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# taz.de -- Die Wahrheit: Nazis jagen, Linke sammeln
> Die Chancen für eine neue linke Sammlungsbewegung stehen gut – könnten
> aber gerade verspielt werden.
Bild: Mit Schirm, Charme und Mikrofonen: zwei gesammelte Linke
Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht haben es wieder einmal geschafft.
Mit ihren flammenden Appellen, eine linke Sammlungsbewegung zu gründen,
haben sie die Diskussion über eine alte Leidenschaft neu entfacht. Zwar
wurde der Vorstoß des linken Powerpärchens im etablierten Politbetrieb
skeptisch aufgenommen, bei den Leuten draußen im Land findet die Initiative
jedoch Anklang. Offenbar bedient sie eine tiefverwurzelte nostalgische
Sehnsucht und feiert einen urtümlichen Lebensstil, der in der
Öffentlichkeit jüngst wie ausradiert erschien.
Das Sammeln steht derzeit nämlich nicht in bestem Ruf, wie Freizeitforscher
bestätigen. Das war einmal anders. Über Jahrzehnte hinweg galt es als
Inbegriff des gelungenen Lebens, einem Sammelhobby zu frönen und daran bis
zum Grab festzuhalten. Wer eine gut gepflegte Briefmarkensammlung sein
eigen nannte, erfreute sich stets einer großen Schar von Bewunderern und
obendrein eines sagenhaften Liebeslebens.
Diese Zeiten sind vorbei, denn die Generation E-Mail weiß nicht mehr, was
Briefmarken sind. Die Schallplattensammlung gilt ihnen nur noch als
randständige Obsession von graubärtigen Nerds und kahlköpfigen
Exzentrikern, und selbst relativ moderne Sammelobjekte wie CDs und DVDs
werden kaum mehr gehortet, seit die jungen Menschen auf ihren Geräten
lediglich die Abonnements von Streamingdiensten zusammentragen.
Trotzdem gibt es immer noch genügend Deutsche, die im Sammeln Glück und
Erfüllung finden. Insbesondere die Generation der Babyboomer sammelt, was
ihr in die Hände fällt: von Zuckerpäckchen bis Kinokarten, von antiken
Goldmünzen bis hin zu Nazi-Devotionalien. Katja Königs ist so ein Mensch.
Die 59-jährige Versicherungsangestellte aus Hannover sammelt für ihr Leben
gern: Glanzbilder, Elefantenfigürchen, Singles von Hans Albers –
Hauptsache, die Sammlung wurde weitflächig angelegt, uferte über die Jahre
aus und versandete, wenn klar wurde, dass die angestrebte Vollständigkeit
unerreichbar war.
Irgendwann jedoch sind die Dachböden und Kellerräume vollgerümpelt. In
Sammlerkreisen schlugen die Aufrufe Lafontaines und Wagenknechts deshalb
ein wie eine Bombe – und zwar wie eine äußerst seltene britische aus dem
Zweiten Weltkrieg, die in Internetforen mit bis zu sechsstelligen Summen
gehandelt wird. Auch Katja Königs, die sich während ihres Studiums in
linken Hochschulgruppen engagiert hatte, glaubte nach Jahrzehnten der
politischen Abstinenz, endlich wieder eine weltanschauliche Heimat gefunden
zu haben.
„Meine Streichholzschachteln aus Nicaragua, meine Makramee-Eulen aus den
frühen Achtzigern und das gute Geschirr meiner Omi sollen unbedingt der
neuen Bewegung zugute kommen“, sagte Königs nach Lafontaines und
Wagenknechts Vorstößen begeistert. „Wenn das linke Deutschland die Mühe zu
schätzen weiß, die ich und meine Vorfahren da reingesteckt haben, wären
mein Erbe dort bestens aufgehoben.“
Nur wenige Wochen später ist bei ihr allerdings Ernüchterung eingekehrt.
Ihre einzigartige Kollektion von Sammeltassen einer sächsischen
Porzellanmanufaktur wurde sowohl vom Karl-Liebknecht-Haus wie auch von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung zurückgeschickt. Dass dabei etliche der wertvollen
Sammelstücke aus den dreißiger Jahren zu Bruch gingen, braucht man
eigentlich nicht eigens zu betonen. Königs macht es dennoch: „Niemand hat
sich dafür interessiert, die Sammlung ist hin – jetzt sitze ich wirklich
auf einem Scherbenhaufen!“
Katja Königs ist nicht die einzige, die erleben muss, wie wenig die
Initiatoren mit ihrer Sammelleidenschaft anzufangen wissen. Auch der
Kunstsammler Pieter van Houten aus Düsseldorf wundert sich sehr, dass seine
Beiträge zur großen linken Bewegungssammlung keine Adressaten finden. Sein
Sortiment polnischer Wärmflaschen aus den sechziger Jahren wurde von Oskar
Lafontaine höchstpersönlich mit dem Vermerk „Annahme verweigert“ versehen.
Sahra Wagenknecht akzeptierte weder seine mittelalterlichen Schnitzaltäre
noch seine nahezu komplette Sammlung aller noch fahrtüchtigen Rolls-Royce
Silver Wraith von 1954 – „wahrscheinlich nicht standesgemäß“, seufzt van
Houten resigniert. Am unbegreiflichsten aber: Selbst die exquisite
Kollektion von Militärorden aus der DDR wurde verschmäht!
„Dabei wäre es so ein wunderbar zivilisiertes Symbol“, schüttelt der
Sammler den Kopf. „Nazis wie Gauland erklären das Jagen zu ihrer
Leidenschaft, wir Linken dagegen das Sammeln! Wenn die beiden Oberlinken in
dieser Sache nicht langsam mal in die Pötte kommen, sehe ich braun für
Deutschland.“ Und auch Katja Königs ist bis auf weiteres sicher, ihre
Lektion gelernt zu haben. Die einzige Sammlung, der sie sich künftig mit
voller Kraft widmen will, ist die Altkleidersammlung.
6 Feb 2018
## AUTOREN
Mark-Stefan Tietze
## TAGS
Linke Sammlungsbewegung
Die Linke
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