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# taz.de -- Arzt über Flüchtlinge aus Libyen: „Heuchelei der Staatengemeins…
> Migranten aus Libyen kommen in Italien oft in lebensbedrohlichem Zustand
> an, sagt Arzt Alberto Barbieri. Und die Regierungen schauen weg.
Bild: Vor der libyschen Küste hat eine NGO diesen 22-jährigen Eritreer gerett…
taz: Vor einigen Tagen starb ein aus Libyen kommender Flüchtling
unmittelbar nach seiner Ankunft im sizilianischen Hafen Pozzallo.
Mitarbeiter Ihrer Hilfsorganisation Ärzte für Menschenrechte waren vor Ort.
Was haben sie berichtet?
Alberto Barbieri: Das Opfer war ein junger, 22-jähriger Eritreer, er war
1,70 m groß und wog nur noch 35 Kilo, er war völlig unterernährt, und
offenbar hatte er in Libyen keinerlei medizinische Versorgung erhalten.
Hinzu kam, dass er unter Tuberkulose litt, und es ist absolut nicht
auszuschließen, dass er sie sich in Libyen im Lager zugezogen hat. Leider
handelte es sich weder um eine Überraschung und auch nicht um eine absolute
Neuigkeit. Wenn wir nach Libyen schauen, sehen wir ein Land, das für die
Migranten in den letzten Jahren zu einem großen Lager geworden ist, wo sie
gefoltert werden, wo sie unerhörte Gewalt erleben, wo ihnen Ausbeutung und
Tod widerfahren, wo sie entführt und gefangen gehalten werden, um Zahlungen
zu erpressen.
Wer sind die Täter?
Die Akteure sind heterogen. Wir sprechen hier von bewaffneten Banden
genauso wie von Milizen oder Polizeikräften und Mitgliedern der Armee. Und
es geht entweder darum, Zahlungen zu erpressen oder die Menschen zu
versklaven, zur Zwangsarbeit zu pressen. Die Zentren, die formal unter
Kontrolle der Regierung Serraj stehen, sind bloß etwa 30, mit etwa 20.000
Personen. Die Menschen jedoch, die sich in Libyen in Gefangenschaft
befinden, sind wesentlich mehr, Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende.
Wie sind die Zustände in den Lagern?
Aus den Zeugenaussagen, die unsere Mitarbeiter in den letzten vier Jahren
in den italienischen Aufnahmezentren aufgenommen haben, geht hervor, dass
90 Prozent der Flüchtlinge, die über Libyen kamen, Opfer von Folter und
schwerer Gewalt wurden. Das beginnt bei täglichen Schlägen, dazu gehören
aber auch der Entzug von Essen und Wasser, von ärztlicher Versorgung. Die
Leute werden unter unerhörten Bedingungen gefangen gehalten, zu Hunderten
zusammengepfercht auf engstem Raum, sie können oft noch nicht einmal im
Liegen schlafen, sie haben keine sanitären Einrichtungen. Manche von ihnen
erdulden diese Situation über Monate, teils auch über Jahre. Was wir dort
sehen, sind Bilder, die uns an die dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts
erinnern, an die KZs. Wir wissen, wie viele Menschen übers Mittelmeer
kommen. Wir wissen nicht, wie viele dort in den Lagern sterben. Oft kommen
in Italien Personen an, die sich in einer äußerst kritischen
psycho-physischen Situation befinden oder die auch dem Tod nahe sind.
Der jetzt gestorbene Eritreer war nicht der Einzige, der unter schwerer
Unterernährung litt.
Das stimmt. Aber wie gesagt, die gravierende Situation ist nicht erst seit
gestern gegeben, sondern seit diversen Jahren. Damit sind wir bei der
Heuchelei der Staatengemeinschaft. Vor ein paar Monaten trat der
Sicherheitsrat zusammen, weil CNN Bilder von Migranten übertragen hatte,
die in Libyen auf dem Sklavenmarkt verkauft wurden – eine Tatsache, die
seit Jahren bekannt ist.
Italien und die EU verweisen darauf, dass der Versuch, die Abfahrten zu
blockieren, flankiert ist von einer verstärkten Präsenz der Internationale
Organisation für Migration IOM oder des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in
Libyen.
Deren verstärkte Präsenz ist natürlich positiv, genauso wie die Tatsache,
dass – wenn auch in bescheidenem Maß – humanitäre Korridore für Flüchtl…
von Libyen nach Europa geöffnet wurden. Einige hundert Personen wurden dank
der italienischen Regierung und des UNHCR nach Europa gebracht, andere in
afrikanische Länder. Die IOM versucht zudem, freiwillige Repatriierungen zu
organisieren. Das alles ist positiv. Das Problem ist die Kluft zwischen der
gravierenden Situation und den Maßnahmen. Das ist, als wenn Sie bei einer
Lungenentzündung Aspirin verschreiben würden. Das werfen wir nicht bloß der
italienischen Regierung, sondern Europa, der internationalen
Staatengemeinschaft vor, die wegschaut angesichts der Tatsache, dass
Hunderttausende Menschen in Libyen sich in Lagern weggesperrt finden.
20 Mar 2018
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Italien
Libyen
Migration
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