# taz.de -- Entwicklungspolitik in Niedersachsen: Fluchtgründe belanglos | |
> Niedersachsen hat den runden Tisch zur Bekämpfung von Fluchtursachen | |
> eingestampft. Kritik kommt von Initiativen aus der Entwicklungspolitik. | |
Bild: Hundert Gründe zu fliehen: Teil eines Wimmelbildes von Janun Lüneburg | |
Hannover taz | Die CDU in Niedersachsen hat Ankerzentren für Flüchtlinge in | |
Nordafrika gefordert. Die EU-Kommission will die [1][Grenzschutzagentur | |
Frontex] verstärken und nicht nur Angela Merkel (CDU) hofft, dass der | |
Flüchtlingsdeal mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan | |
irgendwie hält. Bei all dieser Abschottungspolitik herrscht über eine Sache | |
Konsens: Wenn sich die Zahl der nach Europa fliehenden Menschen verringern | |
soll, müssen die Gründe für die Flucht behoben werden. Die große Koalition | |
in Niedersachsen hat jedoch nun den eigenen runden Tisch zur | |
Fluchtursachenbekämpfung eingestampft. | |
Kritik daran kommt von Organisationen wie dem Verband Entwicklungspolitik | |
Niedersachsen (VEN), dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat oder dem | |
Afrikanischen Dachverband Norddeutschlands, die alle zum runden Tisch | |
gehört hatten. Der ist Teil des Aktionsbündnisses „Niedersachsen packt an�… | |
das die rot-grüne Landesregierung im Jahr 2015 gemeinsam mit | |
zivilgesellschaftlichen Akteuren ins Leben gerufen hat, um | |
Integrationsprojekte voranzubringen (siehe Kasten). | |
Am runden Tisch wurde über die Situation in den Herkunftsländern diskutiert | |
und auch Gelder für Projekte vergeben. Seine Abschaffung sei „ein höchst | |
zweifelhaftes Signal der neuen Landesregierung“, sagt Sebastian Rose vom | |
niedersächsischen Flüchtlingsrat. Am runden Tisch habe es die Möglichkeit | |
gegeben, unter Partnern über entwicklungspolitische Themen zu sprechen. „Es | |
ging konkret darum, was Niedersachsen selbst dazu beitragen kann, | |
Fluchtursachen zu bekämpfen“, sagt Rose. | |
## Gemüseanbau hilft gegen Fluchtursachen | |
Nina Gawol vom Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen verweist auf ein | |
kleines Projekt aus Osnabrück, das über den runden Tisch gefördert worden | |
sei. Das dortige Aktionszentrum Dritte Welt baue in der Provinz Eastern | |
Cape in Südafrika landwirtschaftliche Produktionsbetriebe auf. Insbesondere | |
Frauen solle durch den Gemüseanbau eine Einnahmequelle geschaffen werden, | |
sagt Gawol. „Auch kleine Projekte vor Ort schaffen Perspektiven, sodass | |
Menschen gar nicht in die Situation kommen, dass sie ihre Heimat verlassen | |
müssen.“ | |
In Deutschland seien Stellen für sogenannte Eine-Welt-Promotoren über den | |
runden Tisch finanziert worden. „Der Verein Janun Lüneburg hat damit | |
[2][ein Wimmelbild entwickelt], das zeigt, was die Auswirkungen des | |
Klimawandels mit Flucht zu tun haben“, sagt Gawol. Es gehe darum, nicht nur | |
die Fluchtursachen in den Ländern zu bekämpfen, sondern auch hier ein | |
Bewusstsein dafür zu schaffen. Mit dem Wimmelbild könnten nun Schulklassen | |
arbeiten. „Es ist die Frage, wie gut die Abschottung funktionieren kann, | |
wenn man die Ursachen nicht in den Blick nimmt“, sagt Gawol in Richtung der | |
Landesregierung. | |
Zuständig war bisher das Umweltministerium. Von dort heißt es: „Die | |
Projekte zur Fluchtursachenbekämpfung sollten an einer Stelle innerhalb der | |
Landesregierung konzentriert werden, die über langjährige Erfahrungen in | |
den Bereichen Enwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe verfügt.“ Ein | |
eigenes Gremium des Umweltministeriums hätte diese Bemühungen | |
konterkariert, sagt Ministeriumssprecherin Sabine Schlemmer-Kaune. | |
## Nur der Runde Tisch fällt aus | |
Die Projekte des Landes zur Fluchtursachenbekämpfung würden nicht | |
eingestellt. „Zusätzlich zu den regulären Haushaltsmitteln 2017/18 wurden | |
vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise eine Million Euro für humanitäre | |
Hilfe und Fluchtursachenbekämpfung bereitgestellt“, sagt Schlemmer-Kaune. | |
Das zusätzliche Geld fließe in Projekte im Nordirak, wo in der | |
Vergangenheit bereits in die medizinische Grundversorgung in den kurdischen | |
Gebieten investiert wurde oder Spielplätze gebaut wurden. | |
Abayomi Bankole vom Afrikanischen Dachverband Norddeutschlands hofft, dass | |
die Landesregierung ihre Entscheidung überdenkt. „Es ist immens wichtig, | |
dass es Input von zivilgesellschaftlichen Gruppen gibt.“ Wie die | |
Landesregierung ohne die praktischen Erfahrungen der Initiativen künftig | |
Fluchtursachen bekämpfen wolle, fragt Bankole. „Wir wissen, wo der Schuh | |
drückt.“ | |
Uwe Becker vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt sieht es kritisch, | |
dass das Umweltministerium bei seiner Position bleiben will. „Wenn man sich | |
nicht mehr damit beschäftigt, wird das Problem nicht verschwinden“, sagt | |
er. „Zugegebenermaßen ist der Handlungsspielraum des Landes beim Thema | |
Fluchtursachen klein.“ Es sei deshalb aber gerade wichtig, dass sich die | |
Landesregierung die Sachkompetenz der Initiativen einhole, sagt Becker. | |
„Umso mehr ich weiß, umso besser kann ich agieren.“ | |
10 Jul 2018 | |
## LINKS | |
[1] /EU-Gipfel-zur-Fluechtlingspolitik/!5514193 | |
[2] https://www.janun.de/netzwerk-projekte/janun-l%C3%BCneburg/wimmelbild-klima… | |
## AUTOREN | |
Andrea Maestro | |
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