# taz.de -- Brexit-Debatte im britischen Unterhaus: Dauerveto für den Brexit? | |
> Mit 196 Anträgen versuchen britische EU-Befürworter, den Brexit faktisch | |
> unmöglich zu machen. Die Regierung hat kein Gegenkonzept. | |
Bild: Unter Druck: Premierministerin Theresa May | |
Vordergründig geht es bei den Brexit-Debatten, die am Dienstagnachmittag im | |
britischen Unterhaus begannen, um die Zukunft der Austrittsgespräche | |
Großbritanniens mit der EU. Darüber hinaus steht aber auch die Zukunft der | |
Regierung von Premierministerin Theresa May zur Disposition. Die | |
Parlamentarier behandeln 196 Änderungsanträge zum Gesetzesentwurf, der den | |
Brexit regelt. 15 davon, im Oberhaus gegen den Willen der Regierung | |
durchgesetzt, haben zum Ziel, die britische Brexit-Strategie grundlegend zu | |
verändern. Das Unterhaus kann die Oberhausänderungen wieder kippen – aber | |
wenn nicht, könnte das May den politischen Todesstoß versetzen. | |
Es geht unter anderem darum, das geltende Brexit-Datum des 29. März 2019 | |
aus dem Gesetz zu streichen, dem Parlament ein Weisungsrecht über die | |
Brexit-Verhandlungen einzuräumen, und den Verbleib in der EU-Zollunion | |
beziehungsweise im Europäischen Binnenmarkt als Verhandlungsziele | |
festzuschreiben. Sollte das Unterhaus all das billigen, wäre die Autorität | |
der Regierung May gegenüber der EU dahin. | |
Vor allem der Weisungsrechtsantrag, genannt „Antrag 19“, hat es in sich. Er | |
erweitert ein von EU-freundlichen Konservativen im Dezember 2017 | |
durchgesetztes Vetorecht, wonach jedes Ergebnis der Brexit-Verhandlungen | |
nicht nur mit einer Parlamentsabstimmung gebilligt werden muss, sondern mit | |
einem Gesetzgebungsverfahren, also mit der Möglichkeit der Änderung. Die | |
Regierung strebt seitdem an, wenigstens dabei das Initiativrecht zu | |
behalten. Aber am 23. April beschloss das Oberhaus, dass die Parlamentarier | |
die Regierung stattdessen mit einem neuen Verhandlungsmandat nach Brüssel | |
zurückschicken können, was ihr die Hände bindet. Sollte das jetzt auch das | |
Unterhaus beschließen, könnten die Parlamentarier den Brexit per Dauerveto | |
dauerblockieren, wie in den Debatten Unterstützer des Antrags einräumen. | |
Die Antragsteller wollten die Regierung „nackt in den Verhandlungsraum | |
schicken“, lästerte Brexit-Minister David Davis am Dienstagnachmittag zur | |
Eröffnung der auf zwei Tage angesetzten Debatten. Sollte die | |
Labour-Opposition sich Antrag 19 anschließen, hat er Chancen, da auch | |
einige wichtige Konservative dafür sind. Sehr zum Leidwesen der EU-Freunde | |
bleibt aber Labour-Chef Jeremy Corbyn bislang auf Brexit-Linie. | |
Bei einigen Streitfragen sind Kompromisse in Sicht. In Reaktion auf den | |
Vorstoß zu einem Verbleib in der EU-Zollunion kommt die Regierung durch das | |
Anstreben einer „Zollvereinbarung“ mit der EU ihren Kritikern entgegen. | |
Gerade die Frage der Zollunion macht aber deutlich, wie unentschlossen die | |
Regierung ist – und nur das eröffnet ihren Gegnern überhaupt Spielraum im | |
Parlament. Seit Monaten streitet das Kabinett darüber, was an die Stelle | |
der EU-Zollunion treten soll – ohne Ergebnis. Sämtliche in der Regierung | |
diskutierten Alternativen basieren außerdem auf der Idee, dass sogar nach | |
der geplanten „Übergangsfrist“ nach dem Brexit, die bis Ende 2020 dauert, | |
eine weitere Übergangsfrist folgt, bis ein neues Handels- und Grenzregime | |
steht. Die Frage, ob diese zweite Übergangsfrist ein Enddatum haben soll, | |
brachte David Davis vergangene Woche an den Rand des Rücktritts. | |
Viele Brexit-Befürworter befürchten daher, dass Großbritannien nach dem | |
förmlichen EU-Austritt im März 2019 unbegrenzt weiter EU-Regeln unterworfen | |
bleibt, da die Regierung es nicht schafft, die Nach-EU-Zeit vorzubereiten. | |
Der Brexit sei kein „Ereignis“, sondern ein „Prozess“, heißt die vorne… | |
Umschreibung dieser Aussicht. So rückt die Alternative eines Austritts ganz | |
ohne Vereinbarung wieder stärker in den Vordergrund. Die EU drängt für | |
diesen Fall auf einen sogenannten „Backstop“, der Nordirland weiter | |
EU-Regeln unterwirft, damit es keine Grenzkontrollen an der Grenze zur | |
Republik Irland gibt. Die britische Seite schließt das als faktische | |
Abspaltung Nordirlands aus. | |
Selbst wenn die Anti-Brexit-Anträge im Parlament scheitern – ihre | |
Befürworter wittern Morgenluft. Am Dienstag morgen erklärte | |
Justizstaatssekretär Philip Lee, ein EU-Befürworter, seinen Rücktritt: Es | |
sei „unverantwortlich“, weiterzumachen wie bisher, schrieb er auf seiner | |
Webseite. Die Premierministerin reagierte für ihre Verhältnisse extrem | |
pikiert. Lees Rücktritt sei seine Sache, erklärte Mays Büro. Normalerweise | |
gibt es nach Rücktritten aus der Regierung ein Dankesschreiben. | |
12 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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