre alt und Schüler an der Waldorfschule in | |
Landsberg am Lech. | |
## Der Vater | |
Mein 13-jähriger Sohn spielt „Fortnite“, also genauer gesagt spielte er | |
„Fortnite“ bis ungefähr gestern. Gestern hat er mir gesagt, dass er sich | |
ein neues Spiel gekauft hat, von seinem eigenen Geld. Da geht es um etwas | |
mit Zombiesjagen. | |
Ich nehme aber natürlich an, dass er „Fortnite“ schon noch weiter spielen | |
wird, wie er sich ja auch weiterhin Fifa widmet (aber merkwürdigerweise | |
nicht den analogen Moden wie Fidget Spinnern oder Gummringarmbändern – die | |
hat er leicht abschätzig lächelnd seiner kleinen Schwester überlassen). | |
Ich habe im Grunde von all dem wenig Ahnung, weil ich mich nicht für diese | |
Dinge interessiere, ja, Erwachsene, die sich für Videospiele, falls man das | |
noch so sagt, begeistern – die verachte ich sogar ein wenig, nein, zu hart, | |
sagen wir, ich missbillige es, wie auch Leute, die Kreuzworträtsel lösen | |
oder Sudoku spielen, das erscheint mir als eine Verschwendung der doch | |
kostbaren Lebenszeit: Sagt nicht Goethe irgendwo, Schach sei „für den Ernst | |
zu viel Spiel, für das Spiel zu viel Ernst“? | |
Nein, es war Lessing. Was ich eigentlich sagen will, ist das: Mein toller | |
Sohn, den ich so sehr liebe und der mich manchmal so nervt, auch mit diesem | |
„Fortnite“-Getanze, das er überall zur Aufführung bringt, gibt mir jede | |
Gelegenheit, in seine Spielwelt einzusteigen, er fordert mich auf, ja er | |
bittet mich, dabei zu sein – und ich, ich lasse ihn hängen. Ich bin nicht | |
bereit, mich mit seiner Kultur zu beschäftigen, so, wie meine Mutter nicht | |
bereit war – im Wortsinn –, meine Zack-Comics zu lesen, weil sie die | |
Kulturtechnik Comiclesen nicht erlernt hatte und sich ihre Ignoranz und ihr | |
Unwille, sich diese Technik anzueignen, als Langeweile präsentierten: Genau | |
wie bei meinem Sohn in der Schule ein Fach langweilig ist, wenn er es nicht | |
versteht. | |
[1][In einem taz-Interview hat der Psychologe Georg Milzner] Eltern eben | |
das im Umgang mit ihren nur allzu leicht pathologisierten Zocker-Kindern | |
empfohlen: sich einzubringen, nachzufragen, mitzuspielen – und die | |
Frustration des Nicht-Könnens und Verlierens auszuhalten. „Eltern fangen am | |
besten bei sich an: Was mir fremd ist, ist für meine Kinder ihre Zukunft – | |
also werde ich versuchen, sie dabei zu unterstützen, so gut ich kann.“ | |
Und genau das hab ich dann ja doch irgendwie gemacht, weil: Auf sein neues | |
Zombiespiel ist mein Sohn, glaube ich, über gemeinsames „Z-Nation“-Gucken | |
gekommen. Erziehung heißt eben auch: jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem | |
nach seinen Bedürfnissen. | |
Ambros Waibel ist taz-Redakteur und hat in einem früheren Leben zu viel | |
Doom gespielt. | |
## Die Profispielerin | |
Eine halbe Stunde habe ich jetzt noch zum Spielen. Dann muss ich zur | |
Arbeit. Ich helfe gerade bei Netto aus, bis ich eine Ausbildung finde. | |
Deshalb habe ich auch viel zu viel Zeit für „Fortnite“. Acht bis neun | |
Stunden täglich, wenn ich nicht arbeite und meine Freundin Schicht hat. | |
Wenn sie zu Hause ist, versuche ich, nicht zu spielen. Nur manchmal frage | |
ich, ob ich ein paar Runden zocken kann. Das ist dann schon okay. Sie mag | |
keine Shooterspiele, aber ich hab früher immer „Call of Duty“ gespielt. Wie | |
alt ich da war, verrate ich lieber nicht. | |
Eigentlich spiele ich „Fortnite“ wegen der Leute, die ich dort | |
kennengelernt habe. Es wäre schon richtig cool, die auch mal in echt zu | |
treffen. Über die Headsets der Playstations können wir während des Spiels | |
miteinander reden. Zum Beispiel darüber, wo wir hinfliegen. | |
Am Anfang habe ich fast immer allein gespielt, weil ich so schlecht war. Es | |
hat fünf Monate gedauert, bis ich nicht in der ersten Minute rausgeflogen | |
bin. Gemeinsam macht es viel mehr Spaß. Man kann eine Taktik entwickeln und | |
muss keine Angst haben, plötzlich von hinten abgeschossen zu werden. | |
Meistens landen wir in Paradise Palms. Da ist ein großes Hotel in einer | |
schicken Wohngegend. Oder in Salty Springs, einer Kleinstadt mit | |
Tankstelle. In der Großstadt Tilted ist die Runde schnell vorbei. Die ist | |
viel zu beliebt, da springen viele Leute raus. Nichts für den Anfang. | |
Ich spiele nur weibliche Charaktere, auch früher in anderen Spielen schon. | |
Meine Lieblingswaffe ist gerade die schallgedämpfte Pistole. Aber in 34 | |
Tagen kommt die nächste Season raus, und die Macher von „Fortnite“ lassen | |
sich immer was Neues einfallen. In der jetzigen Season kann man zurück in | |
den Himmel springen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Das mag ich | |
noch lieber, als zu Fuß unterwegs zu sein. | |
Während des Spielens trinke ich Energy Drinks. Gestern hatte ich richtig | |
Heißhunger auf Chips. Da bin ich dann schnell zu Netto. Das Spiel regt | |
nämlich schon auch auf. Nach meinem ersten Solosieg haben meine Hände ein | |
bisschen gezittert. | |
Heute schreibe ich meinen Freunden, wenn ich zum Beispiel meinen vierten | |
Sieg geholt habe. Aber ich schreie nie. Ich habe auch noch keinen | |
Controller kaputt gemacht, nur einmal mein Headset auf die graue Couch | |
geworfen, auf der ich meistens sitze. Zweimal habe ich nun schon von | |
„Fortnite“ geträumt. Aber nur Gutes! | |
Kimberley Kapischke ist 19 Jahre alt und lebt in Dresden. Protokoll: Stella | |
Schalamon | |
24 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Stella Schalamon | |
Jonathan Auer | |
Ambros Waibel | |
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