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# taz.de -- Schuldlos wohnungslos: Räumung wegen Jobcenter
> Das Jobcenter Bremen stellte widerrechtlich die Mietzahlungen für die
> Hartz IV-Empfängerin Jolanda D. ein. Nun soll ihre Wohnung geräumt werden
Bild: Wo der Gerichtsvollzieher öfter klingelt: die „Grohner Düne“ in Bre…
BREMEN taz | Für den heutigen Mittwochmorgen hat sich der
Gerichtsvollzieher angekündigt, um die Wohnung von Jolanda D.* räumen.
Obwohl nicht sie, sondern das Jobcenter Bremen die Mietzahlungen an ihren
Vermieter, den Immobilienkonzern Grand City Property (GCP) eingestellt hat,
soll sie ihre Wohnung verlassen. Dabei hatte das Sozialgericht bereits im
Februar entschieden, dass D.’s Miete vom Jobcenter übernommen werden muss.
D. wohnt seit dem Jahr 2013 in der „Grohner Düne“, einer Hochhaussiedlung
im Bremer Norden. Die polnische Staatsbürgerin lebt seit sechs Jahren in
Deutschland und ist aufgrund prekärer Beschäftigungen auf Hilfe vom
Jobcenter angewiesen.
Mit dem hatte sie bereits vor drei Jahren Ärger: Damals hatte es schon
einmal für mehrere Monate die Übernahme der Miete verweigert: „Das
Jobcenter hat damals argumentiert, dass aufgrund baulicher Mängel die
Wohnung nicht erhaltenswert sei“, sagt Herbert Thomsen vom Bremer
Erwerbslosenverband, der seither Kontakt zu D. hat.
Aufgrund der so entstandenen Mietschulden besteht seit damals ein
Räumungstitel gegen D. Weil das Jobcenter nach langem Drängen die
Mietzahlungen 2016 aber wieder übernahm und D. überdies seither monatlich
von ihrem Hartz-IV-Regelsatz Raten in Höhe von 50 Euro zur Abtragung dieser
Schulden zahlt, durfte sie in ihrer Wohnung bleiben.
„Im Januar 2018 allerdings kündigte das Jobcenter an, die Zahlungen zum
ersten Februar einzustellen“, sagt Thomsen. Der Grund: D. habe kein
Aufenthaltsrecht mehr in Deutschland. „Dabei wusste das Jobcenter aus den
eigenen Akten, dass D. dort regelmäßig Lohnabrechnungen vorgelegt hat und
dass sie seit dem Jahr 2012 hier in Deutschland gemeldet ist“, so Thomsen.
Das bedeutet: D. lebt nachweislich seit mehr als fünf Jahren in Deutschland
– und hat nach EU-Recht somit bereits seit 2017 ein unbefristetes
Aufenthaltsrecht.
Erwartungsgemäß war eine Eilklage vor dem Sozialgericht dann auch
erfolgreich: Am 22. Februar dieses Jahres entschied das Gericht, dass das
Jobcenter verpflichtet sei, D. weiterhin Leistungen zu gewähren.
„Aber auch einen Monat später war immer noch nichts passiert“, sagt
Thomsen. Am 19. März sei D. gemeinsam mit einer Dolmetscherin zum Jobcenter
gegangen, weil ihr Vermieter Grand City Property bei ihr die noch immer
fehlenden Mietzahlungen angemahnt hatte. „Da hat man ihr gesagt: Wir
kümmern uns“, sagt Thomsen. Aber stattdessen bekam D. das Schreiben des
Gerichtsvollziehers mit dem Räumungstermin am 18. April.
„Das Jobcenter ist hier seiner Verantwortung ganz klar nicht nachgekommen“,
sagt Thomsen. Hinzu komme, dass es mit seinem Verhalten dem Interesse des
börsennotierten Immobilienunternehmen GCP in die Karten spiele: „Als die
vor vier Jahren die Grohner Düne gekauft haben, haben die Leute dort
Dumping-Mieten gezahlt“, sagt Thomsen. Damit hätten die vorherige
Eigentümer allzu großen Leerstand in den heruntergekommenen Wohnblöcken
verhindern wollen.
