# taz.de -- Lafontaine über parteiinternes Mobbing: „Täter stellten sich al… | |
> Vor dem Parteitag spricht Links-Politiker Lafontaine über den | |
> Richtungsstreit. Und darüber, wie es um die Pläne für eine linke | |
> Sammlungsbewegung steht. | |
Bild: Lafontaine in Saarbrücken. Dem Linken-Bundesparteitag in Leipzig bleibt … | |
taz: Herr Lafontaine, in einer Woche trifft sich die Linkspartei zum | |
Leipziger Parteitag. Fahren Sie hin? | |
Oskar Lafontaine: Nein, ich bin kein Delegierter. | |
Sie schauen sich das Ganze im Fernseher oder im Netz an? | |
Sicher. | |
Am Sonntag hat die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen die | |
Parteispitze um Katja Kipping und Bernd Riexinger angegriffen. Die beiden | |
würden gegen Fraktionschefin Sahra Wagenknecht vorgehen, statt zu | |
integrieren. Wagenknecht und Sie haben schon in der Vergangenheit Ähnliches | |
gesagt. Teilen Sie Dağdelens Auffassung immer noch? | |
Halten wir uns an Tatsachen. Nicht die Fraktionsführung hat versucht, die | |
Parteiführung zu entmachten, sondern die Parteiführung hat versucht, die | |
Rechte der Fraktionsvorsitzenden zu beschneiden. Das war zumindest kein | |
integrativer Akt. Nicht die Fraktionsspitze hat gesagt, sie wolle die | |
Parteiführung wegmobben, sondern der Parteivorsitzende Riexinger hat in | |
Madrid nach einigen Gläsern Wein die Absicht bekundet, Sahra Wagenknecht | |
[1][wegzumobben]. | |
Das bestreitet Riexinger. | |
Klar. Aber es liegt eine eidesstattliche Versicherung dafür vor. Nicht die | |
Fraktionsspitze hat die beiden Vorsitzenden beleidigt, sondern vor allem | |
Sahra Wagenknecht werden Rassismus, Nationalismus und AfD-nahe Positionen | |
vorgeworfen, vor allem aus dem Umfeld der Parteivorsitzenden. So etwas ist | |
nicht geeignet, die Zusammenarbeit auf eine tragfähige Basis zu stellen. | |
Wie hilfreich ist es denn, umgekehrt Vorwürfe gegen die Parteiführung in | |
der Öffentlichkeit immer wieder zu wiederholen? | |
Das ist notwendig geworden, als sich die Täter als Opfer darstellten. | |
Nach diesem Streit wäre anzunehmen, dass es auf dem Parteitag | |
Gegenkandidaturen gegen Kipping und Riexinger geben würde. Es gibt sie aber | |
nicht. | |
Das müssen Sie die zuständigen Akteure fragen. Vielleicht liegt es daran, | |
dass die Fraktionsspitze die Partei nicht in eine Zerreißprobe treiben | |
will. | |
Worauf zielen denn dann die Angriffe auf die Parteispitze – auf einen | |
Denkzettel bei der Wiederwahl? | |
Das ist aus meiner Sicht ziemlich uninteressant. Es geht auch in der Partei | |
Die Linke um einen Konflikt, der weltweit die traditionellen | |
Arbeiterparteien einschließlich der Demokraten in den USA seit Jahren | |
beschäftigt. Am besten hat dies die amerikanische Philosophin Nancy Fraser | |
auf den Punkt gebracht, indem sie von einem „progressiven Neoliberalismus“ | |
sprach und ihn so definierte: Minderheitenthemen, die durchaus wichtig | |
sind, wie etwa die Rechte der Homosexuellen oder die Rechte der | |
Migrantinnen und Migranten, rücken in den Mittelpunkt des linken Diskurses | |
und verbünden sich mehr oder weniger mit dem vorherrschenden neoliberalen | |
wirtschaftlichen Denken. Hillary Clinton war die Symbolfigur dafür. Dann | |
kommt es zu massiven Abwehrreaktionen der Verlierer der neoliberalen | |
Globalisierung, die auch in Deutschland zu beobachten sind. Arbeitnehmer | |
