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# taz.de -- Konflikt um Rigaer Straße 94: Vorgezogene Chaostage
> G20-Gegner und UnterstützerInnen der Rigaer 94 im Visier: Nach
> Durchsuchungen in ganz Berlin ist die Stimmung gereizt.
Bild: Beinahe Normalität in der Rigaer Straße
Berlin taz | Warten wollte die Berliner Polizei auf das Startsignal für die
„Chaos- und Diskussionstage“ aus der Rigaer 94 ganz offenbar nicht. Bis zum
Sonntag sollte es im Friedrichshainer Nordkiez, aber auch an vielen anderen
Orten in der Stadt Diskussionen und Workshops geben, eröffnet von einem
Umsonstflohmarkt am Donnerstag in der Rigaer Straße. Bereits am Mittwoch
aber änderte sich das Spielfeld zwischen Rigaer und Polizei.
An mehreren Orten der Stadt, unter anderem in der anarchistischen
Bibliothek „Kalabal!k“ in Kreuzberg wurden Durchsuchungsbeschlüsse gegen
mindestens zwei Verdächtige vollstreckt, denen die Staatsanwaltschaft
vorwirft, Polizeibeamte und andere Behördenvertreter mit Fahndungsplakaten
verleumdet zu haben.
Auf diesen Plakaten waren Beamte unter anderem im körperlichen Einsatz beim
G20-Gipfel in Hamburg abgebildet und der Vorwurf schwerster Straftaten
gegen sie formuliert – ein offensichtlicher Kommentar auf die
Öffentlichkeitsfahndung der Polizei nach dem Gipfel. Die Durchsuchungen und
erkennungsdienstlichen Behandlungen der Verdächtigen haben die Dynamik der
Chaostage nun beschleunigt. Für den Samstagabend (18 Uhr) wird schon länger
zu einer unangemeldeten Demo am Herrfurthplatz in Neukölln aufgerufen, die
mit den Razzien einen drängenderen Mobilisierungsanlass gefunden haben
dürfte.
Dabei sollte es bei den Aktionen der UnterstützerInnen der Rigaer 94
zunächst viel beschaulicher um Basisorganisierung, Repression und Streetart
gehen – ein breites Repertoire anarchistischer und linksradikaler Themen.
Immer wieder Bezug genommen wird in den ursprünglichen Aufrufen auf
Häftlinge aus dem Umfeld der Rigaer Straße. Einer von ihnen war im Oktober
für einen [1][Laserpointerangriff auf einen Polizeihubschrauber] zu
anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt worden, ein anderer sitzt seit April
[2][wegen einer Schlägerei] an der „Dorfplatz“ genannten Kreuzung Rigaer
Straße/Liebigstraße in Untersuchungshaft.
## Prophetische Mobilisierung
Der konfrontative Charakter gegenüber staatlichen Regeln und Akteuren, der
die Mobilisierung durchzieht, gehört dabei so zwingend zum
Selbstverständnis der Szene wie ihre Strategiediskussionen: „Ob wir uns
damit einen Gefallen getan haben, mit den Diskussionstagen in einem Atemzug
Chaostage zu proklamieren, bleibt abzuwarten“, schrieben die
OrganisatorInnen im Februar auf der Internetplattform Indymedia. Beinahe
prophetisch wurde da bereits angemerkt, dass möglicherweise „der
Bullenapparat unnötig aufgeschreckt“ würde und „Energien für das Chaos
verbraucht werden“.
Gradmesser dafür, wie heiß es es in den kommenden Nächten hergehen wird,
können die unmittelbaren Reaktionen auf die Durchsuchungen und nicht
zuletzt die Demo am Herrfurthplatz sein. Dort sollte für eine „solidarische
Welt, die keine Knäste und Institutionen benötigt“ demonstriert werden.
