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# taz.de -- Asyldebatte der Linkspartei: Unter Linken
> Seit Monaten streiten sich Kipping-Anhänger und Wagenknecht-Freunde. Eine
> Zeitreise hilft, diesen Konflikt zu verstehen.
Bild: 1993 kam Protest gegen die Änderung des Asylrechts auf, die Oskar Lafont…
BERLIN/KÖLN taz | Am Ende dieses grauen Apriltages wird Katja Kipping ein
Foto twittern, auf dem sie scheinbar vor voll besetzten Reihen in der
Kölner Universität spricht. Es geht um Flüchtlingspolitik. Der
Bildausschnitt ist geschickt gewählt, tatsächlich war der 188 Plätze
fassende Hörsaal mit der Nummer VIII vielleicht zu einem Drittel gefüllt.
Aber das Foto ist ein Signal im innerparteilichen Machtkampf: „Was Kipping
und Riexinger, deren Publikumsresonanz bei Veranstaltungen sich in der
Regel in engen Grenzen hält – dazu berechtigt, den Versuch zu unternehmen,
die Spitzenkandidaten zu demontieren, ist eine offene Frage“, hatte
Fraktionschefin Sahra Wagenknecht in einem Brief an die Fraktion
geschrieben. Seht her, sagt das Foto, auch ich, Katja Kipping, kann Säle
füllen.
Wagenknecht gegen Kipping, Kipping gegen Wagenknecht, so geht das seit
Monaten. Für offene Grenzen, gegen offene Grenzen, für eine
Sammlungsbewegung oder dagegen. Rücktrittsdrohungen, Intrigen, Machtkämpfe.
Der Hass aufeinander ist auch bei den Mitarbeitern zu spüren, von denen
manche in vertraulichen Gesprächen kaum mal die eigenen Chefs loben,
sondern stattdessen die jeweilige Gegenseite madigmachen.
Was ist das? Ein Streit zwischen zwei Frauen, die nicht miteinander können?
Ein inhaltlicher Streit?
Wagenknecht „grillt den Profi“
Kipping redet in diesen Wochen vor dem Parteitag beim Katholikentag in
Münster, in Dresden über das bedingungslose Grundeinkommen, in Berlin beim
Karl-Marx-Kongress der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie kann Small Talk,
spricht gerne mit Genossen und Abgeordneten, gilt als begabte Netzwerkerin.
Sie wirkt, als wäre sie in der Partei zu Hause.
Auftritte von Wagenknecht gibt es im Frühjahr nur wenige. Zweimal sagt sie
erkrankt ab, eine Lesung in Erfurt ebenso wie die Fraktionsklausur im März.
Auf dem Flur vor dem Fraktionssaal lästern ihre Gegner: Zeit für Interviews
fände sie immer, die Sitzung lasse sie sausen. Auch zu den
Parteivorstandssitzungen erscheine sie nicht.
Das Geschäft einer Fraktionsvorsitzenden – Abgeordnete einbinden,
Kompromisse aushandeln – ist nicht ihre Stärke. Persönlich wirkt sie immer
etwas unnahbar. Dennoch ist ausgerechnet Wagenknecht zur populärsten
Politikerin der Linken geworden. Im letzten Jahr sprach sie mit der Bunten
über Privates („Geständnis: Sie hätte so gerne Kinder gehabt!“), im Mai
trat sie in der Vox-Kochshow „Grill den Profi“ auf, dort bereitete sie
Schnee-Eier zu.
Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine versucht den Konflikt als von Missgunst
getrieben darzustellen, ausgehend von Kipping. Auf Facebook schreibt er vom
„Neid auf andere, die ähnlich populär oder populärer als man selbst“ sei…
2012: Bartsch gegen Lafontaine
Wenn man den Streit in der Linken wirklich begreifen will, muss man zwei
Zeitreisen machen. Die eine führt ins Jahr 1990, dazu später. Die andere
führt ins Jahr 2012. Damals, am Ende des Göttinger Parteitags, stehen
Delegierte in einer Ecke der Halle und skandieren: „Ihr habt den Krieg
verloren, ihr habt den Krieg verloren!“ Damit verhöhnen Linke normalerweise
Nazidemonstrationen. Hier ist mit „Krieg“ die [1][Auseinandersetzung
zwischen dem Lager] der Reformer aus dem Osten um Dietmar Bartsch und der
Parteilinken um Oskar Lafontaine gemeint.
