# taz.de -- Abschiebungen verhindern: Anleitung zum Ungehorsam | |
> Das Asylrecht wird beschnitten, die Polizei darf immer mehr und die | |
> Gesellschaft reagiert rassistisch. Zeit, die Sache selbst in die Hand zu | |
> nehmen! | |
Bild: Stop! Nur wie? | |
Per Facebook-Livestream haben in dieser Woche Tausende Menschen daran | |
teilgenommen, [1][wie die junge Schwedin Elin Ersson die Abschiebung eines | |
Mannes] nach Afghanistan im Flugzeug gestoppt hat. Über zwei Stunden | |
weigerte sich Ersson, ihren Platz einzunehmen, schließlich konnte der Mann | |
das Flugzeug verlassen. Ziviler Ungehorsam gegen Abschiebungen, gegen | |
Racial Profiling oder rassistische Polizeigewalt ist nicht neu – die taz | |
erklärt, wie’ s funktioniert. | |
Fall 1: Abschiebung vom Flughafen | |
Am Flughafen | |
Wenn Sie schon vorher wissen, dass mit einem bestimmten Flugzeug eine | |
Abschiebung geplant ist, können Sie bereits am Flughafen protestieren: | |
Informieren Sie andere Fluggäste. Sprechen Sie das Personal der Fluglinie | |
am Check-in-Schalter oder beim Boarden an. | |
Gegen die polizeiliche Abschiebebegleitung selbst aktiv zu werden, ist | |
hingegen nicht empfehlenswert: Die Beamten werden kaum von ihren | |
Anweisungen abweichen und dürfen Ihren möglichen Widerstand wie auch den | |
der Person, die abgeschoben werden soll, mit Gewalt brechen. | |
Außerdem kann, wer einen Polizisten auch nur anrempelt, seit einer | |
Gesetzesnovelle im letzten Jahr mit bis zu sechs Monaten Haft bestraft | |
werden. Sparen Sie sich ihre Energie besser für gleich, Sie werden Sie noch | |
brauchen! | |
Im Flugzeug | |
Wenn sich die Türen des Flugzeugs geschlossen haben, geht es richtig los: | |
Denn jetzt darf die Bundespolizei nach internationalem Recht keine | |
Zwangsmaßnahmen mehr durchführen. Selbst wenn die Beamten also als | |
sogenannte Sicherheitsbegleitung mitfliegen wollen und sich deswegen noch | |
im Flugzeug befinden, können Sie aktiv werden. | |
Das Ziel ist jetzt, den Start des Flugzeugs zu verhindern. Bleiben Sie | |
stehen! So lange sie sich nicht hinsetzen, darf das Flugzeug nicht | |
losfliegen. Sprechen Sie das Flugpersonal und die anderen Fluggäste an. | |
Erklären Sie, dass Sie so lange stehen bleiben, bis die Person, die | |
abgeschoben werden soll, das Flugzeug verlassen hat. Versuchen Sie, mit der | |
Person zu sprechen und ihr zu erklären, was sie tun. | |
Wenn möglich, sprechen Sie mit dem Flugkapitän: Er und nicht die Polizei | |
hat im Flugzeug die Hoheitsgewalt. Wenn Sie ihn davon überzeugen können, | |
nicht mit dem Abschiebepassagier an Bord loszufliegen, haben Sie gewonnen. | |
Ihre Chancen stehen dabei nicht schlecht: Rund 300 Abschiebungen aus | |
Deutschland scheiterten im letzten Jahr an der Weigerung des Piloten. Falls | |
möglich, holen Sie sich Öffentlichkeit dazu, per Livestream über soziale | |
Netzwerke. Wenn Ihnen die Live-Übertragung zu viel ist: Filmen Sie, wenn | |
möglich, für später. | |
Danach | |
Wurde die Abschiebung erfolgreich verhindert, kommt die Person in den | |
meisten Fällen anschließend in Abschiebegewahrsam, und natürlich kann auch | |
eine erneute Abschiebung angeordnet werden. Dennoch ist die Verhinderung in | |
vielen Fällen sinnvoll, denn sie verschafft Zeit – Zeit, in der auf | |
mögliche Abschiebehindernisse hingewiesen werden und eine juristische | |
Auseinandersetzung geführt werden kann. | |
Ihnen selbst können nach der Aktion Strafen drohen. Verschiedene Delikte | |
kommen in Betracht, etwa der Eingriff in den Flugverkehr, Verstoß gegen das | |
Luftsicherheitsgesetz, Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder auch | |
Nötigung. Falls Sie den Piloten überzeugen konnten, stehen ihre Chancen | |
allerdings deutlich besser. In jedem Fall: Holen Sie sich rechtlichen | |
Beistand. Sich an die Presse sowie an Asylrechtsorganisationen zu wenden, | |
ist empfehlenswert. | |
Fall 2: Abschiebung von zu Hause | |
Eine Abschiebung im Flugzeug zu verhindern, ist quasi die | |
Last-Minute-Option. Natürlich gibt es auch Möglichkeiten, schon früher | |
aktiv zu werden. Abschiebungen aus der Wohnung, aus der | |
Flüchtlingsunterkunft, aus der Schule oder vom Arbeitsplatz werden immer | |
wieder durch zivilen Ungehorsam verhindert. | |
Wichtig: Vernetzen Sie sich! Wenn Sie erfahren, dass ihre Arbeitskollegin, | |
ihr Nachbar oder der Klassenkamerad ihres Kindes abgeschoben werden sollen, | |
sprechen Sie mit anderen darüber. Falls nötig, vermitteln Sie rechtlichen | |
