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# taz.de -- Weltweite Ungleichheit: Globaler Blick, düstere Aussicht
> Thomas Piketty und ein Forscherteam ziehen Bilanz in Sachen weltweiter
> Ungleichheit. Und prophezeien: Wenn sich nichts ändert, wird es böse
> enden.
Bild: Korbflechterinnen in China bei der Arbeit – Globalisierungsgewinner ode…
Ungleichheit ist aus naheliegenden Gründen ein extrem aufgeladenes Thema.
Die Frage, die dabei im Kern verhandelt wird, ist fundamental. Ist der
globale Kapitalismus ein System, das bekämpft werden muss – oder eines, das
den Lebensstandard ungleichmäßig, aber letztlich doch global verbessert?
Die Debatte verläuft oft schräg und ideologisch überfrachtet. Der linke
britische Autor Jason Hickel, an London School of Economics tätig, hat
kürzlich eine Philippika gegen den westlichen Kapitalismus verfasst. Darin
behauptet er, die „Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen ist in den
vergangenen Jahrzehnten beständig gestiegen“. Das ist falsch. 1981 lebte
noch fast die Hälfte der Weltbevölkerung von weniger als einem Dollar pro
Tag, 2015 war es nur noch jeder Zehnte. Das ist ein Effekt der
Globalisierung – doch weil die Kern allen Übels sein soll, darf sie keine
erfreulichen Kollateraleffekte haben.
Auf der neoliberalen Seite werden die Tatsachen ebenso kräftig verbogen.
Die FAZ behauptete kürzlich in einem Kommentar zum neuen Buch des
französischen Starökonomen Thomas Piketty, dass „die neue Linie der
Ungleichheit nicht mehr zwischen den Ländern, sondern innerhalb der
Gesellschaften verläuft“. Will sagen: Die Globalisierung macht die
Mittelschicht in China, Indien, Afrika reicher und die in den westlichen
Metropolen ärmer. Ausgleichende Gerechtigkeit, was will man mehr. „Die
Armen haben gegenüber den Reichen aufgeholt“, so die FAZ-Botschaft. Seht
her, Kapitalismus ist auch noch gerecht! Das ist falsch. Trotz des
Aufstiegs von China und Indien besitzt das ärmere Dreiviertel der
Menschheit nur zehn Prozent des globalen Vermögens. Das obere eine Prozent
hingegen besitzt doppelt so viel: 20 Prozent. Tendenz steigend.
Ungleichheit ist nicht nur ein Thema, mit dem sich trefflich Glanz oder
Elend des globalen Kapitalismus zeigen lassen – es ist vor allem eine
komplexe Materie, eine verschlungenes Gewirr von Statistiken und
Zahlenkolonnen, die auf mehr oder weniger sicherer Basis erhoben werden.
Deshalb ist das Werk „Die weltweite Ungleichheit“, von Thomas Piketty und
einem zwanzigköpfigen Forschungsteam verfasst, äußerst verdienstvoll. Wie
Branko Milanovichs Studie „Die ungleiche Welt“ (2016) liefern Piketty & Co
detaillierte Zahlen, Daten und Vergleiche.
## Kein Humus für Demokratien
Manches, wie die dramatische Entwicklung der Ungleichheit in den USA seit
1980, ist weitgehend bekannt. „Die weltweite Ungleichheit“ ist eher ein
Nachschlagewerk als ein Buch, das sich in einem Rutsch durchlesen lässt.
Das mindert seinen Wert nicht. So ist der originäre Beitrag dieses
sperrigen, faktenreichen Werkes ein doppelter. Piketty & Co präsentieren
mehr Zahlen als Deutungen. Das ist in diesem ideologisch überformten Feld
der richtige Zugang. Zudem ist der Blick global.
Nicht nur China, die USA und Europa werden detailliert beleuchtet, sondern
auch Regionen, die meist unbeachtet bleiben, weil sie für die
Gesinnungsschlacht um den globalen Kapitalismus wenig argumentativen
Mehrwert versprechen: Brasilien, Russland, Indien, der Nahe Osten. Im Nahen
Osten sind die Einkommensunterschiede am größten. Die oberen zehn Prozent
verdienen 60 Prozent des gesamten Einkommens, in den USA und Russland sind
es 45, in Europa 37 Prozent. Es gibt einen Zusammenhang zwischen extremer
Ungleichheit und autokratischen Regimen – allerdings nicht im Sinne von
„wenn – dann“.
Bei der akademischen Frage, wie viel Gleichheit oder Ungleichheit politisch
und wirtschaftlich nützlich oder schädlich sind, halten sich Piketty & Co
klug zurück. Auf diesem Feld ist nicht viel zu gewinnen. Dafür versammelt
„Die weltweite Ungleichheit“ beeindruckende Zahlen, die – bei den Einkomm…
weniger, bei den Vermögen mehr – in die gleiche Richtung weisen: Die
Ungleichheit nimmt global zu.
Was tun? Die Rezepte klingen nicht sonderlich originell. Höhere Steuern für
Reiche, wirksame Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung, die die globale Elite
so erfolgreich betreibt, mehr Geld für Bildung. Das zielt, gut
sozialdemokratisch, auf die Bändigung des internationalen Kapitalismus,
nicht auf dessen Abschaffung. Und ist zwingend nötig. Denn wenn es so
weitergeht wie bisher, droht ein Fiasko – eine extrem in Arm und Reich
polarisierte Weltgesellschaft. Falls sich die globale Vermögensverteilung
so weiterentwickelt, wird Piketty & Co zufolge 2050 das reichste Prozent so
viel besitzen wie die globale Mittelschicht.
Dass dies kein Humus für vitale, erfolgreiche Demokratien ist, müsste doch
eigentlich dem verstocktesten Neoliberalen einleuchten.
26 Aug 2018
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## TAGS
Kapitalismus
Ungleichheit
Globalisierung
Neoliberalismus
Ökonomie
China
Afrika
China
Schwerpunkt Rassismus
Kapitalozän
Liberalismus
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