# taz.de -- „Aquarius“ darf keine Flüchtlinge retten: Plötzliches Ende ei… | |
> Am Wochenende brach die italienische Leitstelle den Rettungseinsatz eines | |
> Bremer Schiffs auf dem Mittelmeer ab und schickte es zurück in den Hafen. | |
Bild: Es geht um Leben und Tod: Die Aquarius bei der Rettungsaktion am vergange… | |
BREMEN taz | Mit gehisster bremischer Flagge und den besten Wünschen der | |
Bürgermeister ist die Aquarius im [1][Februar 2016 in See gestochen]. | |
Allein in den neun Monaten danach hat das Schiff über 6.000 Menschen in | |
Seenot aus dem Mittelmeer gerettet. Als Schirmherr hat Bremens | |
Bürgermeister Carsten Sieling die Rettungsmission von SOS Mediterranée auf | |
den Weg gebracht und auch sein Kollege aus Bremerhaven, Melf Grantz (beide | |
SPD), hat damals gewinkt. Politische Unterstützung könnten die Seenotretter | |
mit dem Schiff aus der Bremer Lürssen-Werft jetzt wieder gebrauchen. | |
Am vergangenen Samstag hat die Besatzung der Aquarius wieder 73 Menschen | |
vor dem Ertrinken gerettet. Das Schiff ist eines der größten | |
Rettungsschiffe im Einsatz – es passen bis zu 500 Personen unter Deck. Aber | |
seit einiger Zeit ist es für Organisationen wie SOS Mediterranée | |
kompliziert geworden: Die Anzahl der Menschen, die über das Mittelmeer | |
fliehen, nimmt zwar ab, aber gleichzeitig steigt die Todesrate, wie Zahlen | |
der internationalen Hilfsorganisation IOM zeigen. Denn wenn die libysche | |
Küstenwache nicht Geflüchtete und Retter*innen mit Waffen bedroht, schiebt | |
die italienische Küstenwache einen Riegel vor die Rettungsmissionen. | |
So erging es der Aquarius am vergangenen Wochenende. Nachdem sie die 73 | |
Menschen aus einem sinkenden Schlauchboot gerettet hatte, wurde ihr | |
Rettungseinsatz von der italienischen Rettungsleitstelle abrupt beendet. | |
Die Italiener teilten dem Schiff mit, dass es mit den Geretteten | |
unverzüglich den Hafen von Messina, Sizilien, anfahren sollte, obwohl an | |
Bord noch 427 Plätze frei waren. Aus Sicht der Besatzung war ihr Einsatz | |
noch nicht beendet: Das Wetter war gut, und in der Regel wagen die meisten | |
Menschen die lebensgefährliche Überfahrt, wenn es zumindest nicht nach | |
Sturm aussieht. | |
„Normalerweise bleiben wir in einem Gutwetter-Fenster länger draußen und | |
patrouillieren vor der libyschen Küste“, sagt Jana Ciernioch von SOS | |
Mediterranée. Begründungen für das jähe Ende des Einsatzes durch die | |
italienische Leitstelle gab es zunächst nicht. Später heißt es, es sei nur | |
in einem kleinen Zeitfenster und in diesem Hafen möglich gewesen, die 73 | |
Geretteten aufzunehmen. | |
## Unübliches Vorgehen | |
Auf Anfrage der taz schreibt die italienische Seenotleitstelle, dass man | |
die ohnehin bereits müden Migranten nicht überstrapazieren wollte und daher | |
umgehend einen sicheren Hafen ansteuern musste. Ein unübliches Vorgehen, | |
wie SOS Mediterranée in [2][einer Mitteilung inf mehreren Sprachen] | |
schreibt. | |
Per Funk machten die Seenotretter gegenüber der Rettungsleitstelle klar, | |
dass sie zumindest noch einen Tag draußen bleiben wollten. „Bei einem | |
Gutwetter-Fenster müssen wir auf See bleiben, sonst ist die Gefahr hoch, | |
dass Leute sterben“, sagt Ciernioch. Aber die Leitstelle blieb bei ihrer | |
Anweisung. | |
Warum sich die Aquarius nicht einfach den Befehlen der italienischen | |
Leitstelle widersetzte? Solange man den Ordern entsprechend handele, | |
bekomme man einen sicheren Hafen zugewiesen, erklärt Ciernioch. Spurt man | |
nicht, kann es passieren, dass das Rettungsschiff beschlagnahmt wird, wie | |
es einer [3][katalanischen NGO mit dem Schiff „Open Arms“ passiert ist]. | |
Dort war man im März einem Boot in Seenot zu Hilfe gekommen, dessen Rettung | |
die libysche Küstenwache für sich beansprucht hatte. Als die nirgends zu | |
sehen war, nahm die Open Arms Frauen und Kinder an Bord. | |
Als die libysche Küstenwache doch noch auftauchte, beanspruchte sie die | |
bereits an Bord befindlichen Frauen und Kinder auf dem NGO-Schiff, um sie | |
nach Libyen zurückzubringen – unter der Androhung von Beschuss. Nach zwei | |
