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# taz.de -- EU-Pläne für Kooperation mit Libyen: Schlepperbasen als Asylzentr…
> Schon Gaddafi internierte Migranten in Zawiyah und Gharian, heute blüht
> hier das Schleppergeschäft. Bald könnten EU-Beamte vor Ort sein.
Bild: Die libysche Küstenwache fing diese Geflüchteten in der Nähe Gohneimas…
Tunis taz | Mohamed Sifauw schaut auf das offene Meer und schweigt.
Zusammen mit 20 Freiwilligen des Roten Halbmonds ist er wie an fast jedem
Wochenende im Sommer verantwortlich für einen 20 Kilometer langen
Strandabschnitt nahe der libyschen Küstenstadt Zawiyah am Mittelmeer. Nur
selten retten die jungen Libyer Überlebende der täglichen Schiffsunglücke,
wo jetzt wieder Hochsaison für die Schlepperbanden ist.
Sifauw hält Ausschau nach Treibholz, an dem es manchmal Migranten zurück an
Land schaffen. Seitdem die Schiffe der Schlepper weiter westlich bei
Garabulli ablegen, braucht Sifauws Team nur noch 20 Leichensäcke pro
Wochenende. Jede einzelne Bergung von Wasserleichen sei traumatisierend,
berichtet der 27-Jährige leise.
Als letzte aktive libysche Hilfsorganisation werden die mit roten Westen,
Mundschutz und Plastikhandschuhen ausgerüsteten Helfer von allen
Konfliktparteien respektiert. „Manchmal rufen uns sogar die Schmuggler an“,
lacht Sifauw, „denn die angeschwemmten Leichen am Strand sind schlecht für
ihr Geschäft“.
15 Tote haben die Helfer in drei Tagen in das Krankenhaus von Zawiyah
gebracht, von wo der Rote Halbmond den Transport zu Massengräbern
übernimmt. „Die grausamen Bilder der Toten gehen einem nicht mehr aus dem
Kopf“, so Sifauw.
## Wöchentlich freiwillige Rücktransporte
Mit dem für Rettungseinsätze zuständigen Maritime Rescue Coordination
Center in Rom haben weder die Aktivisten noch die Sicherheitskräfte
Kontakt. „Wir wissen nicht, was auf See vor sich geht, und die
Bootsbesatzungen wissen nichts über Libyen“, resümiert Sifauw.
In der 200.000-Einwohnerstadt Zawiyah, 30 Kilometer westlich von Tripolis,
steht Libyens größtes Aufnahmelager für illegale Migranten. Bis zu 4.000
Menschen müssen in Al Nasr ausharren, für 560 ist das unter staatlicher
Verwaltung stehende Lager ausgelegt. Die Internationale Organisation für
Migration (IOM) koordiniert mit den lokalen Behörden den freiwilligen
Rücktransport – nach Nigeria, Ghana oder die Elfenbeinküste. Jede Woche
fahren Busse zu den Flughäfen von Zawiyah oder Tripolis.
Nach EU-Plänen könnten hier bald Konsularbeamte aus Europa das Sagen haben
und auf libyschem Boden über das Schicksal der afrikanischen Migranten
entscheiden. Dadurch solle „der Anreiz, sich auf gefährliche Reisen zu
begeben, reduziert werden“, heißt es. Die Auffangzentren sollten „in enger
Zusammenarbeit“ mit UNHCR und IOM entwickelt werden.
„Sollte die Regierung in Tripolis sich mit der EU auf Asylzentren einigen,
kämen dafür nur Zawiyah und weiter südlich Gharian in Frage“, ist sich
Mohamed Sifauw sicher. Die finanziell klamme, politisch schwache
Einheitsregierung könnte ein Abkommen über die Umwandlung der libyschen
Migrantengefängnisse in Asylzentren als Erfolg verkaufen. Auch die vielen
lokalen Milizen sind interessiert: Sie wären dann offizielle
Sicherheitskräfte.
## Über Nacht verschwinden regelmäßig Geflüchtete
Schon einmal war Al Nasr ein Verteilungszentrum für abgewiesene Migranten:
nach einem Abkommen zwischen den damaligen libyschen und italienischen
Machthabern Gaddafi und Berlusconi 2009.
Im Lager El Hamra bei Gharian, ebenfalls 2009 entstanden, landen
diejenigen, die die libysche Küstenwache auf dem Mittelmeer abfängt und
zurückbringt. Der Aktivist Hamza Al-Naj beobachtet seit Jahren das Geschäft
zwischen Milizen, den libyschen Behörden und den aus den Herkunftsländern
der Migranten stammenden Schleppern. „Viele Migranten kaufen sich mit
Arbeit aus dem Lager in Zawiyah frei, die Wärter und die Küstenwache
verlängern für die Schlepper ihre Pausen oder schauen weg“, sagt er, „die
Schlepper zahlen bar auf die Hand.“
Mohamed Sifauw glaubt daher, dass die Asylcenter von einer neutralen Armee
geschützt werden müssten. Regelmäßig verschwinden über Nacht Migranten aus
dem Lager in Zawiyah und werden auf Boote gepfercht – unter den Augen der
IOM, der libyschen Marine und den vom Staat bezahlten Wächtern. Sifauw:
„Alle sind Teil des Schmuggelnetzwerkes.“
Aktivist Hamza Al-Naj glaubt, dass die EU den lokalen Behörden direkt
Mittel in die Hand geben müsste. „Wenn man das Geld nach Tripolis gibt,
verschwindet es.“ Doch erst am Vortag haben Unbekannte einem Mitarbeiter
des Bürgermeisters mit vorgehaltener Waffe das Auto abgenommen. Die
Amtszeiten der 2016 in Libyen gewählten Bürgermeister sind abgelaufen. „Nun
hat die Mafia endgültig das Sagen“, sagt Al-Naj.
Yussef Ibderi, der Bürgermeister von Gharian, sagt, dass die EU nicht in
Libyen arbeiten kann, solange die Gemeinden keine gewählten Autoritäten
haben. Abkommen mit der Einheitsregierung oder Milizen würden zu Protesten
führen.
28 Jun 2018
## AUTOREN
Mirco Keilberth
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