Bartsch fällt in Göttingen bei der Wahl zum Parteichef durch, knapp gewählt
wird der eher unbekannte Stuttgarter Gewerkschafter Bernd Riexinger, den
das Lafontaine-Lager ins Rennen geschickt hat. Seine Ko-Vorsitzende wird
Katja Kipping, deren Strömung Emanzipatorische Linke damals nur eine
geringe Hausmacht hat. Aber von vielen wird sie zu den Reformern gerechnet,
sie stammt wie Bartsch aus dem Osten. Deshalb hat der Ostler und Reformer
Bartsch schlechte Karten, als Kipping den Frauenplatz in der Doppelspitze
besetzt. Das begründet den Hass des Bartsch-Lagers auf Kipping.
In Göttingen steht die Zukunft der Linkspartei auf der Kippe. 2005 hatte
alles so gut angefangen: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine riefen zur
Gründung der Linkspartei aus PDS und WASG auf. Eine neue,
linkssozialdemokratische Partei sollte entstehen und dem Sozialabbau von
Rot-Grün Einhalt gebieten. Aber die Wirklichkeit war komplizierter: Der
Reformerflügel aus der PDS etwa war als Teil der rot-roten Berliner
Landesregierung mit dabei, als dort Wohnungen privatisiert und Sozialhilfen
gekürzt wurden. Viele Lafontainisten hielten die Bartsch-Anhänger für
Wiedergänger des rechten SPD-Flügels.
Aus der SPD wechselten nur wenige in die Linke. Prominente wie Rudolf
Dreßler und Ottmar Schreiner blieben Sozialdemokraten. So war Lafontaine im
innerparteilichen Machtkampf auf ein Bündnis mit Linksradikalen angewiesen.
Etwa mit der trotzkistischen Gruppe Linksruck.
Das kleine Wunder kommt 2015
Nach der Wahl von Kipping und Riexinger ist der Krieg vorbei, vorerst. Nun
setzt die Guerillataktik ein. In die Medien sickern bald kleine, schmutzige
Leaks aus dem alltäglichen Parteikampf. 2013 berichtet die Welt über ein
„Liederbuch für fröhliche Bartschisten“, das Stücke wie „Auf, auf zum
Bartsch“ enthält. Textprobe: „Die roten Haare werden wir ihr roden, der
Hexe Kipping verweigern wir die Hand.“
Trotzdem geschieht 2015 ein kleines Wunder: Der Lafontaine-Flügel und die
Bartschisten [2][schließen Frieden], Bartsch und Wagenknecht beerben Gregor
Gysi als Fraktionschef. Gemeinsam, als Doppelspitze. Beide haben Vertrauen
in der gemeinsamen Arbeit als stellvertretende Fraktionschefs gewonnen. Das
sogenannte Hufeisen ist geboren: das Bündnis von Parteilinken und
Parteirechten, die Mitte um Kipping und Riexinger behält den Parteivorsitz.
Es hätte Frieden in der Linken herrschen können, wenn nicht gerade zu
diesem Zeitpunkt mehrere Hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland
gekommen wären.
Damit beginnt die zweite Zeitreise, sie geht weiter zurück – bis 1990: Die
Mauer ist gefallen, Oskar Lafontaine SPD-Kanzlerkandidat und
Ministerpräsident im Saarland. Schon im Juli haben fast 100.000 Flüchtlinge
einen Antrag auf Asyl gestellt. In der saarländischen Kleinstadt Lebach
sind rund 1.400 Romaflüchtlinge aus Rumänien untergebracht. Diebstähle
sollen sich häufen. Bürger demonstrieren: „Lebach wird zur
Geisterstadt/weil’s so viel Zigeuner hat“, heißt es auf einem Transparent.
Ein Aufmarsch ins Flüchtlingslager kann gerade noch verhindert werden.
