| # taz.de -- Geflüchteter über seine Unterbringung: „Als wollten sie dich ka… | |
| > Die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Bremer | |
| > Gottlieb-Daimler-Straße demonstrieren für eine menschenwürdige | |
| > Unterbringung. | |
| Bild: Bauten aus Metall und Plastik: Die Flüchtlingsunterkunft in der Gottlieb… | |
| taz: Herr Aguibe, warum soll ich Sie nicht mit Ihrem echten Namen | |
| ansprechen? | |
| Maryiz Aguibe: Wenn die meinen wahren Namen kennen, dann kann ich mich auf | |
| Probleme einstellen: Die können mich abschieben oder aber in eine andere | |
| Stadt verlegen, in der ich nicht sein möchte. | |
| Wer sind „die“? | |
| Die Behörde für Jugend und Soziales. Das machen die so mit Leuten, die sich | |
| hier aus der Deckung wagen. Drei oder vier hat es bereits erwischt, meine | |
| Vorbilder. Das waren die Leute, die damit angefangen hatten, die | |
| Demonstration vorzubereiten, die wir am 15. Mai machen werden. Die wissen | |
| in der Behörde sehr genau, dass du deine Rechte kennst. Und wenn du dafür | |
| eintrittst, trennen sie dich halt von der Gruppe, so, wie sie uns hier von | |
| den anderen Leuten fernhalten. | |
| Hier – also im Lager in der Daimler-Straße? | |
| Ja. | |
| Wie lebt man in der Unterkunft? | |
| Das ist eine gute Frage, denn es ist sehr schwer, hier überhaupt zu leben. | |
| Wenn Leute hier zufällig vorbeikommen, was selten passiert, dann sind sie | |
| oft völlig überrascht und empört, weil sie gar nicht glauben können, dass | |
| es solche Zustände in diesem Land gibt. Wir leben hier, weil wir keine | |
| andere Möglichkeit haben. | |
| Was macht die Situation so unerträglich? | |
| Das Erste ist: Wir leben hier an einem abgeschiedenen Platz, ohne jeden | |
| Kontakt. Wir haben keinerlei Nachbarn, und viele Menschen, die seit jeher | |
| in Bremen wohnen, wissen nicht einmal, wo dieses Lager liegt. Das ist | |
| wirklich ziemlich weit ab von allen Wohnsiedlungen. Dann, zweiter Punkt: Es | |
| sind keine Häuser, sondern eher Zelte… | |
| …Schnellbauten aus Metall und Plastik. | |
| Ja, und ohne vernünftige Klimaanlage. In der kalten Jahreszeit waren die | |
| Hütten entweder völlig unterkühlt oder extrem überhitzt, die Luft drinnen | |
| war furchtbar trocken, sodass fast alle Bewohner ständig nachts Nasenbluten | |
| hatten, allein vom Atmen. Das haben wir gemeldet und es ist dann von einem | |
| Arzt untersucht worden, der bestätigt hat: Das ist eine Folge der | |
| schlechten Luft in den Unterkünften – und man müsste etwas dagegen tun. | |
| Und dann? | |
| Es hat sich nichts geändert. | |
| Aber bessert sich mit dem Wetter Ihre Lage? | |
| Nein, sie verschlechtert sich eher noch. Es sind ja auch nicht nur die | |
| Unterkünfte, sondern auch die restliche Versorgung. Das Essen ist schlecht, | |
| es gibt immer das Gleiche: Morgens Butterbrot, abends Butterbrot und | |
| mittags manchmal etwas Reis, jeden Tag, immer wieder. Wir haben auch keinen | |
| richtigen Zugang zur Gesundheitsversorgung. | |
| Weil das Bremer Modell, die Gesundheitskarte, nur Leute mit geklärtem | |
| Status bekommen? | |
| Ich hatte Probleme mit dem Knie und war beim Arzt. Der hat sich das | |
| angeschaut und gesagt: Dafür musst du eine Pille nehmen. Also hat mir der | |
| Arzt einen Zettel gegeben und gesagt: Mit dem Papier musst du zur AOK | |
| gehen, die stellen dir eine Gesundheitskarte aus, mit der du dir in der | |