„Werdet Teil einer unkontrollierten Menge oder macht euch Gedanken zu
dezentralen Aktionen jeglicher Couleur und stiftet Chaos um diese Uhrzeit“,
schreibt der Vorbereitungskreis in seiner Stellungnahme.
Der Polizei liegen für die Tage insgesamt „keine versammlungsrechtlichen
Anmeldungen“ vor, wie sie noch am Dienstag auf Anfrage mitteilte; sie
treffe jedoch „geeignete Maßnahmen“ um Straftaten aufzuklären. In den
vergangenen Wochen und Tagen war es in der Riager Straße wiederholt zu
Auseinandersetzungen gekommen, etwa an der verschlossenen Tür zur Rigaer
94; mehrfach wurden auch Polizeiautos mit Steinen beworfen.
Die „Chaos- und Diskussionstage“ könnten am Montag dann ihre unmittelbare
Fortsetzung finden. Ab 9 Uhr kommt es im Landgericht Tegeler Weg erneut zu
einem Versuch des anonymen Hauseigentümers der Rigaer 94 einen
Räumungstitel gegen die Autonomenkneipe „Kadterschmiede“ sowie einen
Werkstattraum zu erwirken. Womöglich ist die Klage diesmal von Erfolg
gekrönt. Mit einem Räumungstitel wäre ein baldiger polizeilicher
Räumungseinsatz mit mehreren hundert Beamten ebenso absehbar, wie
Gegenaktionen aus Unterstützerkreisen.
## Strohmänner und Räumungen
Fortgesetzt wird im Gericht ein Verfahren, das im Februar 2017 mit einem
[3][Versäumnisurteil] vorerst zu Ungunsten der Eigentümer entschieden
wurde. Damals hatte der BewohnerInnenanwalt Lukas Theune erfolgreich
beanstandet, dass die britische Briefkastenfirma „Lafone Investments
Limited“, die als Eigentümerin der Immobilie Rigaer 94 fungiert,
führungslos und damit prozessunfähig sei; ebenso habe deren Anwalt Markus
Bernau keine Prozessvollmacht vorweisen können. Ein daraufhin neu
eingesetzter Geschäftsführer der Lafone [4][verstarb bereits kurz darauf],
so dass der angesetzte Nachfolge-Gerichtstermin im Juni 2017 platzte.
Nun, fast ein Jahr später geht es also weiter. Ein neuer Strohmann, der der
Hausfirma als Geschäftsführer vorsteht, soll gefunden sein. Über Mark
Robert Burton ist nicht mehr bekannt, als dass er im nordenglischen Consett
Business Park, 20 Kilometer südwestlich von Newcastle, noch mindestens drei
weiteren Briefkastenfirmen als Geschäftsführer vorsteht. Auf taz-Anfrage
kündigte Lukas Theune an, die Eigenschaft Burtons als Geschäftsführer zu
bestreiten. „Weder uns noch dem Gericht wurde etwas vorgelegt, dass dies
beweist“, so Theune. Ein Eintrag in britische Handelsregister sei wertlos,
diese könne jeder ohne Prüfung vornehmen.
Sollte der Eigentümer-Anwalt jedoch das Gericht davon überzeugen, dass die
Firma ordnungsgemäß geführt werde, kann über die Sache gestritten werden.
Die HausbewohnerInnen und NutzerInnen der „Kadterschmiede“ beharren darauf,
bereits in den 1990er Jahren ein mündliches Nutzungsrecht für die Räume
erhalten zu haben. Darüber müsse das Gericht dann befinden, so Theune.
10 May 2018
## LINKS
[1] /Laserpointerangriff-auf-Hubschrauber/!5456108
[2] /Festnahme-in-der-Rigaer-Strasse-in-Berlin/!5495113
[3] /Prozess-um-Berliner-Projekt-Rigaer-94/!5380995
[4] /Autonomes-Hausprojekt-Rigaer94/!5424019
## AUTOREN
Erik Peter
Daniél Kretschmar
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