# taz.de -- Das Geschäft mit den Flüchtlingen: Massenmord vor der libyschen K… | |
> Noch nie war die Flucht aus Libyen in die EU so lebensgefährlich. Doch | |
> die Schmuggler nutzen das Chaos im Bürgerkriegsland gnadenlos aus. | |
Bild: Noch nie war die Flucht aus Libyen über das Mittelmeer so gefährlich | |
TUNIS taz | Der Massenmord vor der libyschen Küste findet unter Ausschluss | |
der Öffentlichkeit statt. Schmuggler transportieren ihre menschliche Ware | |
nachts zu den Verstecken an den Stränden: Hunderte Farmen und Villen, | |
sogenannte „Ghettos“, die von Mafianetzwerken aus den jeweiligen | |
afrikanischen Heimatländern betrieben werden. 690.000 Migranten befinden | |
sich nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) | |
zurzeit in Libyen, nur wenige wollen bleiben. | |
Die Chance, es in einem Schlauchboot lebend nach Italien zu schaffen, ist | |
allerdings drastisch gesunken, seitdem Libyen die Seenotrettungszone, | |
[1][in der die eigene Küstenwache zuständig ist], auf 70 Kilometer | |
ausgeweitet hat und weiter draußen die private Seenotrettung wegen der | |
[2][harten Haltung Europas] nicht mehr funktioniert. Noch nie ertranken | |
nach Berechnungen von Hilfswerken proportional so viele Migranten im | |
Mittelmeer wie seit der Schließung der italienischen Häfen für Retter. | |
Die Freiwilligen des libyschen Roten Halbmondes in der Hafenstadt Zauwia, | |
40 Kilometer westlich von der Hauptstadt Tripolis gelegen, schätzen, dass | |
jede Nacht dennoch zehn Boote von dem Küstenstreifen zwischen Tripolis und | |
Zuwara ablegen. Offizielle Angaben dazu gibt es nicht, da die Küstenwache | |
nur noch selten hinausfährt. „Viele der Marinesoldaten erhalten Drohungen | |
von den Schmugglern, aber auch von Freunden oder Verwandten“, sagt der | |
Journalist Taher Zaroog aus Misrata. „Sie riskieren bei den | |
Rettungsaktionen ihr Leben, doch niemand will die Schwarzafrikaner in | |
Libyen. Und es steigen auch immer mehr einheimische junge Leute in die | |
Boote, weil sie die Hoffnung auf Frieden aufgegeben haben.“ | |
Trotz der deutlich gestiegenen Risiken: Die Migrationsroute aus Westafrika | |
ans Mittelmeer, aus der Metropole Lagos in Nigeria über Agadez im Niger bis | |
in die libyschen Küstenorte Zauwia, Garabulli und Zuwara, floriert wieder. | |
Das liegt auch daran, dass die Einheitsregierung unter | |
Übergangspremierminister Fayez Serraj in der libyschen Hauptstadt Tripolis, | |
formell der Partner der EU bei der Abwehr von Flüchtlingen, so schwach ist | |
wie nie. | |
## Es droht ein Zermürbungskrieg | |
Wochenlang wurde im September um die Hauptstadt erbittert gekämpft; eine | |
von den Vereinten Nationen vermittelte Waffenruhe nützen sowohl die | |
Milizen der Einheitsregierung als auch ihre Gegner jetzt dazu, neue Waffen | |
und Truppen aus anderen Landesteilen heranzuholen. Der nächste Krieg um | |
Tripolis steht bevor, obwohl der bedrängte Serraj durch eine | |
Kabinettsumbildung versucht, den Radikalen entgegenzukommen. | |
Seine Ernennung eines neuen Innenministers, Fathi Bashaga, führte | |
allerdings zu Empörung unter der moderaten Zivilgesellschaft. Bashaga, | |
Milizenkommandeur aus der faktisch autonomen Hafenstadt Misrata, hatte zwei | |
Jahre lang den Transport von Waffen für radikale islamistische Kämpfer des | |
„Islamischen Staates“ (IS) und der Gruppe „Ansar Scharia“ organisiert, … | |
in Ostlibyen mit Terror und Mordkommandos nach der Macht griffen. In | |
Tripolis droht nun ein ähnlicher Zermürbungskrieg. Viele Milizen | |
Westlibyens nutzen dieses Machtvakuum, um den Menschenschmuggel, das | |
lukrativste Geschäft in Afrikas ölreichstem Land, wieder aufleben zu | |
lassen. | |
„Den Kämpfen um Tripolis mit über 110 Toten ist auch die | |
EU-Migrationspolitik zum Opfer gefallen“, sagt eine italienische | |
Migrationsexpertin, die an der libyschen Küste für eine internationale | |
Organisation arbeitet. Ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht sehen, | |
um ihre Arbeit mit den verschiedenen Milizen nicht zu gefährden, die die | |
Flüchtlingscamps an dem 300 Kilometer langen Küstenstreifen bewachen, von | |
dem fast alle Boote nach Europa ablegen. | |
Die [3][von der EU mitfinanzierte libysche Küstenwache], die der | |
Einheitsregierung untersteht, hat in den vergangenen 11 Monaten über 13.000 | |
Menschen von Booten auf dem Mittelmeer gerettet und in die 12 Lager | |
gebracht, die libysche Behörden für Migranten und Flüchtlinge eingerichtet | |
haben. Es sind oft nur Fabrikhallen oder leere Schulen. | |
## Katastrophale Lage in den Flüchtlingslagern | |
Der Mangel an Duschen, Wasser und die schlechte Nahrung führen zu | |
Hautkrankheiten und Unterernährung, sagen Helfer, die zu den Lagern Zugang | |
erhalten. Seit den Kämpfen habe sich die hygienische Lage noch einmal | |
dramatisch verschlechtert, zwei Wochen lang war Tripolis von der | |
Wasserversorgung komplett abgeschnitten. Die Gefängnisse in den Bezirken | |
Abu Salim und Saledine wurden von Granaten und Raketen getroffen. | |
So stockt auch das internationale Programm der Rückführung von Migranten in | |
ihre Heimatländer südlich der Sahara. Von den 13.000 auf dem Mittelmeer | |
Geretteten konnte das UNHCR nur 1.200 evakuieren. Daher machen sich viele | |
jetzt erst recht auf den Weg von Tripolis in die umliegenden Küstenorte – | |
auf den Weg ins Ungewisse. „Die EU“, sagt die Italienerin, „macht sich der | |
unterlassenen Hilfeleistung schuldig.“ | |
10 Oct 2018 | |
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[1] /Unterlassene-Rettung-auf-dem-Mittelmeer/!5522908 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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