# taz.de -- Vergleich der Gehälter im Entgeltatlas: Extreme Unterschiede | |
> Die Agentur für Arbeit hat den Entgeltatlas 2017 veröffentlicht. Darin | |
> zeigt sich, welch große Rolle Geschlecht und Herkunft spielen. | |
Bild: Männer verdienen in Ingolstadt unglaubliche 55,3 Prozent mehr als Frauen | |
Es ist die altbekannte Binsenweisheit und sie stimmt noch immer: reicher | |
Westen, armer Osten. Auch 28 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es | |
enorme Unterschiede zwischen den neuen und den alten Bundesländern. So | |
verdient ein Arbeitnehmer in Ostdeutschland im Mittel (Median) nur 2.600 | |
Euro brutto im Monat, im Westen aber 3.339 Euro, mithin 28 Prozent mehr. | |
Das geht aus dem Entgeltatlas 2017 hervor, [1][den die Bundesarbeitsagentur | |
für Arbeit Anfang August veröffentlicht hat.] | |
Aus den Zahlen, die nur den Lohn von Vollzeitbeschäftigzen berücksichtigen, | |
lassen sich aber noch zwei weitere Ungerechtigkeiten mit ähnlichen | |
Dimensionen herauslesen: In Deutschland bekommt der männliche Arbeitnehmer | |
im Mittel 15,5 Prozent mehr als die Durchschnittsfrau. Noch eklatanter sind | |
die Unterschiede zwischen Arbeitnehmern mit deutschem Pass und dem Rest – | |
satte 33 Prozent. | |
Die Stadt der Extreme ist dabei Ingolstadt. Sie liegt in der Liste der 401 | |
Städte und Kreise nicht nur auf Platz eins bei den Bruttoverdiensten. | |
Nirgendwo sonst ist der Einkommensunterschied zwischen den Deutschen und | |
Ausländern größer. Der Durchschnittsdeutsche in Ingolstadt bekommt satte | |
90,8 Prozent mehr als ein ausländischer Arbeitnehmer – also fast doppelt so | |
viel. Zudem verdienen hier Männer unglaubliche 55,3 Prozent mehr als | |
Frauen. Nur in Dingolfing ist der Genderpaygap größer. | |
Ingolstadt ist die Stadt des deutschen Mannes. Dem scheint es dort, wo die | |
wirtschaftliche Lage gut ist, auch finanziell gut zu gehen. Frauen und | |
Ausländer dagegen profitieren davon offensichtlich kaum. Woran liegt das? | |
Zumindest was die [2][ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen] in | |
Ingolstadt anbelangt, stößt man schnell auf eine eindeutige Antwort. „Der | |
Grund liegt in der Wirtschaftsstruktur dort“, sagt Christian Weinert von | |
der Agentur für Arbeit. Konkret bedeutet das: Es liegt an Audi. So dominant | |
ist der Autohersteller in der Region, dass die Agentur für Arbeit keine | |
Angaben zur Zahl der Menschen im Landkreis herausrückt, die in der | |
verarbeitenden Industrie beschäftigt sind. | |
Es herrsche der „Dominanzfall“, heißt es zur Begründung: Durch amtliche | |
Zahlen könnten geschützte Daten des dominierenden Unternehmens bekannt | |
werden, weil es einen derart hohen Anteil der Statistik bestimmt. | |
## Großer Genderpaygap | |
Was Weinert sagen darf: Als ArbeitnehmerInnen werden in der Autoindustrie | |
vor allem Menschen gebraucht, die technische Studiengänge abgeschlossen | |
haben, IngenieurInnen und ElektrotechnikerInnen etwa. „Das ist immer noch | |
eine Männerdomäne“, sagt Weinert. Und zwar eine, in der die Arbeitgeber | |
sehr hohe Löhne zahlen. | |
Das allein kann aber noch nicht der Grund sein, warum in Ingolstadt Männer | |
so extrem viel mehr verdienen als Frauen. Immerhin müsste sich beim Blick | |
nach Wolfsburg dann ein ähnliches Bild bieten. Tut es aber nicht. Obwohl | |
dort VW eine ähnliche Rolle spielt wie Audi in Ingolstadt, bekommen Männer | |
in Wolfsburg „nur“ 20 Prozent mehr Gehalt als Frauen. | |
Einen Anhaltspunkt dafür, warum der Genderpaygap in Ingolstadt so viel | |
größer ist als in Wolfsburg, liefern die Beschäftigtenzahlen der beiden | |
Autounternehmen. So ganz gleichen sich Audi und VW dann nämlich doch nicht, | |
auch wenn sie zum selben Konzern gehören. | |
Der Frauenanteil im Audi-Werk Ingolstadt liege nur bei etwa 16 Prozent, wie | |
eine Sprecherin auf Nachfrage mitteilt. In Wolfsburg sind dagegen immerhin | |
etwas mehr als ein Fünftel der Beschäftigten Frauen. Das ist vor allem dann | |
aussagekräftig, wenn man berücksichtigt, dass die Einwohnerzahl in beiden | |
Städten etwa gleich groß ist, VW aber noch einmal deutlich mehr Menschen | |
beschäftigt als Audi. | |
## Ausländer weit abgeschlagen | |
Kurz: In Wolfsburg arbeiten im Verhältnis mehr Menschen in der gut | |
zahlenden Autoindustrie, von denen zudem auch noch ein höherer Prozentsatz | |
Frauen sind. In Ingolstadt sind dagegen prozentual viel mehr Frauen in | |
anderen Berufsfeldern tätig. | |
„Sie arbeiten zum Beispiel im sozialen Bereich und im Handel“, sagt | |
Alexandra Kröner, die stellvertretende Vorsitzende des [3][Ingolstadter | |
