# taz.de -- Flüchtlingsabwehr auf dem Mittelmeer: 17 Überlebende gegen Italien | |
> Italien habe durch die Zusammenarbeit mit Libyens Küstenwache eine | |
> Havarie mit Toten verursacht – so sehen es Überlebende und klagen. | |
Bild: Libyens Küstenwache hat bisher 30.000 Menschen zurück an das Ufer gebra… | |
BERLIN taz | 17 Überlebende eines Schiffsunglücks im Mittelmeer haben am | |
Dienstag Italien beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt. | |
Italien habe durch seine Kooperation mit der libyschen Küstenwache am 6. | |
November 2017 ein Schiffsunglück mit über 20 Toten provoziert, heißt es in | |
der Klageschrift. | |
Die Kläger saßen in einem mit 145 Menschen besetzten Schlauchboot, das an | |
jenem Tag etwa 30 Seemeilen nördlich von Tripolis in Seenot geraten war. | |
Die italienische Rettungsleitstelle hatte die libysche Küstenwache zum | |
Unglücksort gerufen, der in internationalen Gewässern liegt. Dort war | |
bereits das Schiff „Sea Watch III“ der gleichnamigen deutschen | |
Seerettungsorganisation im Einsatz. Sea Watch wollte die Menschen nach | |
Italien bringen – die Libyer wollten sie nach Libyen zurückbringen. | |
Der Rettungseinsatz geriet außer Kontrolle. Menschen schwammen im Wasser, | |
andere versuchten panisch, das Boot der Küstenwache zu verlassen, um an | |
Bord der „Sea Watch III“ zu gelangen. Sea Watch warf der Küstenwache vor, | |
die Schiffbrüchigen geschlagen und Chaos gestiftet zu haben: Die Libyer | |
hätten möglichst schnell möglichst viele Migranten auf ihr Boot ziehen und | |
diese wieder nach Libyen bringen wollen. Davor hätten die Schiffbrüchigen | |
Angst gehabt. | |
„Die Libyer sind gekommen, weil die Italiener sie gerufen haben“, sagt | |
Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Das Schiff der libyschen Küstenwache | |
war wenige Monate zuvor von Italien gespendet worden. „Sie sind die | |
Handlanger der EU.“ Durch den Einsatz seien Familien auseinandergerissen | |
worden. | |
## Internierungslager in Libyen | |
In monatelanger Arbeit haben neben Sea Watch vier NGOs und | |
Universitätsinstitute aus Italien, Großbritannien und den USA den Vorfall | |
rekonstruiert und Kontakt zu den meist aus Nigeria stammenden Überlebenden | |
aufgebaut. Jene, die nach Libyen zurückgeführt wurden, seien unter | |
unmenschlichen Bedingungen festgehalten worden: Schläge, Erpressung, | |
Hunger, Vergewaltigung. Zwei wurden „verkauft“ und mit einem Stromschlag | |
gefoltert, so Sea Watch. Einige seien von der UN-Migrationsorganistion | |
(IOM) nach Nigeria zurückgebracht worden. Unter den KlägerInnen sind auch | |
die überlebenden Eltern von zwei Kindern, die bei dem Vorfall ums Leben | |
kamen. | |
Die Klage wirft ein Schlaglicht auf die Arbeitsweise der libyschen | |
Küstenwache, ein Hauptpartner der EU bei der Abwehr afrikanischer Migranten | |
auf dem Mittelmeer. Wie aus einer am Dienstag bekanntgewordenen Antwort der | |
deutschen Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion bekannt | |
geworden ist, hat die libysche Küstenwache seit Beginn der Kooperation mit | |
der EU im vergangenen Sommer insgesamt 30.000 Menschen zurück nach Libyen | |
gebracht – viel mehr als bisher bekannt. | |
Immer wieder hatten Menschenrechtsorganisationen und UNHCR kritisiert, dass | |
nach Libyen zurückgebrachte Migranten dort in menschenunwürdige | |
Internierungslager gebracht werden. Daran ändert sich offenbar nichts. Die | |
IOM in Libyen wurde lediglich mit europäischer Hilfe mit Tablet-Computern | |
und einer Registrierungssoftware ausgestattet, um zu erfassen, in welches | |
Internierungslager die Flüchtlinge kommen. Alle Mitarbeiter seien hierzu | |
geschult worden, heißt es in der Antwort. Es seien „mit Stand 11. April | |
bereits 2.347 Menschen registriert“ worden. | |
## GoPro-Kameras für die Evaluation | |
Die Registrierung erfolge im Küstenabschnitt zwischen Zuwara und Sirte. | |
Hier sind in der Vergangenheit die meisten Flüchtlingsboote in See | |
gestochen. Am Montag war auch die vollständige Fassung eines Berichts der | |
deutschen Botschaft im Niger über die Zustände in den libyschen | |
Internierungslagern öffentlich geworden. In dem Bericht vom Januar 2017 | |
hatte es unter anderem geheißen, in den Lagern herrschten „KZ-ähnliche | |
Zustände“. | |
Offenbar als Reaktion auf die schweren Vorwürfe gegen die Zusammenarbeit | |
mit der Küstenwache hat die EU-Militärmission Sophia einen sogenannten | |
„Monitoring and Advising Mechanism“ eingerichtet – eine Art | |
Evaluationsmechanismus. Dazu haben die Libyer kleine GoPro-Videokameras | |
erhalten, um ihre Einsätze zu filmen, führt die Bundesregierung in ihrer | |
Antwort auf die Anfrage der Linken aus. Elf Treffen zur Aufarbeitung von | |
Einsätzen habe es mittlerweile zwischen EU und libyscher Küstenwache | |
gegeben. Durch den Mechanismus sei eine „Professionalisierung“ der | |
Küstenwache festzustellen. | |
Das sei „blanker Zynismus“, sagt dazu der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko. | |
Aus seiner Sicht handele es sich „um eine Truppe von Piraten“. | |
8 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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