# taz.de -- Schwarz-rote Regierungspläne: Wenn Mama plötzlich Pflege braucht | |
> Wenn die Eltern zum Pflegefall werden, können Kinder zum Unterhalt der | |
> Eltern herangezogen werden. Das soll sich bald in vielen Fällen ändern. | |
Bild: Bei der Frage, wer für die Pflegekosten aufkommt, geht es auch um Gefüh… | |
Berlin taz | Die Schwiegermutter von Johanna Fricke* war gebrechlich | |
geworden, die alte Dame lebt allein. „Es war klar, dass sie am Morgen und | |
Abend etwas Hilfe braucht“, erzählt Fricke. Sohn und Schwiegertochter sind | |
voll berufstätig. Ein Pflegedienst wurde angefragt. | |
Der Dienst verlangte 1.300 Euro für die ambulante Pflege, doch die | |
Pflegekasse zahlte nur knapp 700 Euro im Monat. Die Rente der alten Dame | |
war zu klein, um die Versorgungslücke auszugleichen. Das Sozialamt sprang | |
ein. | |
Wenig später flatterte ein Brief der Sozialbehörde den Frickes ins Haus. | |
Ihr Einkommen sollten sie angeben, Mietkosten, Ausgaben für berufliche | |
Aufwendungen, Unterhaltskosten für die drei Kinder, Auskunft über das | |
Vermögen. „Wir mussten alles offenlegen“, sagt Fricke. Es war, als hätte | |
das Ehepaar selbst Sozialhilfe beantragt. | |
Am Ende errechnete das Sozialamt einen Betrag von 25 Euro monatlich als | |
Beteiligung der Frickes an der „Hilfe zur Pflege“ für die Schwiegermutter. | |
Das Ehepaar verdient zwar leicht überdurchschnittlich, aber der kleine | |
Betrag kam zustande, weil die hohen Unterhaltszahlungen für drei | |
studierende Kinder zu Buche schlugen. „Wenn die Kinder ihr Studium beendet | |
haben, würden wir nach geltender Rechtslage voll herangezogen“, sagt | |
Johanna Fricke. | |
## Noch kein Zeitplan für vereinbarte Gesetzesänderung | |
Aber das wird wohl nicht passieren. Laut Koalitionsvertrag sollen sich | |
erwachsene Kinder pflegebedürftiger Eltern künftig kaum noch an der Pflege | |
finanziell beteiligen müssen. „Auf das Einkommen der Kinder von | |
pflegebedürftigen Eltern soll künftig erst ab einem Einkommen in Höhe von | |
100.000 Euro im Jahr zurückgegriffen werden“, heißt es im | |
Koalitionsvertrag. | |
Das heißt, auch wer gut verdient, wird künftig eher nicht belastet. Die | |
neue Regelung muss in ein Gesetz gegossen werden, ein Zeitplan dafür stehe | |
noch nicht fest, erklärte eine Sprecherin des zuständigen | |
Bundessozialministeriums auf Anfrage. | |
„Eine solche Neuregelung wird eine größere Zahl von Menschen von der | |
Unterhaltspflicht ausnehmen“, sagt Susanne Hermann, Fachanwältin für | |
Sozialrecht in Baden-Baden. Die geltende Rechtslage ist erheblich strenger. | |
Hermann empfiehlt derzeit Paaren, die zusammen 4.000 Euro oder mehr als | |
gemeinsames Haushaltsnettoeinkommen haben und die keine Kinder mehr | |
unterhalten müssen, sich schon mal „vorsorglich darüber zu informieren“, | |
was denn auf sie zukäme, müsste ein Elternteil ambulante Pflege | |
beanspruchen oder ins Heim. | |
## Geld von der Pflegeversicherung reicht nicht aus | |
Das Geld von der Pflegeversicherung reicht jedenfalls nicht aus, um den | |
Bedarf an professioneller Versorgung zu decken. Immer ist ein Eigenanteil | |
nötig. Hat der oder die Pflegebedürftige nur ein geringes eigenes | |
Einkommen, muss dann das Sozialamt einspringen. | |
Dabei gibt es eine klare Reihenfolge: Zuerst muss der Pflegebedürftige auch | |
mit seinem Vermögen bis auf einen kleineren Schonbetrag die Versorgung | |
mitbezahlen. Eine selbstgenutzte Immobilie ist geschützt, allerdings kann | |
das Sozialamt später dann von den Erben einen Teil des Geldes | |
zurückfordern. | |
Reichen Einkommen und Vermögen nicht aus, wird die Unterhaltsverpflichtung | |
der erwachsenen Kinder überprüft. Aber es gibt Selbstbehalte und | |