Vereins „Pro Beschäftigung“, der Frauen im Berufsleben unterstützt.] Aber | |
auch in der öffentlichen Verwaltung und in Bildungseinrichtungen sind mehr | |
Frauen als Männer beschäftigt. „Alles Wirtschaftssektoren, in denen | |
klassisch eher wenig verdient wird“, so Kröner. „Definitiv ein Problem“, | |
findet sie. | |
Noch ein Problem: Auch Ausländer sind beim Lohn in Ingolstadt weit | |
abgeschlagen. „Der Großteil der ausländischen Beschäftigten arbeitet hier | |
im Niedriglohnsektor“, sagt der Sprecher des örtlichen Büros der Agentur | |
für Arbeit, Peter Kundinger. „Viele kommen aus Osteuropa.“ Ein Blick auf | |
die Daten der Agentur für Arbeit bestätigt das: Hier arbeiten besonders | |
viele Ausländer als Helfer, in Berufen also, für die kein hoher | |
Bildungsabschluss benötigt und keine hohen Löhne gezahlt werden. | |
Warum es in Ingolstadt so viele Ausländer gerade in diesen Jobs gibt, kann | |
sich niemand so richtig erklären. Zu vermuten ist, dass der Grund wieder in | |
den speziellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Ingolstadts zu finden | |
ist. Die sorgen schließlich schon dafür, dass es den deutschen Männern in | |
Ingolstadt finanziell blendend geht, während Frauen nicht nur schlechter | |
dastehen, sondern im Verhältnis sogar so schlecht bezahlt werden wie fast | |
nirgendwo sonst im Land. | |
## Keine berühmten Autowerke | |
Dabei geht es auch anders, könnte man meinen. Insgesamt 26 Gemeinden listet | |
die Agentur für Arbeit in ihrem Entgeltatlas 2017, in denen Frauen mehr | |
verdienen als Männer. Was dabei aber schnell auffällt: All diese Städte und | |
Kreise liegen in der ehemaligen DDR. Und im Ranking der Löhne insgesamt | |
finden sich alle im unteren Viertel. | |
Den größten Einkommensvorsprung gegenüber dem anderen Geschlecht haben | |
Frauen in der brandenburgischen Stadt Cottbus. Cottbuser verdienen im | |
Mittel 16,7 Prozent weniger als die Cottbuserinnen. Aber wieso ist der Ort | |
in der Niederlausitz die Stadt der Frauen? | |
Auch hier hilft wieder der Blick auf die Wirtschaftssituation. Wovon es in | |
Ingolstadt so viel gibt, daran fehlt es in Cottbus. Nur 2,6 Prozent der | |
Beschäftigten arbeiten hier im „verarbeitenden Gewerbe“, wie es bei der | |
Agentur für Arbeit heißt. In Cottbus gibt es keine Chemiekonzerne, keine | |
berühmten Autowerke oder gewaltigen Stahlfabriken. Die wichtigen | |
Arbeitgeber kommen stattdessen aus dem Dienstleistungsbereich. | |
„Ein großes Krankenhaus, eine Universität und jede Menge Landesämter“ ge… | |
es in der Stadt immerhin, sagt Sabine Hickel, die | |
Gleichstellungsbeauftragte von Cottbus. Viel öffentlicher Dienst also. | |
Genau wie in Ingolstadt arbeiten in dieser Branche auch in Cottbus vor | |
allem Frauen. Und wie in Bayern werden sie auch im Osten nach Tarif | |
bezahlt. | |
## Nicht viel bekommen | |
Der Unterschied zur Autostadt in Bayern ist ein anderer: In Cottbus sind | |
die Tariflöhne relativ hoch im Vergleich zum mittleren Lohn in der Stadt. | |
In Ingolstadt sind sie dagegen vergleichsweise niedrig. Frauen geht es in | |
Cottbus finanziell also gar nicht besser als ihren Geschlechtsgenossinnen | |
in Ingolstadt, auch wenn die lokalen Genderpaygaps das auf den ersten Blick | |
nahelegen. Den Cottbuser Männern geht es lediglich viel schlechter. | |
Das liegt daran, dass die hier eben nicht in der Autoindustrie arbeiten | |
können. Stattdessen arbeiten die Männer zum Beispiel auf dem Bau und als | |
Zeitarbeiter in der Logistik. Viel bekommen sie dafür nicht. „Hier in der | |
Gegend werden generell schlechte Löhne gezahlt“, sagt Hicke. | |
Besonders deutlich wird das, wenn man die absoluten Zahlen in Cottbus mit | |
denen in Ingolstadt vergleicht. Etwa 300 Euro weniger als ihre | |
Geschlechtsgenossinnen aus der Donaustadt bekommen die Cottbuserinnen | |
brutto und damit aber immer noch 500 Euro mehr als die Cottbuser. | |
„Wir brauchen hier allgemein bessere Löhne“, sagt deshalb | |
Gleichstellungsbeauftragte Hickel in Cottbus. „Für Frauen und für Männer.�… | |
Und das eben auch in den traditionellen Frauenberufen, wie in der Pflege. | |
Bis das passiert, gilt weiterhin: Wo es gut läuft, profitieren finanziell | |
die Männer, nicht die Frauen. Dort wo es schlecht läuft, verdient dagegen | |
keiner gut. | |
16 Aug 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://entgeltatlas.arbeitsagentur.de | |
[2] /Kommentar-Gender-Pay-Gap/!5016391 | |
[3] http://www.pro-beschaeftigung.de/ | |
## AUTOREN | |
Frederik Eikmanns | |
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