# taz.de -- Folgen des Brexit für die Autoindustrie: EU-Austritt mit Vollgas | |
> Die britische Autoindustrie sieht dem Brexit optimistisch entgegen. Doch | |
> zusätzliche Handelsbarrieren könnten der Produktion schaden. | |
Bild: Stellt teure Autos her: McLaren-Geschäftsführer Mike Flewitt | |
WOKING/LONDON taz | Hochpolierte Rennwagen stehen in der Empfangshalle des | |
Autobauers McLaren. Hamilton, Häkkinen, Senna, Prost, Lauda – sie alle | |
gewannen schon ihre Autorennen mit McLaren. Und seit acht Jahren baut | |
McLaren mit seinen 2.500 Angestellten nicht nur Rennwagen, sondern | |
Sportwagen der obersten Luxusklasse: insgesamt 3.340 Fahrzeuge im | |
vergangenen Jahr, ab 150.000 Euro aufwärts bis hin zu millionenteuren | |
Sonderanfertigungen. | |
Geschäftsführer Mike Flewitt macht einen zufriedenen Eindruck in seinem | |
Glas- und Stahlkonstrukt im südenglischen Woking. Manche Modelle sind auch | |
dieses Jahr wieder ausverkauft. Das Renommee von McLaren ist global: Bis zu | |
92 Prozent der Produktion wird exportiert. | |
Das ist auch die Norm für die britische Autoindustrie allgemein, die vier | |
Fünftel ihrer 1,67 Millionen jährlich hergestellten Fahrzeuge ins Ausland | |
verkauft, etwas über die Hälfte in andere EU-Staaten. Die meisten | |
britischen Automarken sind inzwischen in ausländischem Besitz: Mini, | |
Bentley und Rolls Royce sind deutsch, Land Rover und Jaguar indisch – und | |
McLaren gehört dem Staatsfonds von Bahrain und dem saudi-arabischen | |
Unternehmen TAG. | |
Das macht McLaren nicht weniger britisch, findet der 55-jährige Flewitt. | |
„Es geht darum, wie wir unsere Kunden pflegen. In unserer Fahrzeugklasse | |
sind ein italienischer Lamborghini, deutscher Porsche oder McLaren heute | |
alle annähernd gleich.“ | |
Was sagt so ein Unternehmensführer zum Brexit? „Herausforderungen an und | |
für sich sind für einen Rennwagenhersteller die Norm“, versichert Flewitt. | |
Der Brexit sei eine von vielen anstehenden Veränderungen: neue Abgasnormen, | |
neue Kraftstoffquellen, fortschreitende Automatisierung. Wichtig sei vor | |
allem genug Zeit zur Vorbereitung auf Veränderungen. Flewitt sagt, er sei | |
„gegen irgendwelchen extra Papierkram, Verzögerungen oder Zölle, auch wenn | |
es für uns weniger ein Problem darstellt, weil nur 20 Prozent unserer Wagen | |
in EU-Staaten gehen“ – viel weniger als bei anderen britischen | |
Autoherstellern. | |
## Das Beste beider Welten | |
Andererseits: 40 Prozent der Teile für seine Flitzer kommen aus der EU. Um | |
Brexit-Problemen vorzubeugen, führt McLaren alle Teile unter einem Abkommen | |
ein, das ermöglicht, Teile problemlos über Grenzen zu versenden, wenn sie | |
danach nur weiterverarbeitet oder veredelt werden. „Ich bleibe Optimist, | |
dass wir nicht mit Einfuhrzöllen rechnen müssen“, sagt der | |
McLaren-Geschäftsführer. Sollte es doch geschehen, wäre es „reiner | |
Schwachsinn“. | |
Die Regierung von Premierministerin Theresa May will solchen „Schwachsinn“ | |
nicht. „Theresa Mays Vision ist ein Abkommen mit der EU, das uns erlaubt, | |
mit Gütern und Dienstleistungen so barrierefrei wie möglich zu handeln“, | |
erklärt ein Regierungssprecher der taz. Es sollte Großbritannien | |
gleichermaßen erlauben, eigene Handelsabkommen weltweit zu schmieden, sowie | |
auch die Wiederkehr einer harten Grenze an der zukünftigen EU-Außengrenze | |
zu Nordirland vermeiden. Das Beste beider Welten also. | |
McLaren-Chef Flewitt hat 10 Downing Street aufgesucht, um seine Ansichten | |
der Premierministerin zu unterbreiten. Mays Antwort befriedigte ihn nicht, | |
erinnert er sich: „Verhandlungen hätten nun mal ungewisse Ergebnisse“, | |
zitiert Flewitt die Premierministerin. Dennoch glaubt er, dass | |
Großbritannien auch in Zukunft Handelspartner der EU bleiben wird, und | |