Lafontaine zieht daraus einen Schluss: „Das Asylrecht muss so gestaltet
sein, dass die Bevölkerung es akzeptiert“, sagt er. Ohne die Änderung des
Grundgesetzes sei das „leider“ nicht zu haben. Noch blockt die SPD.
1993: SPD und Union verstümmeln das Asylrecht
Doch zwei Jahre, Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus
Ex-Jugoslawien, rechtsradikale Brandanschläge auf Migranten und einige
Wahlerfolge der Republikaner später ist es so weit: Die SPD beschließt die
sogenannte Petersberger Wende und verstümmelt mit der Union des Asylrecht.
Es bleibt im Grundgesetz verankert, gilt aber nur noch für jene, die nicht
über einen sicheren Drittstaat kommen. Also für fast niemanden mehr. Das
Problem wird auf die EU-Grenzstaaten verlagert: auf Italien, Spanien,
Griechenland.
Die Asylbewerberzahlen gehen massiv zurück, die Anschläge und Wahlerfolge
der Rechtspopulisten auch. 1998 gewinnen SPD und Grüne die Bundestagswahl.
Asyl spielt keine Rolle im Wahlkampf, Themen der sozialen Gerechtigkeit
dominieren. Lafontaine hat der SPD mit der Petersberger Wende den Wahlsieg
1998, das Ende von Kohl und damit die Hoffnung auf eine sozialere Politik
in Deutschland ermöglicht – die aber ausbleibt, weil Lafontaine Schröder
die Kanzlerkandidatur überlassen hat und nach einem halben Jahr als
Finanzminister hinwirft.
Für prinzipienfeste Linke gibt es in den neunziger und nuller Jahren drei
politische Schocks: die Zustimmung der SPD zur Asylrechtsänderung 1993, die
Beteiligung am Kosovokrieg, die Agenda 2010. Lafontaine ist gegen die
letzten beiden, aber die treibende Kraft hinter dem ersten. Als er 2007
Parteichef der Linkspartei wird, ist das vergessen. Die Asylfrage ist ein
Nischenthema geworden.
Auf all diese Schocks reagieren die prinzipienfesten Linken auf zwei
Weisen: Viele halten mehr oder weniger an den alten Regelungen fest, auch
am alten Asylrecht. So handhabt es auch die PDS, die in ihrem Programm von
1993 „offene Grenzen für Menschen in Not“ fordert.
„No border“-Bewegung verankert sich in der Linken
Und es gibt die „No border“-Bewegung, die Ende der neunziger Jahre entsteht
und grenzenlose Bewegungsfreiheit fordert. In sie wandern auch Teile des
postautonomen Milieus ab, das dort seinen Maximalismus auslebt. Die
Postautonomen betonen das Recht von Individuen, ihren Bedürfnissen
nachzugehen: Wer nach Deutschland ziehen will, darf in seinem Willen nicht
eingeschränkt werden. Der Staat hat in ihrem Denken höchstens die Aufgabe,
dafür Hilfen zur Verfügung zu stellen.
Sozialdemokratische Positionen denken dagegen immer auch vom Staat her: Es
ist erlaubt, Anforderungen an Bürger zu stellen. Wer ein Recht auf
Aufenthalt möchte, muss seine Notlage nachweisen und sich integrieren.
Der „No border“-Bewegung gelingt es in den folgenden Jahren, Slogans wie
„Kein Mensch ist illegal“ und „Bleiberecht für alle“ zu popularisieren…
in einer breiteren Linken zu verankern, für die auch Kipping steht. Zudem
strömt ein Teil des postautonomen Milieus in die Linkspartei, besetzt
einflussreiche Jobs in der Parteizentrale und in der
Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Als die Linkspartei 2011 in Erfurt ihr erstes Parteiprogramm beschließt,
schreibt sie nach einem Änderungsantrag aus Sachsen die Forderung nach
„offenen Grenzen für alle Menschen“ hinein – im Entwurf des Bundesvorsta…
war nur von Asyl für „Menschen in Not“ die Rede.