Stunden intensiver Verhandlungen mit Italien und Libyen durfte die Open | |
Arms mit Kindern und Frauen weiterfahren. | |
Allerdings weigerte sich Italien danach einen Tag lang, dem Schiff einen | |
sicheren Hafen anzubieten. Erst verspätet durfte es schließlich in Sizilien | |
anlegen. Wenig später wurde das Schiff beschlagnahmt. Die Crewmitglieder | |
durften Sizilien nicht verlassen – wegen Verdachts auf eine „kriminelle | |
Vereinigung, die illegale Einwanderung begünstigt“. | |
## Eskalation nimmt zu | |
Die Aquarius ersparte sich das und kooperiert lieber mit der Leitstelle in | |
Italien. Aber die Gesamtsituation macht den Retter*innen zu schaffen: Die | |
Übertragung von Verantwortung auf libysche Behörden sei problematisch, sagt | |
Ciernioch. | |
Die Eskalation habe zugenommen. Man stehe als deeskalierende und | |
unbewaffnete NGO auf einmal bewaffneten Einheiten gegenüber. Die | |
Rückführung bereits in internationalen Gewässern befindlicher Personen sei | |
ein Völkerrechtsbruch – bei alledem fehle ein Aufschrei. | |
„In welche Position geraten wir eigentlich als zivile Seenotretter, wenn | |
wir zusehen müssen, wie Leute, die gerade geflohen sind, in das Land | |
zurückgebracht werden, aus dem sie weg wollen und zurück in den Kreislauf | |
der Gewalt kommen?“, fragt sie. Die aktuelle europäische Politik | |
interessiere sich eher für die weitere Auslagerung der Migrationskontrolle. | |
Statt Solidarität erfahren NGOs immer wieder Kritik: Seenothelfer*innen | |
seien dafür verantwortlich, dass viele sich überhaupt trauten, über das | |
Mittelmeer zu fliehen. Eine [4][Studie der Uni Oxford] kam allerdings zu | |
dem gegenteiligen Schluss: Es käme demnach nicht zu einer Sogwirkung durch | |
NGOs. Vielmehr versagten Staaten darin, eine angemessene Reaktion auf eine | |
anhaltende humanitäre Katastrophe zu finden. | |
In Bremen ist man da nicht weiter: Die Anfrage, ob sich der ehemalige | |
Schirmherr der Aquarius, Bürgermeister Sieling, zu dem Vorfall äußern | |
wolle, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
16 May 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://dah-bremerhaven.de/aquarius-1/ | |
[2] https://sosmediterranee.de/nach-rettungseinsatz-im-mittelmeer-aquarius-erha… | |
[3] /!5489612/ | |
[4] https://www.law.ox.ac.uk/research-subject-groups/centre-criminology/centreb… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Mittelmeer | |
NGO | |
Küstenwache | |
Mittelmeer | |
Aquarius | |
Italien | |
Gedenkort | |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Flüchtlingsrettung per Telefon: Hamburgs Ohren auf dem Mittelmeer | |
Miriam Edding hat das „Alarmphone“ mit initiiert, das Geflüchtete in Seenot | |
anrufen können. Die psychische Belastung für die Aktivist*innen ist enorm. | |
629 Gerettete auf der „Aquarius“: Spanien nimmt Geflüchtete auf | |
Seit zwei Tagen harrt das Schiff im Mittelmeer aus, weil Italien und Malta | |
sich weigern, es anlegen zu lassen. Nun kommt Spanien zu Hilfe. | |
Nach Seenotrettung im Mittelmeer: Italien weist 629 Geflüchtete ab | |
Die neue Regierung in Rom will ein Rettungsschiff nicht an Land lassen. Sie | |
fordert Malta auf, die Menschen aufzunehmen. Aber auch Malta weigert sich. | |
Gedenkort für Fluchtopfer: Ein Mahnmal für die Namenlosen | |
Allein in diesem Jahr verschwanden 636 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. In | |
Bremen entsteht nun der erste Gedenkort für Fluchtopfer – auf einem | |
Friedhof in Arsten. | |
Flüchtlingsabwehr auf dem Mittelmeer: 17 Überlebende gegen Italien | |
Italien habe durch die Zusammenarbeit mit Libyens Küstenwache eine Havarie | |
mit Toten verursacht – so sehen es Überlebende und klagen. | |
Seenotrettung auf dem Mittelmeer: Wartequal für hundert Menschen | |
Wegen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Italien und Großbritannien | |
mussten über 100 Flüchtlinge zwei Tage auf einem Boot im Mittelmeer | |
ausharren. | |
Arzt über Flüchtlinge aus Libyen: „Heuchelei der Staatengemeinschaft“ | |
Migranten aus Libyen kommen in Italien oft in lebensbedrohlichem Zustand | |
an, sagt Arzt Alberto Barbieri. Und die Regierungen schauen weg. |