oder Arbeitslose wählen zum Teil AfD, weil sie sich von den linken Parteien | |
nicht mehr vertreten fühlen. | |
Was hat die Parteispitze damit zu tun? | |
Auch die Partei Die Linke verliert bei Arbeitern und Arbeitslosen. Bei | |
Arbeitnehmern gibt es die Bereitschaft, anderen zu helfen. Aber wenn die | |
beiden Parteivorsitzenden fordern, alle, die nach Deutschland kommen, | |
sollen ein Bleiberecht haben und 1.050 Euro im Monat erhalten, dann | |
schütteln die meisten nur noch mit dem Kopf. Weil man die Frage der | |
Finanzierbarkeit ausklammert, was auf dem jetzigen Parteitag wieder | |
geschehen soll. | |
Inwiefern? | |
Im Leitantrag steht der bemerkenswerte Absatz: „Jahrelang haben die | |
Menschen erfahren, dass öffentliche Gelder nur im Konkurrenzkampf verteilt | |
werden: für die Bibliothek oder den Sportplatz, für die Schule oder den | |
öffentlichen Nahverkehr – für Geflüchtete oder für die einheimische | |
Bevölkerung. Diesen falschen Gegensätzen stellen wir uns entgegen. Wir | |
wehren uns dagegen, dass die Bedürfnisse der Menschen gegeneinander | |
ausgespielt werden.“ Keiner bestreitet, dass über eine andere Steuerpolitik | |
und höhere Einnahmen auch mehr öffentliche Leistungen finanziert werden | |
können. Aber wir können nicht so tun, als stünden grenzenlos | |
Haushaltsmittel zur Verfügung. Zudem ist es absurd, wenn mit großer | |
ideologischer Hartnäckigkeit die Lohn- und die Mietkonkurrenz geleugnet | |
werden, die entstehen, wenn sehr viele Menschen zu uns kommen. | |
[2][In der sogenannten Liebeserklärung] an die Linkspartei, die von vielen | |
Landesvorsitzenden unterzeichnet wurde, heißt es: „Wenn Wohnungen für | |
Deutsche und Geflüchtete nicht reichen, dann heißt die Lösung nicht | |
‚Geflüchtete raus‘, sondern ‚mehr Wohnungen‘.“ Was ist daran falsch? | |
Niemand von uns ruft „Geflüchtete raus“. Aber mit dem Allgemeinplatz „me… | |
Wohnungen“ drückt man sich vor der Einsicht, dass auch Wohnungen nicht | |
unbegrenzt gebaut werden können. Schon gar nicht kurzfristig. | |
Sie haben kürzlich [3][in einem Spiegel-Interview] gesagt: Politisch | |
Verfolgte müssen Asyl erhalten, Kriegsflüchtlingen muss geholfen werden. | |
Ein paar Absätze später sagen Sie: Ich bin für die Sicherung der | |
europäischen Außengrenzen. Soll der Dublin-Status weiterhin gelten, dass | |
die Staaten an den europäischen Außengrenzen wie Italien oder Griechenland | |
die Flüchtlinge aufnehmen müssen? | |
Ich bin für eine Verteilung der Schutzbedürftigen innerhalb der | |
europäischen Staaten. Das ist bislang aufgrund der Fehler der | |
Bundeskanzlerin im Jahr 2015 leider gescheitert. Wenn wir das Europa der | |
Werte beschwören, können nicht nur einzelne Länder helfen, während andere | |
diese Hilfen mehr oder weniger verweigern. | |
Dann sagen Ihnen Kritiker aus der eigenen Partei, es wäre nicht zumutbar | |
für Flüchtlinge, sie etwa in Bulgarien oder Ungarn unterzubringen. | |
Das heißt, die Flüchtenden dürfen auswählen, wo sie Aufnahme finden wollen. | |
Dann werden sie, was ihnen niemand verdenken kann, in die Länder gehen, wo | |
es die besten sozialen Leistungen gibt. Das ist auf Dauer nicht | |
aufrechtzuerhalten. | |
Sie haben zusammen mit Sahra Wagenknecht [4][eine Sammlungsbewegung | |
angekündigt]. Jetzt sieht es so aus, als würde, wenn es losgeht, die aus | |
nicht viel mehr als einer Homepage bestehen. Haben Sie sich verzockt? | |
