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# taz.de -- Debatte Zukunft des Iran: Kleiner großer Satan
> Iran hat zum Ende des amerikanischen Zeitalters beigetragen. Durch die
> Fehler der US-Politik ist das Land zur Regionalmacht gewachsen.
Bild: Die Skyline von Teheran – aus Sicht des iranischen Energieministeriums
Hilflos zappeln ganze Völker an den Fäden eines Marionettenspielers. So sah
die US-Politik auf iranischen Propagandabildern immer schon aus. Allerdings
wirkte der „große Satan“ grimmiger als der senfblonde Tunichtgut dieser
Tage. Auch scheint sich die iranische Parole Marg bar Amrika!, Nieder mit
Amerika!, nun im Selbstlauf zu erfüllen.
Politikwissenschaftler konstatieren das Ende des amerikanischen Zeitalters,
mit dessen Niedergang Iran seit fast vier Jahrzehnten auf Engste verkettet
ist. Mehr noch, Iran hat durchaus zum Niedergang beitragen. Zunächst
symbolisch: Die spektakuläre Geiselnahme der US-Diplomaten im November 1979
demütigte 444 Tage lang eine bis dato allmächtig wirkende Großmacht. Die
Überreste eines dilettantischen Befreiungsversuchs (mit Irrflug und
Hubschrauber-Crash) können Iran-Touristen heute in der Wüste besichtigen;
Trümmer einer verfallenen Zeitgeschichte.
Die USA haben diese Niederlage nie verwunden, anders jene in Vietnam, mit
so vielen Gefallenen. Mit Kriegsrhetorik gegen Iran ließen sich immer
Wählerstimmen gewinnen. Die emotionale Fixierung auf den politischen
Lieblingsfeind wird in der iranischen Bevölkerung weitaus weniger geteilt;
viele Iraner lieben Amrika heimlich.
In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten konnte Iran seinen Einfluss im
Nahen Osten in jenem Maße ausweiten, wie die US-Politik dort Katastrophen
anrichtete, vor allem durch die Invasion des Irak. Die Nostalgie, mit der
hiesige Kommentatoren nun das einstige „Ordnungssystem“ des amerikanischen
Zeitalters und seine „Politik der Verlässlichkeit“ zu Grabe tragen, wirkt
seltsam eurozentrisch.
## Lehren aus Nordkorea
Die apostrophierte Ordnung hat im Nahen Osten mit Millionen Toten die große
Unordnung bewirkt, der „War on Terror“ die Welt in Brand gesetzt. Für Iran
waren das Bausteine für die Stufen seines Aufstiegs zur Mittelmacht, bis
zum Verhandlungstisch in Wien.
Die Islamische Republik hat lange Phasen der Isolation relativ gut
überstanden, bei allem Leid der Bevölkerung. Wenn Iran seinen regionalen
Kontrahenten heute als gefährlich stark erscheint, spiegelt sich darin der
Niedergang der USA ebenso wie die iranische Fähigkeit, sich westlicher
Einflussnahme seit 1979 entzogen zu haben.Das kann, fern von religiösen
Attributen, für andere Schwellenländer ein Modell sein.
Die Parallelität von Trumps Gipfeltreffen mit Kim einerseits und dem Bruch
des Nuklearabkommens mit Iran andererseits hält Lehren bereit, die nicht
nur in Teheran gezogen werden, sondern auch von aufmerksamen Beobachtern im
globalen Süden.
Erstens: Iran wird dafür bestraft, sein Nuklearprogramm nicht so weit
getrieben zu haben wie Nordkorea. Das Organ der Revolutionsgarden
formulierte es so: Gaddafi wurde gestürzt, nachdem er sein Atomprogramm
aufgab; Nordkorea habe daraus gelernt, seine Bomben gebaut und erst dann
Gesprächsbereitschaft signalisiert.
## Wirtschaftliche Turbulenzen
Zweitens: Die Doppelzüngigkeit des Westens beim Thema Menschenrechte ist so
offensichtlich, dass sie gar nicht mehr erwähnt wird.
Drittens: Westliche Unternehmen führen die Politik am Nasenring. Erst
ließen sie sich von Europas Politikern den roten Teppich nach Iran
ausrollen, nun stimmen sie mit den Füßen ab, während Europas Diplomatie
noch die Hände ringt. In den USA wird einfach mehr verdient. Wandel durch
Handel? Eine Idee von vorgestern.
Der Westen ist nackt, er hat die Softpower verloren, deren unterwandernden
Einfluss Teheran stets am meisten fürchtete. In die Sparte des ideellen
Niedergangs gehört auch, wie die Internationale Atomenergiebehörde
abgewertet wurde. Sie hatte in zehn Berichten bestätigt, dass Iran seine
Verpflichtungen aus dem Nuklearabkommen erfüllt – nichts nebensächlicher
als das. Irans Rat an Nordkorea, Verträgen nicht zu trauen, ist nur
folgerichtig.
Bisher hat die Islamische Republik besonnen auf die neue Lage reagiert,
jedenfalls nach außen. Im Inneren löste die Furcht vor Sanktionen
wirtschaftliche Turbulenzen aus; der Rial verfällt. Und so gibt es neben
dem Bild vom außenpolitisch starken Iran auch ein anderes: ein
wirtschaftlich und politisch zerrüttetes Land, dessen Sandstürme
ökologische wie metaphorische Bedeutung haben.
Die US-Politik bedient sich beider Bilder gleichermaßen. Sie setzt auf die
Dämonisierung, für die Israels Netanjahu mit Hitler-Vergleichen den Ton
angibt: Iran bedrohe die ganze Welt. Zugleich erweckt Außenminister Mike
Pompeo den Eindruck, Iran ließe sich wirtschaftlich in die Knie zwingen,
strangulieren bis zum Systemwechsel.
## Wer von Systemwechsel spricht, will Krieg
Jeder, der ein wenig vom Nationalbewusstsein der Iraner weiß, mag erahnen,
wie realitätsfern diese Vorstellung ist – und zwar ungeachtet aller
Sozialproteste, die mittlerweile zum iranischen Alltag gehören. Iran hat
bereits einen regime change erlebt, den angloamerikanisch inszenierten
Sturz des Premierministers Mossadegh 1953; ein Ereignis, das allen
politischen Lagern und Generationen Irans so präsent ist, als sei es
gestern passiert.
Wer von Systemwechsel spricht, will Krieg. Und hofft, Teheran werde, in die
Enge getrieben, durch einen falschen Zug dafür selbst den Anlass liefern.
Wozu aber Krieg? Ihn nur fürs Geschäft voranzutreiben würde zum profanen
Ende des amerikanischen Zeitalters passen. Trump will Saudi-Arabien Waffen
für über 700 Milliarden Dollar verkaufen; dafür muss die Iran-Hysterie
geschürt und jegliche Geste der Entspannung vermieden werden.
Ist es so banal? Jedenfalls nützt Druck von außen eher dem iranischen
System. Dafür kam dieser Tage eine Bestätigung von überraschender Seite.
Ardeschir Sahedi, betagter Außenminister der Schah-Zeit, hielt Mike Pompeo
in der New York Times entgegen: Was immer die Iraner über ihre gegenwärtige
Regierung denken würden – „unter einer Bedrohung von außen steht Irans
edles Volk zusammen und verteidigt seine Heimat“.
22 Jun 2018
## AUTOREN
Charlotte Wiedemann
## TAGS
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