verweist auf den zwölfprozentigen Anteil der Autoindustrie an den | |
britischen Exporten insgesamt. | |
Doch auch Mike Hawes, Chef des britischen Autoindustrieverbands SMMT, ist | |
skeptisch angesichts der Position der Regierung. Die Partnerschaftslösung | |
von May, in der unterschiedliche Zugänge zum europäischen Binnenmarkt | |
einzeln verhandelt werden, könne „nie so gut sein wie die derzeitige | |
Situation“, sagt der oberste britische Automobilindustrievertreter der taz. | |
Viele Hersteller operierten in einem äußerst wettbewerbsintensiven Markt, | |
in dem jegliche Zusatzkosten oder Unsicherheit neue Belastungen bedeuten. | |
Das sei gerade dann ein Thema, „wenn es um zukünftige | |
Investitionsentscheidungen in einem globalen Markt geht, wo viele | |
Automarken wie Toyota und Nissan nah an ihren Käufern produzieren und | |
Großbritannien EU-Stützpunkt ist.“ | |
## Weltweit größter Abnehmer für Minis | |
Schon jetzt müsse man für die USA vollkommen andere Autos bauen als für die | |
EU, sagt Hawes: „Pick-up-Trucks statt Fließhecklimousinen.“ Doch das | |
britische Etikett am Auto bedeute heute nicht mehr als der letzte | |
Fertigungsort in einer „globalen Industrie“. 77 Prozent der | |
SMMT-Mitgliedsfirmen waren für den Verbleib in der EU. Hawes sagt: „Für uns | |
muss jegliche zukünftige Lösung annähernd die derzeitigen Verhältnisse | |
widerspiegeln. Wir bevorzugen den Verbleib Großbritanniens im europäischen | |
Binnenmarkt.“ | |
Und wenn nicht? Oder wenn die Brexit-Verhandlungen sogar scheitern und es | |
doch neue Zollschranken gibt? Das könnte zumindest für BMW ein Problem | |
werden. Der bayerische Autofabrikant stellt im britischen Oxford Kleinwagen | |
der Marke Mini her und in Goodwood die Edelschlitten von Rolls Royce. | |
Rolls Royce sei „schon lange nicht mehr ein steifes Auto von reichen | |
britischen Grundbesitzern der 1930er und 1940er Jahre, sondern ein | |
ultramodernes Fahrzeug“, erläutert der britische BMW-Sprecher Graham Biggs | |
der taz. Und Großbritannien bleibt der weltweit größte Abnehmer für Minis, | |
wo „Nostalgie der Swinging Sixties“, wie Biggs es anpreist – wohlgemerkt | |
war diese Zeit vor dem Beitritt Großbritanniens zur EU – „auf deutsche | |
Technik trifft“. | |
Jeden Tag, so Biggs, gehen für BMW 250 Lkws mit über einer Million Teilen | |
durch den Kanalhafen Dover – ein Geschäftsmodell, das auf dem europäischen | |
Binnenmarkt beruht, den Großbritannien im Rahmen des Brexit verlassen will. | |
„BMW kann einiges einstecken“, versichert Biggs, „aber irgendwann erreicht | |
man den Punkt, an dem die Wettbewerbsfähigkeit aus dem Gleichgewicht | |
kommt.“ | |
Andere sind da weniger empfindlich. Anthony Bamford, Besitzer des größten | |
britischen Baufahrzeugherstellers JCB, ist Brexit-Unterstützer und | |
Großspender an Theresa Mays Tories. Sein Unternehmen teilt auf Anfrage mit, | |
man wolle den EU-Handel ausbauen, blicke aber zuversichtlich auf den | |
Welthandel. | |
## Theresa Mays Vision | |
Neben JCB ist der Motorradbauer Triumph einer der wenigen | |
Fahrzeughersteller ausschließlich in britischer Hand. Besitzer John Bloor | |
spendete den Tories vor den letzten Wahlen 400.000 Pfund. Der Motorradmarke | |
aus Hinckley im Norden Englands ist das Britische „unglaublich wichtig“, | |
sagt Verkaufsleiter Paul Stroud der taz: „Es ist die DNA der Marke.“ Auf | |
dem Ruf legendärer Triumph-Fahrer wie Steve McQueen und Elvis Presley | |
aufbauend, verkaufte Triumph letztes Jahr 64.000 Motorräder, Tendenz stark | |
steigend. Anders als bei BMW und McLaren kommen bei Triumph nur 10 Prozent | |
der Teile aus der EU. Vieles stellt Triumph in England selbst her, | |
erläutert Stroud, der Rest komme aus Asien. | |
35 Prozent aller Triumph-Räder gehen in andere EU-Staaten. Das mag Strouds | |
Aussage erklären, wenn er sagt: „Triumph verlangt selbstverständlich die | |