Wie kommen Sie darauf? Ich verstehe die Sammlungsbewegung als Appell an die | |
linken Parteien, ihre eigene Situation zu reflektieren. SPD, Grüne und | |
Linke werden mit ihrer jetzigen Aufstellung auf absehbare Zeit keine | |
politische Mehrheit haben, weil der progressive Neoliberalismus zu sehr die | |
Agenda bestimmt. Mein Anliegen ist, dass die traditionellen | |
Gerechtigkeitsthemen wieder von diesen Parteien aufgegriffen und vertreten | |
werden. Die Resonanz ist schon jetzt groß. Wir bekommen viele Anfragen, wie | |
man mitwirken und sich beteiligen kann. Dass wir derzeit keine große | |
Bewegung auf der Straße haben, wie die Montagsdemonstrationen gegen die | |
Agenda 2010, weiß ich auch. Aber das entbindet nicht davon, nach Wegen zu | |
suchen, um politisch etwas zu verändern. | |
Was passiert dann konkret im Herbst, wenn Sie starten wollen? | |
Wir haben ja ein Beispiel in La France insoumise in Frankreich. Dort gelang | |
es, über eine Internetplattform viele Menschen zu sammeln. Das war die | |
Grundlage für die Kandidatur von Jean-Luc Mélenchon zur | |
Präsidentschaftswahl. Natürlich haben wir ein anderes Wahlsystem und eine | |
andere Ausgangssituation. Aber die digitalen Medien sind heute der beste | |
Weg, um eine solche Sammlungsbewegung in Gang zu setzen. | |
Eine eigene Partei soll das nicht mehr werden? | |
Das war von Anfang an ein von Journalisten und einigen „Parteifreunden“ | |
befeuertes Missverständnis. | |
Wenn Sie wieder linke Mehrheiten haben wollen, brauchen Sie auch die SPD. | |
Wenn deren Umfragewerte auch in einem Jahr noch zwischen 15 und 20 Prozent | |
stehen: Bleibt die SPD eisenhart in der großen Koalition? | |
Es ist schwer, heute noch Prognosen zur SPD abzugeben. Das Kernproblem der | |
SPD ist, dass sich ihr Führungspersonal weigert, auf die Stimmen der | |
Wählerinnen und Wähler zu hören. Man hat den Eindruck: Selbst wenn die SPD | |
weniger als 10 Prozent bekäme, wäre die Parteispitze nicht der Meinung, sie | |
müsste ihre Politik ändern. | |
Vor dem erneuten Gang in die Große Koalition gab es doch einen größeren | |
Basisaufstand. Ein Zeichen der Hoffnung? | |
Ich hoffe seit fast 20 Jahren. Meines Erachtens war die Argumentation der | |
Jungsozialisten gegen die Große Koalition, die ich begrüßt habe, zunächst | |
zu wenig inhaltlich unterlegt. Jetzt erheben sie zwar einige Forderungen, | |
die klassische Forderungen der Partei Die Linke sind und früher | |
Programmpunkte der SPD waren, etwa nach einer Vermögenssteuer oder einem | |
höheren Mindestlohn. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass der Druck groß | |
genug ist, um die Politik der SPD zu ändern. | |
Sind Sie von Andrea Nahles enttäuscht? Sie hat ihre Karriere ja in der | |
SPD-Linken begonnen. | |
Ich reduziere meine Kritik nicht auf Frau Nahles. Sie hat leider die | |
Karriere vieler Jungsozialisten gemacht – die Diagonalkarriere: von links | |
unten nach rechts oben. Aber sie hat dafür im Gegensatz zu anderen immerhin | |
einige Jahre gebraucht. | |
31 May 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Linke-im-Zwist/!5497706 | |
[2] https://www.xn--eine-liebeserklrung-uwb.de/aufruf/ | |
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/oskar-lafontaine-von-einer-linken… | |
[4] /Wagenknecht-will-Sammlungsbewegung/!5474433 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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