Dann kommt die Kölner Silvesternacht
Damit ist die Lunte in der Linkspartei gelegt, als 2015 das von Lafontaine
22 Jahre zuvor mit verantwortete Asylregime zusammenbricht und Staaten wie
Griechenland oder Italien die Flüchtlinge Richtung Deutschland durchwinken.
Während viele Linksparteiler die Flüchtlinge euphorisch begrüßen, fordert
Lafontaine schon im November 2015 „feste Kontingente in Europa“.
Wagenknecht sagt, dass Deutschland „nicht jedes Jahr eine Million
Flüchtlinge aufnehmen könne“. Der Parteivorstand reagiert mit einem
Beschluss, in dem es heißt, dass Asyl „ein Grundrecht“ sei „und weder du…
Obergrenzen noch durch Kontingente“ eingeschränkt werden könne.
Dann kommt die Kölner Silvesternacht. Bartsch und Wagenknecht treten vor
die Presse, Bartsch redet zur Innenpolitik, Wagenknecht über Erdoğan. Und
schiebt eine Bemerkung zu Köln hinterher: „Wer Gastrecht missbraucht, der
hat Gastrecht dann eben auch verwirkt.“
Es ist ein Satz, wie ihn in diesen Tagen auch Angela Merkel, Malu Dreyer
oder Björn Höcke sagen. Gastrecht, das heißt: Die Flüchtlinge sind wie
Touristen – und nicht vor Krieg oder Verfolgung geflohen. Der Begriff
verschweigt, dass die meisten Flüchtlinge einen Rechtsstatus und
Rechtsanspruch haben, weshalb man sie nicht ausweisen kann.
Umgang mit der AfD
Bis zur Bundestagswahl 2017 streitet die Linkspartei weiter über die
Flüchtlingspolitik, aber der Konflikt bleibt halbwegs unter Kontrolle.
Flüchtlingsunterstützer knallen Wagenknecht auf dem Magdeburger Parteitag
2016 eine Torte ins Gesicht, was auch ihre innerparteilichen Gegner zu
Solidaritätsbekundungen nötigt.
2016 ist das Jahr, als die Briten für den Brexit stimmen und in den USA
Trump gewinnt, in beiden Fällen auch dank vieler Stimmen aus der
Arbeiterschicht. In Deutschland wird „Rückkehr nach Reims“ zum Renner.
Didier Eribon beschreibt darin, wie seine proletarischen Eltern von Wählern
der Kommunisten zu Wählern des Front National werden. Bei der
Bundestagswahl 2017 verliert die Linke viele Wähler an die AfD, gewinnt
aber im Westen vor allem in den Städten dazu.
Soll man die zur AfD abgewanderten Wähler zurückholen? Und wenn ja, mit
welchen Angeboten? Oder reicht es, wenn sich die Linkspartei auf die neuen,
urbanen Milieus konzentriert? Das ist die Debatte, die Oskar Lafontaine
wenige Tage nach der Bundestagswahl vom Zaun bricht: „Man darf die Lasten
der Zuwanderung nicht vor allem denen aufbürden, die ohnehin bereits die
Verlierer der steigenden Ungleichheit sind. Wenn diese Menschen sich nicht
mehr durch linke bzw. sozialdemokratische Parteien vertreten fühlen, wählen
sie in zunehmendem Maße rechte Parteien“, schreibt er auf Facebook. Auch
einen Seitenhieb auf die schlechten Wahlergebnisse von Kipping und
Riexinger in ihren Bundesländern kann sich Lafontaine nicht verkneifen.
In den Wochen darauf geht es drunter und drüber: Bundesgeschäftsführer
Matthias Höhn, ein Mittler zwischen den Lagern, [3][wirft hin]. Kipping und
Riexinger drängen darauf, dass Bartschs und Wagenknechts Rollen in der
Fraktion beschnitten werden, was Wagenknecht mit Rücktrittsdrohungen
verhindert. Auf einer Fraktionsklausur in Potsdam wird der Streit für alle
sichtbar: Auf der abschließenden Pressekonferenz weist Wagenknecht
Riexinger öffentlich zurecht, als der die Anwesenden begrüßt („Bernd, das
ist die Pressekonferenz der Fraktion“).
