# taz.de -- Debatte Linkspartei: Probleme der Optik | |
> Wo die rechten Linken recht haben und wo nicht: Der Streit in der Linken | |
> über soziale Gerechtigkeit und Migrationspolitik ist wichtig. | |
Bild: In der Linkspartei wird um den Kurs gestritten | |
Der Streit, der gerade innerhalb der linken Partei geführt wird, ist | |
wichtig. Es geht um die Haltung zu Nationalstaat, Flucht und Migration. | |
Auslöser war die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, die gleich nach | |
der Wahl erklärte, man habe es sich mit dem Thema wohl zu leicht gemacht. | |
Ihr Ehemann Oskar Lafontaine behauptete außerdem, die Flüchtlingspolitik | |
der Regierung und der Linken setze die soziale Gerechtigkeit außer Kraft. | |
Einige Politiker der Linken warfen daraufhin beiden vor, der Rechten Futter | |
zu geben. Das Problem ist: Beide Seiten haben recht und unrecht. | |
Lafontaine macht rechte Fantastereien umstandslos mit: Die Flüchtlinge, die | |
hierherkommen, seien in Wahrheit gar nicht in Not, so impliziert er, da die | |
Flucht ja tausende Euro koste. Als ob das etwas darüber aussagen würde, ob | |
deren Wohl bedroht wird. Auch seine Behauptung, der Flüchtlingszuzug wäre | |
sozialstaatlich nicht zu bewältigen und führe zu massiver Konkurrenz auf | |
dem Arbeitsmarkt, ist eine krasse Übertreibung, ein rechter Mythos, der | |
immer wieder widerlegt wurde. Wenn Wagenknecht behauptet, Linken falle es | |
schwer, über „Probleme“ der Flüchtlingspolitik zu sprechen, dann hat sie | |
zwar irgendwie recht, und doch erfasst sie nicht, warum. | |
Diese Probleme werden in den Medien unverhältnismäßig oft besprochen, | |
Flüchtlinge und „Ausländer“ werden allein dadurch schon zum Problem | |
gemacht. In der öffentlichen Debatte wird außerdem fast durchgehend die | |
„rechte Brille“ getragen. Und diese unterscheidet sich grundsätzlich von | |
der linken Brille. | |
Wo Rechte die Probleme bestimmter Gruppen auf die jeweilige Abstammung | |
zurückführen, sieht die linke Perspektive zuerst einmal, dass der Mensch | |
ein Mensch ist. Und dieser kann sich nur innerhalb bestimmter Umstände und | |
Erfahrungen verhalten. Zu diesen gehört zwar auch die Zugehörigkeit zu | |
einem bestimmten „Kulturkreis“, aber sie gehen weit darüber hinaus. | |
## Die linke Brille sieht mehr | |
Anders als die rechte Brille es sich vorstellt, sind „Kulturkreise“ äußer… | |
heterogen, komplex und abhängig von Außenfaktoren. Nicht nur, dass die | |
rechte Brille auf den „Kulturkreis“ fixiert ist und nichts anderes sieht, | |
sie stellt sich außerdem Kultur wie ein einheitliches Computerprogramm vor, | |
das willenlos abgespult wird. Beispielsweise führt ein Sarrazin die | |
durchschnittlich schlechteren Noten von türkisch- und arabischstämmigen | |
Deutschen auf deren Kultur zurück. | |
Die linke Brille dagegen sieht mehr. Sie sieht unter anderem, dass | |
Arbeiterkinder es nachweisbar schwerer haben als Bürgerkinder, einen | |
höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Türkische Migranten wurden vielfach | |
als billige Arbeitskräfte nach Deutschland geholt. Ihre Kinder sind darum | |
unverhältnismäßig oft Arbeiterkinder. Die rechte Brille ist für solche | |
Zusammenhänge blind und kann beispielsweise nicht erklären, warum in den | |
USA fast doppelt so viele arabischstämmige Amerikaner einen höheren | |
Bildungsabschluss besitzen wie der Durchschnitt. | |
