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# taz.de -- Proteste junger Geflüchteter in Bremen: Vermessene Praxis
> In Bremen protestieren junge Geflüchtete gegen die Altersfeststellung und
> gegen ihre Unterbringung in Metall-Zelt-Konstruktionen am Rande der
> Stadt.
Bild: Fragwürdige Befragung: Geflüchtete stellen Verfahren zur Altersfeststel…
BREMEN taz | Die letzten Tage waren die Hölle. Immer noch sind die Bewohner
der Notunterkunft Gottlieb-Daimler-Straße am Rande Bremens in ihren
Metall-Zelt-Konstruktionen unter widrigsten Bedingungen untergebracht. Dass
die Sozialbehörde zwar [1][eine Schließung der unmenschlichen Einrichtung
im Winter] versprochen hat, hilft nicht bei Temperaturen von über 40 Grad
in den Metallhütten. Deshalb demonstrieren die etwa 90 Bewohner*innen der
Gottlieb-Daimler-Straße weiter: Für die sofortige Schließung ihrer
unerträglichen Unterbringung und gegen die aus ihrer Sicht
menschenrechtsverletzende Praxis der Altersfeststellung.
Die Bremer CDU-Fraktion hat am Mittwoch in der Bürgerschaft einen
[2][Antrag zur verbindlichen Einführung von medizinischen
Altersfeststellungen] gestellt, obwohl Verfahren wie Röntgenuntersuchungen
von Knochen und Weisheitszähnen als unwissenschaftlich gelten. Die
Bundesärztekammer hielt Ärzt*innen ausdrücklich dazu an, medizinisch nicht
indizierte Röntgenuntersuchungen nicht durchzuführen – weil diese die
Menschenwürde verletzten und zudem nicht in der Lage seien, das Alter
festzustellen. Nach einer kontroversen Debatte wurde der CDU-Antrag
abgelehnt – neben der Union stimmten nur die FDP, AfD und Bürger in Wut
dafür.
Im Norden führt lediglich der Rechtsmediziner Klaus Püschel am
[3][Uni-Klinikum Eppendorf in Hamburg solche Altersfeststellungen durch].
Deswegen verweist auch das Jugendamt in Bremen „im Zweifel“ junge
Geflüchtete nach Hamburg. Denn nach Angaben der Sozialbehörde veranlasst
das Jugendamt bei Zweifeln an einer Altersangabe bereits eine solche
medizinische Untersuchung – gemäß der geltenden Rechtslage.
Wie entwürdigend das sein kann, wissen insbesondere diejenigen, die heute
vor dem Bremer Landtag protestieren: Die jungen Geflüchteten wurden alle
von der Sozialbehörde in eine Unterkunft in einem Industriegebiet am Rande
Bremens gesteckt, weil sie ihrer Altersfeststellung widersprochen hatten.
Die „qualifizierte“ Altersfeststellung des Jugendamtes ergab bei ihnen,
dass die jungen Geflüchtete Erwachsene seien – obwohl die papierlosen
Betroffenen darauf bestehen, minderjährig zu sein. Solange Widersprüche und
Klagen gegen die Altersfestsetzung laufen, sind sie in der unwirtlichen
Zeltstadt neben einem Stahlwerk untergebracht.
Viele der Jugendlichen klagen gegen Altersfeststellungen, nicht selten mit
Erfolg, [4][wie einer ihrer Anwälte im taz-Interview berichtete]. Die
Sozialbehörde spricht davon, dass in Folge von Gerichtsentscheidungen ein
Viertel in der Jugendhilfe verbleiben, weil nicht nachgewiesen werden
könne, dass der Jugendliche erwachsen sei.
Die Unterbringung in der Gottlieb-Daimler-Straße ist aus Sicht der
Betroffenen reine „Schikane“, weil sie es wagten zu widersprechen. Seit
einigen Wochen suchen die etwa 90 jungen Geflüchteten mit Demos die
Öffentlichkeit, um gegen ihre Unterbringung und Einstufung als Erwachsene
zu protestieren.
Wie absurd und unwissenschaftlich dabei eine solche Altersfeststellung im
Jugendamt ist, führen die jungen Geflüchteten während ihrer 24-stündigen
Protestaktion vor der Bürgerschaft in einer Performance auf: Ein junger
Sambier, höchstens 1,70 m, kindliche Gesichtszüge, große Drahtbrille auf
der Nase, sitzt im Jugendamt. Mit Hilfe eines Dolmetschers macht der
Sozialarbeiter des Jugendamtes klar, dass er zunächst fotografiert werden
soll. Zwei „Mugshots“ werden erstellt, einer von vorne, eines von der
Seite. Sie erinnern an Polizeifotos aus amerikanischen Action-Filmen.
Danach darf der Jugendliche sich setzen und muss unzählige Fragen
beantworten: Woher und durch welche Länder ist er gekommen? Kann er
schreiben? Kann er beweisen, dass er schreiben kann? Wo ging er zur
Schule? Durch welche Länder ist er geflüchtet? Warum ist er in Deutschland?
Was will er hier? Er beantwortet die Fragen, ruhig und sachlich: Er ist
gekommen wegen Armut und Perspektivlosigkeit, kann zudem schlecht sehen,
fand in seiner Heimat keine angemessene ärztliche Behandlung.
Eine ärztliche Behandlung bekommt er dann vom Jugendamt: Plötzlich ist der
abgeniedelte Tisch und der olle Scanner auf dem Marktplatz ein
Behandlungszimmer. Zwei andere Geflüchtete spielen in weißen Kitteln die
deutschen Ärzte, die eine Altersfeststellung durchführen wollen. Zwei Ärzte
begutachten den Jugendlichen: „Hallo, ich bin Dr. Bremen“, sagt einer. Sie
schauen kurz in den Mund des Jugendlichen, legen seine Hand auf den Scanner
– die angeblich wissenschaftliche Zahnuntersuchung und eine
Röntgenuntersuchung der Handknochen. „Wie war nochmal der Name?“, stellt
sich der Arzt vor.
## Eine absurde Inszenierung
Es ist eine absurde Inszenierung und eine Form von Verarbeitung und
Selbstermächtigung. Das Ergebnis erfährt der junge Mann schließlich wieder
im Jugendamt: „Sie sind 19 Jahre alt.“ – „Nein, ich bin 16.“ – „D…
müssen Sie akzeptieren, wir sind hier immer noch in Deutschland.“
Die Realität ist tatsächlich entwürdigend, wie aufgestellte Pappwände mit
Dokumentationen von Altersbestimmungen des Jugendamtes belegen. Ausgestellt
sind dort auch ablehnende Bescheide (siehe Kasten), die unter anderem
anhand körperlicher Merkmale und Verhalten den Geflüchteten als Erwachsen
einstufen.
Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) ging vor der Debatte zu den
protestierenden Geflüchteten, um mit ihnen zu sprechen. Sie versprach
erneut, sich so schnell wie möglich um die „nicht optimale“ Unterbringung
in der Gottlieb-Daimler-Straße zu kümmern. Deutlich sei sie gegen den
CDU-Antrag, alle minderjährigen Geflüchteten medizinisch zu untersuchen,
aber sie verteidigte dennoch die derzeitige Praxis des Jugendamtes.
31 May 2018
## LINKS
[1] /!5503528/
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## AUTOREN
Gareth Joswig
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