| # taz.de -- Regierungserklärung von Angela Merkel: Kühl bis ins Mark | |
| > Bundeskanzlerin Angela Merkel präsentiert sich bei ihrer Ansprache | |
| > kampfeslustig. Sie bekommt mehr Beifall von den Grünen als von der CSU. | |
| Bild: Bei der Migration gehe es „um eine Schicksalsfrage für Europa“, so K… | |
| Berlin taz | Die Regierungsbank ist um kurz nach neun voll besetzt. Nur der | |
| Hauptdarsteller in dem Drama, das eher Klamotte ist, fehlt: Innenminister | |
| Horst Seehofer, der im Namen der CSU der Kanzlerin ein Ultimatum in Sachen | |
| Flüchtlinge stellte, ist nicht da. Das muss ein Zeichen sein: Aber wofür? | |
| Nackte Arroganz? Oder will Seehofer nicht noch mehr provozieren? | |
| Für Angela Merkels Auftritt im Bundestag gibt es grob gesagt zwei Modi: | |
| Ganz sachlich, und sachlich und energisch. Klar, dass die Kanzlerin, über | |
| die schon politische Nachrufe in den Schubladen liegen, eine für ihre | |
| Verhältnisse passionierte Rede hält. Erst geht es um den Nato-Gipfel, | |
| Merkel präsentiert sich geschickt als unentbehrliche Garantin der | |
| Stabilität in unsicheren Zeiten. In Schachtelsätzen werden „Spannungen in | |
| der Nato“ (ohne Trump zu erwähnen) und, als Kontrastmittel, das „Vertrauen | |
| der Soldaten und Verbündeten in die politische Führung“ angesprochen. | |
| Offenbar meint Merkel sich damit selbst. | |
| Sie skizziert ein Panorama der Weltprobleme: Der Dialog mit Putin muss | |
| geführt, die Achse Paris-Berlin geölt werden. Die Wettbewerbsfähigkeit der | |
| EU muss wie immer erhöht, die Herausforderung der Digitalisierung müssen | |
| gemeistert werden. Vielleicht, sagt Merkel, sei ihre Regierungserklärung ja | |
| besonders wichtig, weil man in Brüssel beim EU-Gipfel über Migration reden | |
| werde. | |
| Ja, vielleicht. Ein Minister stellt, erstmals seit 1949, der Kanzlerin ein | |
| Ultimatum, die Union droht sich zu spalten. Diese Bemerkung, dass diese | |
| Regierungserklärung irgendwie daher von Interesse sein könnte, ist mehr als | |
| Understatement. Sie ist kühl bis ins Mark. | |
| ## Vage Selbstkritik | |
| Merkel zerlegt das Thema Flüchtlinge, so wie sie es mit jedem Thema macht, | |
| in seine Bestandteile, in kleine Stücke, die alles affektiv Aufgeladene – | |
| den Showdown mit Seehofer, Grenzen auf oder Grenzen zu – sogleich irgendwie | |
| handbar erscheinen lassen. Das ist Merkels normale Herrschaftstechnik. So | |
| wird die Asylverfahrensrichtlinie interpretiert und Dublin IV skizziert. | |
| Von sieben Punkten einer gemeinsamen Asylpolitik seien ja nur noch zwei | |
| umstritten. Schwierig, aber das wird schon, irgendwann. | |
| Die CSU-Hysterie und den Showdown am Sonntag erwähnt sie mit keinem Wort. | |
| Merkel verteidigt an zwei Befestigungslinien: Im September 2015 Flüchtlinge | |
| ins Land zu lassen war richtig. Doch jetzt sind Ankerzentren für Migranten | |
| angesagt, die Seehofer will, aber bei denen die Bundesländer zweifeln. Das | |
| wird abgerundet mit ausreichend vager Selbstkritik, nämlich lange die | |
| Grenzstaaten mit Migranten allein gelassen zu haben. | |
| Einmal verspricht Merkel sich und sagt man wolle Migration zwischen den EU | |
| Staaten „stärken, nein steuern“. Die AfD-Fraktion johlt als hätte | |
| Deutschland gerade das 3:2 gegen Südkorea geschossen. Merkel dreht sich | |
| kurz nach rechts und sagt: „Mein Gott, echt mal“. Am Ende ruft sie, es gehe | |
| „bei der Migration um eine Schicksalsfrage für Europa“. Aber auch | |
| Pathosformeln wirken bei ihr etwas buchhalterhaft, zumindest ausgeborgt. | |
| Die CDU applaudiert der Kanzlerin, die Grünen auch manchmal, die SPD dito. | |
| Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef, versucht erfolgreich unbeteiligt | |
| auszusehen. FDP und AfD klatschen kein Mal. Wenn man nicht wüsste, wer | |
| regiert und tippen müsste – das Ergebnis wäre: Merkel ist Chefin einer | |
| Regierung von CDU, SPD und Grünen. | |
| ## Ein talentierter Demagoge | |
| Alexander Gauland stimmt das übliche | |
| AfD-Grenzen-Dicht-zurück-zu-Nationalstaat-Tremolo an. SPD-Fraktionschefin | |
| Nahles bekundet Loyalität für Merkel, mit pflichtschuldiger Kritik an dem | |
| Chaos, das die Union anrichtet. Die SPD möchte in dieser Affäre offenbar | |
| unsichtbar bleiben. Christian Lindner, der die Regierungserklärung betont | |
| mokant belächelte, lässt sich die Gelgenheit nicht entgehen, der SPD unter | |
| die Nase zu reiben, dass auch sie als Regierungspartei den ominösen | |
| Master-Plan von Seehofer nicht kenne. | |
| „Wir wissen wie es ausgeht, wenn man in zentrale Regierungs-vorhaben nicht | |
| eingebunden ist“, so der FDP-Fraktionschef, der mit Merkel offenbar noch | |
| immer Rechnungen offen hat. Recht widersprüchlich ist indes Lindners | |
| Haltung zur CSU. Denn er unterstützt [1][Seehofers nationalen Alleingang] – | |
| und wirft der CSU im nächsten Atemzug vor, dass sie „Merkel in Europa | |
| erpressbar gemacht“ hat. Der Egotrip der CSU hat auch die Fronten von | |
| Regierung und Opposition verwirrt. | |
| Dann tritt [2][der alerte Alexander Dobrindt] an Pult. [3][Er ist ein | |
| talentierter Demagoge.] Den Grünen unterstellt er, eine Untergrenze für | |
| Flüchtlinge zu wollen – und fragt, ob die Grünen „fünf oder zehn Million… | |
| ins Land lassen wollen. Aber dieser rechtspopulistische Ausfall ist der | |
| dröhnende Fanfarenstoß, der übertönt, dass die CSU gerade kleinlaute | |
| Friedensignale Richtung Merkel schickt. So scheint der wütende Widerstand | |
| der CSU gegen den Eurozonenetat, den Macron und Merkel vereinbarten, einem | |
| lauwarmen „Ja, aber“ gewichen zu sein. | |
| Natürlich, so Dobrindt am Schluss, werde die CSU beharren, dass anderswo in | |
| der EU registrierte Flüchtlinge an deutschen Grenzen abgewiesen werden, | |
| wenn es in Brüssel keine Einigungen gebe. Es musste nochmal gesagt werden. | |
| Schütterer Beifall bei der CSU. | |
| So rüstet man nicht zum Kampf, so bereitet man den Rückzug vor. | |
| 28 Jun 2018 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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