Insofern kann es weder an arabischen Genen noch an arabischer Kultur | |
liegen, wenn Arabischstämmige in Deutschland hier teils noch hinten liegen | |
(sie holen auf!) – es ist vielmehr ihre soziale Schicht, die sich über | |
Generationen reproduziert hat. | |
## Absurde Ängste | |
Wenn Sahra Wagenknecht meint, man könne die AfD-Wähler nicht in die | |
rassistische Ecke stellen, dann verschließt sie die Augen vor der vielfach | |
nachgewiesenen Tatsache, dass Rassismus in Deutschland und besonders bei | |
AfD-Wählern ein massives Problem ist. Wie sollte sich sonst erklären, dass | |
es ein richtiger Volkssport ist, absurderweise zu glauben, Deutsche würden | |
vom Staat schlechter behandelt als Zufluchtsuchende? | |
Von eingebildeten „No-go-Areas“ und abertausenden von Anekdoten, die | |
Migranten zu kinderfressenden Ungeheuern machen, ganz zu schweigen. Fast | |
jeder zweite AfD-Wähler fühlt sich wegen der vielen Muslime „fremd im | |
eigenen Land“, obwohl Muslime gerade einmal 5,5 Prozent der Bevölkerung | |
ausmachen. | |
Es ist an sich zu begrüßen, Menschen anzusprechen, die keine umfassende | |
Schulung in kritischer, marxistischer und postkolonialer Theorie hinter | |
sich haben. Aber wenn Wagenknecht von Problemen mit dem Zuzug der | |
Zufluchtsuchenden spricht, „die Menschen einfach erleben, dass sie so | |
sind“, wie sie erklärte, dann holt sie niemanden ab, sondern begleitet sie | |
auf ihrem Weg nach rechts und legitimiert deren verzerrte Sichtweise. | |
## Gefahr einer migrantisch geprägten Unterschicht | |
Auf der anderen Seite ist es wahr, dass völlig offene Grenzen die soziale | |
Gerechtigkeit bedrohen würden und gerade für Geringverdiener zusätzliche | |
Konkurrenz um günstige Wohnungen oder Jobs bedeuteten. Dieses Problem ist | |
zwar bisher tatsächlich noch weitgehend eingebildet, würde aber bei einer | |
Öffnung der Grenzen höchstwahrscheinlich real werden. | |
Dazu kommt: Wenn schon zum Großteil eingebildete Probleme zu einem | |
Rechtsruck bis hin zu offener Gewalt führt, was wäre erst los, wenn zwei, | |
drei oder fünf Millionen Zufluchtsuchende kämen? Eine ernsthafte | |
wirtschaftliche und soziale Krise kann höchst gefährlich werden. Auch die | |
Flüchtlinge, die schon da sind, müssen erst einmal verdaut werden. | |
Es besteht die Gefahr, dass sich auf Dauer eine große, migrantisch geprägte | |
Unterschicht etabliert. Dass die bedingungslose Öffnung der Grenzen, wie es | |
im Grundsatzprogramm der Linken gefordert wird, zu einer Destabilisierung | |
der deutschen Gesellschaft führen könnte, lässt sich mit guten Gründen | |
befürchten, auch ganz ohne „rechte Brille“. | |
Rassistische Verzerrungen sind ein massives Problem und müssen auch so | |
benannt werden. Figuren wie Wagenknecht und Lafontaine stärken den Blick | |
von rechts und haben darum in den Führungsetagen der Linken nichts zu | |
suchen. Nicht sinnvoll ist es allerdings, tatsächliche Gefahren und Sorgen | |
in Bezug auf die Migration und Flüchtlinge zu verleugnen. | |
Diese lassen sich sogar präziser von links erfassen und angehen. Die linke | |
Perspektive muss selbstbewusst und aktiv in den Diskurs eingebracht werden, | |
anstatt nur der Rechten hinterherzuhecheln. | |
26 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Houssam Hamade | |
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