Freibeträge. Laut den gesetzlichen Vorgaben können beispielsweise Ehepaare | |
einen Selbstbehalt von 3.240 Euro geltend machen, für Alleinstehende gilt | |
ein Selbstbehalt von 1.800 Euro netto. | |
Hinzu kommen Aufwendungen für erhöhte Wohnkosten, für Fahrtkosten, | |
berufliche Aufwendungen, für eine private Altersvorsorge. Muss auch noch | |
Unterhalt für die eigenen Kinder gezahlt werden, wird auch das | |
berücksichtigt. Die Unterhaltsverpflichtung gegenüber den eigenen Kindern | |
ist immer vorrangig vor dem Unterhalt für die alten Eltern. | |
Ein lediger Alleinstehender mit einem Nettoeinkommen von 2.500 Euro im | |
Monat, einer Warmmiete von 600 Euro und Abzügen durch eine private | |
Altersvorsorge kommt beispielsweise auf eine Beteiligung von 177 Euro im | |
Monat für die alte Mutter oder den alten Vater. | |
Wenn beide Vermählten jeweils 2.000 Euro verdienen, also das | |
Nettohaushaltseinkommen insgesamt bei 4.000 Euro liegt, muss ein Ehepaar | |
bei einer Warmmiete von 900 Euro nur 88 Euro für einen Elternteil als | |
Beteiligung zahlen. Den Rest finanziert das Sozialamt. | |
Bei den Schonvermögen gelten Freigrenzen, die sich nach dem Einkommen | |
richten. Wer beispielsweise 50.000 Euro brutto im Jahr verdient und 35 | |
Berufsjahre hinter sich hat, hat ein Schonvermögen von gut 190.000 Euro. | |
Eine selbstgenutzte Immobilie und ein Auto der Kinder werden überdies nicht | |
angerechnet. Bei Selbstständigen, die ihr Vermögen später erst recht als | |
Altersvorsorge brauchen, kann das Schonvermögen für den Elternunterhalt | |
noch deutlich höher sein. | |
## Schambesetztes Thema | |
Bei der Frage, wer für die Pflegekosten aufkommt, geht es aber nicht nur um | |
Geld, sondern auch um Gefühle. Nicht zuletzt der Eltern selbst. „Es ist | |
sowieso schon schambesetzt, wenn das Sozialamt einspringen muss“, sagt | |
Susanna Saxl, Mitarbeiterin der Pressestelle der Deutschen Alzheimer | |
Gesellschaft. | |
Müssen dann auch noch die Kinder ihre Einkommensverhältnisse offenlegen, | |
ist das für die pflegebedürftigen Eltern ein doppelter Schlag. | |
Die Sorge, dass die Kinder herangezogen werden können, habe individuell | |
manchmal „katastrophale Auswirkungen“, so Saxl. Denn dann wird an Pflege | |
„nur das in Anspruch genommen, was die Pflegeversicherung zahlt“. Die | |
Pflegeversicherung ist jedoch per definitionem keine Vollkaskoversicherung | |
für professionelle Hilfe, es ist immer ein Eigenanteil erforderlich, um den | |
Bedarf zu decken. | |
In der ambulanten Pflege kommt es daher mitunter zur Unterversorgung, wenn | |
das Einkommen und Vermögen der Angehörigen geschont werden soll. Ute | |
Zentgraff, Pflegeexpertin beim Sozialverband VdK, kennt diese Fälle. „Dann | |
kommt der Pflegedienst vielleicht nur dreimal in der Woche und nicht | |
siebenmal“, berichtet sie. | |
Dabei geht es nicht nur um die Unterhaltspflicht der erwachsenen Kinder, | |
sondern auch um das Einkommen und den Erhalt des Vermögens für den | |
Ehepartner des Pflegebedürftigen. Eheleute gelten als | |
„Bedarfsgemeinschaft“, das heißt, das gemeinsame Einkommen und Vermögen d… | |
Paares muss erst bis auf bestimmte Selbstbehalte verbraucht werden, bevor | |
das Sozialamt bei den Pflegekosten einspringt. | |
Der VdK begrüße die geplante Beschränkung des Unterhaltsrückgriffs für die | |
erwachsenen Kinder, sagt Zentgraff. „Aber es müssten alle Angehörigen in | |
diese Privilegierung miteinbezogen werden, auch die Ehepartner“. Die Angst, | |
dass ein Pflegefall zur Verarmung führt, sitzt tief in den Familien. | |
* Name geändert | |
28 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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