Beibehaltung der aktuellen Lage, Handel mit der EU ohne Zölle.“ Er | |
bemängelt fehlende Klarheit „über die Konditionen, zu denen wir die EU | |
verlassen“. Zugleich aber produziere Triumph auch schon in Thailand und | |
kümmert sich um den chinesischen Markt. „Wir werden uns den Anforderungen | |
des Brexit, was auch immer er bedeutet, anpassen“, beteuert Stroud | |
zuversichtlich. Das ist Theresa Mays Vision: den Handel mit Europa und | |
weltweit ausbauen. | |
Auch McLaren äußert Zuversicht. In sechs Monaten soll auf einem neuen | |
Firmengelände in Sheffield McLarens Kohlefaserherstellung ausgebaut werden. | |
Und auch die großen Firmen legen nach. Toyota plant in Großbritannien | |
Investitionen für das neue Auris-Modell und will Wasserstoff-betriebene | |
Pkws testen. Ein Regierungssprecher sagt, solche Investitionen seien ein | |
Vertrauensbeweis. | |
Tony Burke von der Gewerkschaft Unite, die auch die Autobauer organisiert, | |
beruhigt das nicht. „Sollten Nissan oder Toyota doch die Koffer packen, | |
hätte das katastrophale Konsequenzen“, warnt er. Für ihn geht es nicht nur | |
um Zollfreiheit, sondern auch um den Fortbestand eines fairen | |
Arbeitsrechts. Immerhin seien in Großbritannien 169.000 Personen in der | |
Autoindustrie direkt angestellt, insgesamt hingen an der Branche 814.000 | |
Arbeitsplätze. „Die von der Regierung sollen sich endlich zusammenreißen“, | |
schimpft der Gewerkschaftler. | |
Aber Geschäftsführer Mike Flewitt ist wenig besorgt. „Nächstes Jahr werden | |
unsere neuen McLaren noch besser sein als die diesjährigen“, behauptet er. | |
Wie genau – das wisse er noch gar nicht, weil die Fahrzeuge bereits zu den | |
besten der Welt gehören. „Irgendwie werden sie besser. So ist es immer, und | |
so ist es mit Herausforderungen bei uns.“ | |
7 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
Autoindustrie | |
Zölle | |
Handel | |
Schwerpunkt Brexit | |
Großbritannien | |
Großbritannien | |
Theresa May | |
Theresa May | |
Schwerpunkt Brexit | |
Günther Oettinger | |
Wahlen Großbritannien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Britische Beziehungen zur EU nach Brexit: Offene Grenzen für Waren | |
Theresa May setzt im Kabinett ihre neue Brexit-Strategie durch – ganz ohne | |
Revolten und Rückritte. Deren Kern ist eine Freihandelszone mit der EU. | |
Abstimmung über Brexit-Gesetz: Parlament bekommt kein Vetorecht | |
EU-Befürworter*innen in London wollten dem Parlament ein Vetorecht beim | |
Brexit-Deal verschaffen. Doch Theresa May hat sich durchgesetzt. | |
Brexit-Gesetz im britischen Parlament: Theresa May übersteht das Votum | |
Mammutdebatte im Londoner Parlament: Die Anträge des Oberhauses zur | |
Veränderung des Brexit-Gesetzes fallen im Unterhaus durch. | |
Brexit-Debatte im britischen Unterhaus: Dauerveto für den Brexit? | |
Mit 196 Anträgen versuchen britische EU-Befürworter, den Brexit faktisch | |
unmöglich zu machen. Die Regierung hat kein Gegenkonzept. | |
Fragen an Theresa May: Duell der Rhetorik | |
Die „Prime Minister's Questions“, kurz PMQ, sind Kult. Corbyn attackiert | |
May für ihr fehlendes Weißbuch zu den Brexit-Verhandlungen. | |
Die Isle of Man und der Brexit: Das störende Image einer Steueroase | |
Beim EU-Austritt durften sie nicht mitreden, müssen aber mit den Folgen | |
umgehen. Die Menschen auf der Isle of Man sehen in eine ungewisse Zukunft. | |
Milliarden mehr für EU-Haushalt geplant: Deutschland soll zahlen | |
Durch den Brexit klafft im europäischen Haushalt künftig eine | |
Milliardenlücke. Länder wie Deutschland und Österreich sollen sie | |
ausgleichen. | |
Großbritannien vor der Kommunalwahl: Gekommen, um zu verändern | |
Thurrock ist Brexit-Terrain, Hochburg der Rechten. Der Bürgermeister stammt | |
aus Nigeria. Diese Woche geht er erneut für die Konservativen ins Rennen. |