| Apotheke das Medikament besorgen kannst. Das habe ich versucht – aber die | |
| Karte habe ich nicht bekommen. Also hätte ich die Medizin für 200 Euro | |
| kaufen müssen. Das Geld hatte ich aber nicht. Wir sind 90 Leute hier – | |
| davon ist die Hälfte ernsthaft krank. Und alle sind frustriert. Wir haben | |
| keine echte Freiheit, und auch keinen Zugang zum Unterricht in der Schule. | |
| In Ihrem Heimatland waren Sie Schüler? | |
| Ja, aber hier kann ich mich nicht weiter bilden. Um auf die Schule gehen zu | |
| dürfen, bräuchten wir eine Art Empfehlungsschreiben, irgendein Dokument. | |
| Aber das bekommen wir nicht. Und in der Schule wird uns dann gesagt: Tut | |
| uns leid, Sie sind nicht im System. Wer nicht im System ist, den können wir | |
| hier nicht unterrichten. | |
| Dabei wären Sie persönlich vom Alter her schulpflichtig? | |
| Ich bin 17 Jahre alt, aber die behaupten, das stimmt nicht. Das wird uns | |
| einfach nicht geglaubt. Die wollen Altersfeststellungen durchführen lassen | |
| – vor denen sehr viele Anwälte aber auch Sozialarbeiter warnen, weil es | |
| keine sicheren Verfahren gibt und es passieren kann, dass sie einen mehrere | |
| Jahre älter einstufen, als man ist. Das ist die Marschrichtung der | |
| Sozialbehörde: Du sollst zu einer Anhörung kommen, damit dein Status | |
| geklärt wird. Wenn du nicht hingehst, streichen sie deine Bezüge – wenn du | |
| hingehst, leugnen sie in dem Gespräch einfach deine Altersangaben. Es ist, | |
| als wollten sie dich kaputt machen. | |
| Wann sind Sie nach Bremen gekommen? | |
| Im Februar. Ich habe die Sahara durchquert, die große Wüste, das Meer, um | |
| hierher zu kommen – und zwar, weil ich vor Augen hatte: Deutschland ist ein | |
| demokratisches Land. Die Deutschen respektieren die Menschenrechte. Ich | |
| kann nicht sagen, wie es mit der Demokratie in Deutschland steht, weil ich | |
| nur Bremen kenne. Aber hier in Bremen existieren Menschenrechte und | |
| Demokratie nicht für uns: Wir sind hier in Hütten untergebracht, in denen | |
| Sie Ihren Hund nicht schlafen lassen würden. | |
| Dann ist für Sie die Zeit hier ganz verloren? | |
| Ich habe mittlerweile alle Hoffnung verloren: Wir sind hier so nutzlos, | |
| werden nutzlos gemacht. Wir gehen nicht zur Schule, wir lernen nichts, wir | |
| können nichts tun, komplett nutzlos, komplett nutzlos. | |
| Ist die Demo heute nur der Protest einer kleinen Gruppe der Insassen des | |
| Daimler-Lagers? | |
| Nein, es wollen wirklich alle 90 demonstrieren. Einige sind so krank, dass | |
| sie nicht gehen können: Sie wollen trotzdem kommen. Andere wurden gewarnt, | |
| dass sie wahrscheinlich einen Kollaps erleiden, wenn sie mitlaufen. Sie | |
| wollen alle dabei sein, weil alle so frustriert sind, weil es für alle so | |
| unerträglich ist. Wir können die Lebensbedingungen nicht länger | |
| akzeptieren, zu denen wir hier gezwungen sind: Wir sind keine Verbrecher! | |
| Wir fordern kein gutes Leben, keinen Luxus. Wir fordern nur das ein, was | |
| Recht ist – unser Recht. Denn auch wir haben das Recht wie Menschen zu | |
| leben: Bitte, lösen Sie dieses Lager auf, bringen Sie uns wie normale Leute | |
| unter. Mehr wollen wir doch nicht. | |
| Das Gespräch wurde auf Englisch geführt. | |
| 15 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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