Das Phantom Sammlungsbewegung
Dann schlagen Wagenknecht und Lafontaine eine Sammlungsbewegung vor, die
die zur AfD Abgewanderten gewinnen soll. Eine Provokation für Abgeordnete
und Mitarbeiter, denn bei einer neuen Partei wären ihre Posten in Gefahr.
Nur haben Wagenknecht und Lafontaine wenig in der Hand: Über Monate gibt es
keine Unterstützer, keinen Aufruf – die Sammlungsbewegung bleibt ein
Phantom. Der linke Flügel setzt sich von Wagenknecht ab, ein Teil der
Reformer sucht den Schulterschluss mit Kipping.
Zurück im Hörsaal in Köln, an dem regnerischen, grauen Tag im April.
Kipping spricht zum Thema „Wer flüchtet schon freiwillig?“. Das Publikum
weiß, wer gemeint ist, auch wenn der Name Wagenknecht nicht fällt. „Ich bin
nicht in die Politik gegangen, um dem Zeitgeist nach dem Mund zu reden. Ich
stehe zum Recht auf Asyl“, sagt Kipping unter Beifall.
Wagenknecht lädt nach ihrer Genesung Mitte Mai Hauptstadtjournalisten zu
einer der regelmäßigen Hintergrundrunden der Fraktion. Es gibt Wein,
Antipasti und Nudeln im Il Punto, einem noblen Italiener, der schon in Bonn
Parlamentarier und Medien verköstigte und in Berlin eine Zweigstelle
eröffnete. Die rund 20 Journalisten fragen lustlos nach Parteitag und
Sammlungsbewegung, der Dauerstreit in der Linken ist Routine geworden. Aus
solchen Gesprächen darf nicht zitiert werden, deshalb nur so viel:
Wagenknecht sagt wenig, was über die offiziellen Verlautbarungen
hinausgeht.
Aber am nächsten Morgen hat Spiegel Online ein Entwurfspapier für die
Sammlungsbewegung. [4][„Fairland“ soll sie heißen], Wagenknecht dementiert
den Namen wenige Tage später. Der linke Flügel der Partei schimpft,
Bundesvorstandsmitglied Thies Gleiss schreibt von der „wachsenden
Verblödung“ eines Teils der Parlamentsfraktion. Lafontaine spricht wenige
Tage später in Saarbrücken [5][gegenüber der taz] von „Tätern, die sich a…
Opfer dargestellt“ hätten – und meint Kipping und Riexinger.
In zwei Jahren werden die Karten neu gemischt
Der böse Tonfall hält an. Und dennoch wird der Parteitag am nächsten
Wochenende wohl glimpflich ablaufen. Im Leitantrag ist wieder von „offenen
Grenzen“ die Rede, allerdings in einer Fassung, die wie ein Bibelzitat die
Auslegung in alle Richtungen ermöglicht. Und: Das Wagenknecht-Bartsch-Lager
hat keine Gegenkandidaten zu Kipping und Riexinger gefunden. Es ist die
letzte Amtsperiode der Parteichefs, niemand will sich verbrennen. Erst in
zwei Jahren werden die Karten neu gemischt.
Was treibt nun den Streit in der Linkspartei an? Neid, inhaltlicher Streit
oder die Unerbittlichkeit von Linienstreiten in linken Parteien?
Wahrscheinlich ein bisschen von allem.
Am Ende des Parteitages werden sie in Leipzig wieder „Die Internationale“
singen. Die Musik vom Band, ein paar Fäuste gereckt. Ein Ritual, das der
Linken etwas peinlich geworden ist. Besser passen würde es, sie läsen zum
Schluss Bertolt Brechts „An die Nachgeborenen“ vor: „Ach, wir / Die wir
den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit / Konnten selber nicht
freundlich sein. / Ihr aber, wenn es soweit sein wird / Daß der Mensch dem
Menschen ein Helfer ist / Gedenkt unsrer mit Nachsicht.“
7 Jun 2018
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## AUTOREN
Martin Reeh
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