Beistand. Wenden Sie sich an die Lokalpresse. An vielen Orten gibt es | |
Anti-Abschiebungs-Netzwerke, mit denen Sie Kontakt aufnehmen können – alles | |
natürlich in Absprache mit der betroffenen Person. | |
Wenn Sie den konkreten Abschiebetermin in Erfahrung bringen können: | |
Organisieren Sie eine Sitzblockade, um zu verhindern, dass die Polizei die | |
Person abholen kann. Telefonketten oder Messenger-Gruppen können helfen, | |
Unterstützer kurzfristig zu mobilisieren. Bleiben Sie entschlossen, wenden | |
Sie keine Gewalt an. Gerade wenn sie überraschend kommt, ist die Polizei | |
von so einer Aktion oft überfordert – häufig passiert es, dass sie die | |
Abschiebung abbricht, ohne dass es überhaupt zu einer Konfrontation kommt. | |
Sollte die Polizei die Blockade räumen, lassen Sie sich passiv wegtragen. | |
Die Teilnahme an gewaltfreien Sitzblockaden wird meist nur als | |
Ordnungswidrigkeit geahndet, manchmal werden auch gar keine Personalien der | |
Teilnehmer aufgenommen. | |
Fall 3: Racial Profiling | |
Alle anderen dürfen weitergehen, nur die schwarze Frau vor Ihnen muss den | |
Streifenpolizisten ihren Ausweis zeigen? Gut möglich, dass es sich um einen | |
Fall von Racial Profiling handelt. Offiziell ist es in Deutschland | |
verboten, Menschen nur aufgrund äußerlicher, unveränderlicher Merkmale wie | |
Hautfarbe zu kontrollieren. Dass die Praxis anders aussieht, kritisieren | |
Menschenrechtsorganisationen seit Jahren. | |
Fragen Sie die von der Maßnahme betroffene Person als Erstes, ob Sie ihr | |
helfen dürfen. Stimmt sie zu, muss die Polizei Sie als Beistand akzeptieren | |
– lassen Sie sich davon nicht abbringen, auch wenn die Beamten behaupten, | |
Sie müssten sich entfernen. Bleiben Sie ruhig. | |
Hat die betroffene Person ihren Ausweis noch nicht gezeigt, versuchen Sie, | |
die Kontrolle zu verhindern. Fragen Sie die Polizeibeamten, auf welcher | |
Rechtsgrundlage die Kontrolle durchgeführt werden soll. Am Flughafen oder | |
in Grenzgebieten kann die Verhinderung unerlaubter Einreise die Kontrolle | |
legitimieren, woanders begründet die Polizei ihr Verhalten gerne mit | |
Gefahrenabwehr. So oder so kann es hilfreich sein, die Polizei zu einer | |
rechtlichen Begründung zu zwingen. Lassen Sie sich nicht abwimmeln. | |
Machen Sie Fotos von der Situation oder filmen Sie! Sagen Sie den Beamten, | |
dass die Aufnahmen für Ihre eigenen Unterlagen sind. Wichtig: Erregen Sie | |
möglichst viel Aufmerksamkeit. Sprechen Sie Umstehende und Passanten an, | |
machen Sie sie auf die Situation aufmerksam. Je nach persönlicher | |
Veranlagung können Sie auch zu anderen Mitteln greifen: Wer plötzlich | |
anfängt zu singen oder zu tanzen, den Polizisten seinen eigenen Ausweis zur | |
Kontrolle anbietet oder anders Verwirrung stiftet, kann damit die Situation | |
völlig verändern. Sie können auch selbst Passanten auffordern, ihre | |
Ausweise zu zeigen, um so Aufmerksamkeit zu erregen. | |
Hat die Kontrolle bereits stattgefunden, bieten Sie der betroffenen Person | |
an, als Zeugin zu fungieren. Geben sie ihr dafür Ihren Namen und ihre | |
Telefonnummer. Falls möglich, sammeln Sie die Daten weiterer potenzieller | |
Zeugen ein. | |
Fall 4: Rassistische Polizeigewalt | |
Werden Sie Zeuge von Polizeigewalt, fragen Sie die Beamten nach ihrer | |
Dienstnummer. In den meisten Bundesländern sind sie verpflichtet, Ihnen | |
diese mitzuteilen. Notieren Sie sich die Nummer. Stellen Sie sich als Zeuge | |
zur Verfügung, fordern Sie die Beamten auf, noch vor Ort als solcher | |
aufgenommen zu werden. | |
Versuchen Sie, weitere Zeugen zu organisieren. Geben Sie ihre Kontaktdaten | |
an die Betroffenen weiter. Schreiben Sie direkt danach ein | |
Gedächtnisprotokoll von der Situation, in dem sie so viele Details wie | |
möglich festhalten. Sprechen Sie im Nachhinein mit einem Anwalt, erstatten | |
Sie gegebenenfalls Anzeige und legen eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim | |
zuständigen Polizeipräsidenten ein. | |
Wenn Sie selbst Opfer rassistischer Polizeikontrollen oder von | |
Polizeigewalt werden: Lassen Sie sich nicht einschüchtern – und verweigern | |
Sie vor allem die Aussage. Sie sind nicht verpflichtet, etwas zu sagen. Sie | |
haben das Recht dazu, Ihren Anwalt zu kontaktieren. Sprechen Sie mögliche | |
Zeugen an und bitten Sie sie um ihre Kontaktdaten. | |
25 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/elin.k.ersson/videos/10155723956991274/ | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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