„Grand City darf die Mieten nur um 15 Prozent innerhalb von drei Jahren
erhöhen – eine Neuvermietung bringt denen also viel mehr Geld ein“, glaubt
Thomsen.
## Zulässige Räumung
Deswegen glaubt Thomsen nicht daran, dass Grand City Property sich im Falle
von Jolanda D. noch umstimmen lässt. „Rechtlich ist die Räumung zulässig,
schließlich gibt es ja den Räumungstitel aus dem Jahr 2015 und auch die
Frist des Gerichtsvollziehers war korrekt“, sagt er. Selbst wenn das
Jobcenter in letzter Minute seiner Pflicht zur Zahlung der Miete noch
nachkomme, liege alles weitere nun im Ermessen des Vermieters.
Der übernahm zwischen März und Juli 2014 alle 570 Wohneinheiten der Grohner
Düne, die zuvor zum Teil der „Deutsche Wohnen AG“ und zum Teil einem
niederländischen Immobilienunternehmen gehörten. Die Bremer
Bürgerschaftsfraktion der Linken nannte das Unternehmen mit Sitz in Zypern
damals eine „Heuschrecke“ und kritisierte, dass die Stadt Bremen den
Wohnkomplex nicht selbst gekauft hatte. In Bremen war der Konzern damals
bereits berüchtigt, weil er dort auch andere Wohnungen gekauft und nur sehr
schleppend saniert hatte.
Ähnlich sah es anfangs auch in der Grohner Düne aus. Im August 2016
allerdings unterzeichneten die Stadt Bremen und Grand City Property eine
Kooperationsvereinbarung: Bremen erklärte sich bereit, für die
Infrastruktur rund um das „Problemviertel“ bis zu 3,5 Millionen Euro zu
investieren, GCP sollte im Gegenzug bis 2017 alle Fahrstühle und
Treppenhäuser sanieren, rund 100 leer stehende Wohnungen renovieren und die
Außenflächen „aufwerten“. Einiges davon wurde auch bereits umgesetzt.
## Hausflur blockiert
Von vielen Zwangsräumungen dort bekomme der Erwerbslosenverband nichts mit,
sagt Thomsen, „aber Anwohner berichten uns, dass in die Grohner Düne
ungefähr zweimal in der Woche der Gerichtsvollzieher zum Räumen kommt“.
Erst im vergangenen November hatten dort 30 Menschen einen Hausflur
blockiert und so die Räumung einer Familie verhindert. Auch in diesem Falle
soll das Jobcenter die Mietzahlungen an Grand City Property unrechtmäßig
eingestellt haben.
„Wir tun alles, was wir können, um beim Vermieter zu intervenieren und den
Wohnraum unserer Klientin zu erhalten“, sagt auf Nachfrage der taz
Christian Ludwig, Sprecher des Bremer Jobcenters. Aufgrund
personenbezogener Daten könne er darüber hinaus aber leider nichts zum Fall
von Jolanda D. sagen.
Sollte das Jobcenter tatsächlich noch intervenieren, beeindruckt das Grand
City Property wenig. Auf Nachfrage der taz heißt es schriftlich: „GCP hat
diese Situation nicht verursacht. GCP handelt immer gemäß interner
standardisierter Prozedere. GCP ist immer an langfristigen
Mieterverhältnissen mit seinen Mietern interessiert.“ Und darüber hinaus
könne GCP aufgrund der rechtlichen und gesetzlichen Datenschutzbestimmungen
keinerlei Informationen zur Verfügung stellen.
*Name geändert
Aktualisierung (18. April, 15.10 Uhr): Die angekündigte Zwangsräumung wurde
kurzfristig abgesagt. Offenbar haben sich das Jobcenter und Grand City
Property (GCP) geeinigt: Man wolle die Angelegenheit nicht auf dem Rücken
der Mieter austragen, hieß es dazu bei GCP. Das Jobcenter Bremen räumte
ein, „grundsätzlich können natürlich auch bei uns, wie in jeder Behörde,
Fehler passieren und falsch, zu spät oder gar nicht entschieden werden.“
18 Apr 2018
## AUTOREN
Simone Schnase
## TAGS
Jobcenter
Hartz IV
Zwangsräumung
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Stadtentwicklung Bremen
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