# taz.de -- Brandanschlag auf Bremer Jobcenter: „Joboffensive treibt in den W… | |
> Das Jobcenter braucht sich über Anschläge nicht zu wundern, findet | |
> Herbert Thomsen vom Bremer Erwerbslosen-Verband | |
Bild: Auf ein Bremer Jobcenter ist ein Brandanschlag verübt worden | |
taz: Herr Thomsen, über den Brandanschlag auf das Jobcenter vergangene | |
Woche haben Sie geschrieben: „Wie man in den Wald hineinruft – so schallt | |
es heraus“. Was meinen Sie damit? | |
Herbert Thomsen: Wir erleben viele Leute in unseren Beratungen, die den | |
Anschlag mitbekommen haben und sagen: „Endlich zeigt denen mal einer die | |
Kralle.“ Diese Wut entsteht, weil die Intensivbetreuung durch die | |
sogenannte Joboffensive, die Leute in den Wahnsinn treibt. Die sind völlig | |
verzweifelt, müssen permanent auf sinnfreie Termine. Vernünftige Jobs | |
kommen dabei nicht rum, dafür hagelt es aber Sanktionen. Viele Leute halten | |
das für individuelle Probleme: „Die haben mich auf dem Kieker.“ Dann liegt | |
es scheinbar an einem doofen Sachbearbeiter. Aber mit längeren Erfahrungen | |
stellen sie fest, der nächste ist auch nicht besser. | |
Aber erklärt das diesen Angriff? | |
Dieser Brandanschlag ist ja nur die Spitze des Eisbergs und wird gerade | |
viel diskutiert, weil er durch die Presse ging. Das Jobcenter hat bis vor | |
drei oder vier Jahren in der Jahresbilanz die Übergriffe statistisch | |
erfasst. Da sagt einer, „der Sachbearbeiter nervt mich, den zieh ich mir | |
rüber und box ihm eins“. Davon hat es locker über 100 Vorfälle gegeben. | |
… der berühmte Tacker, der nicht mehr auf dem Schreibtisch stehen darf. | |
Solche Dinge passieren nach wie vor. Aber geh mal zum Finanzamt. Hast du da | |
schon mal Security stehen sehen? Ich nicht. Das Finanzamt kann dich mit dem | |
falschen Steuerbescheid auch in die Grütze treten. Trotzdem ist das | |
Jobcenter die einzige Veranstaltung, wo systematisch Sicherheitspersonal | |
aufgestellt ist. Wer da rein geht, muss an der Security vorbei und | |
vorsprechen. Das ist natürlich eine brutale Repressionsansage. Das versteht | |
jeder. | |
Die linke Diskussion um strukturelle Gewalt läuft ja schon ewig. Warum | |
entzündet sich das immer wieder am Jobcenter? Und warum gerade jetzt? | |
Der Druck hat mit Hartz IV extrem zugenommen. Vor zehn Jahren war der | |
allergrößte Teil der Bezieher mittleren Alters und hatte keinen Job, weil | |
er keinen gefunden hat. Heute sind das ältere Leute, die gesundheitlich | |
einfach nicht mehr können und trotzdem in ständig neue Zwangsjobs gepresst | |
werden. Wir raten den Leuten schon, sich ärztliche Atteste zu besorgen. | |
Es gibt also tatsächlich mehr Arbeit als Suchende? | |
Menschen, die wirklich noch auf den Arbeitsmarkt könnten, sind alle weg. | |
Aber der Markt brummt. Was das Jobcenter zur Zeit macht, ist, ihre Reserve | |
an vermittelbaren Leuten mit brutaler Intensivbetreuung in furchtbare | |
Arbeitsverhältnisse zu lotsen. Wer sich ohne Agentur auf die Suche macht, | |
findet wahrscheinlich was besseres. Dort bleibt nur ein Rest, der in die | |
beschissensten aller Arbeitsbedingungen gepresst wird. | |
Was sind das für Jobs? | |
Was sich die Arbeitgeberseite für Lohnformen ausgedacht hat, kann man sich | |
überhaupt nicht mehr vorstellen. Am Hafen herrscht etwa Tagelöhnerei wie | |
vor hundert Jahren. Ich weiß von mehreren Leuten, die da morgens um sechs | |
angetreten sind und an der Tür wieder nach Hause geschickt wurden, weil es | |
keine Arbeit gab. Wenn dann doch was passiert, wirst du 20 Minuten später | |
angerufen und musst plötzlich doch antreten. Dazu dann noch Hartz IV mit | |
seinem Sanktionsapparat. Da wird man doch verrückt. | |
Was für Perspektiven könnte Widerstand haben? | |
Im Moment bleibt nur die individuelle Strategie, immer wieder zu sagen: | |
„Diesen konkreten Job mache ich nicht“. Breiter gewerkschaftlicher Protest | |
ist nicht in Sicht. Natürlich müsste man sich organisieren, eine große Demo | |
machen und die Bude so lange belagern, bis sie vernünftige Arbeit macht. | |
Aber was könnte das Amt unter den gegenwärtigen Bedingungen denn überhaupt | |
tun? | |
Der Staatsapparat hat seinen Job: Arbeitskräfte dahin zu vermitteln, wo das | |
Kapital sie braucht. Wenn die Behörde jetzt aber sagen würde „Ich glaube an | |
den Sozialstaat, ich glaube an Gerechtigkeit und Demokratie“ dann wäre aber | |
auch ein Jobcenter denkbar, das solche Arbeitsverhältnisse untersucht. | |
Zahlen die nach Tarif? Gibt es da Verstöße? Das Mindeste wäre, dafür zu | |
sorgen, dass Vermittlung nur in Verhältnisse erfolgt, die gesetzlichen | |
Normen entsprechen. Auch wenn die ja schon unterirdisch sind. | |
In der Linken kursiert die Idee, es gehe da gar nicht mehr um Arbeit, | |
sondern darum, die Überflüssigen zu disziplinieren und unter Kontrolle zu | |
halten. | |
Ach nein. Natürlich wollen sie Menschen disziplinieren. Aber wenn ich mir | |
die Entwicklung der Gesetze der letzten Jahre angucke, dann habe ich schon | |
den Eindruck, dass da Arbeitskräfte mobilisiert werden sollen. Der Staat | |
hat ja auch am Ausländerrecht Veränderungen vorgenommen, von denen vor zehn | |
Jahren alle nur geträumt haben. | |
Was meinen Sie? | |
Als jemand, der hier geboren ist, kann man heute voll durchstarten mit | |
Ausbildung und so weiter. Die alten Ausgrenzungsmechanismen gibt es nicht | |
mehr. Selbst Geflüchtete, die formell nur geduldet sind, haben es heute | |
relativ leicht, solange sie sagen können: „Ich bin potenzielle | |
Arbeitskraft“. Auch die EU-Zuwanderung aus Bulgarien, Rumänien oder Polen: | |
Die Industrie ist darauf angewiesen. Die Leute landen zwar nicht bei | |
Daimler am Band, aber in der Logistik umzu. Und die müssen natürlich | |
diszipliniert und für deutsche Arbeitsbedingungen zugerichtet werden. | |
Weil Lohnarbeit hier strenger durchorganisiert ist? | |
Ja, wobei diese Leute es zynischerweise im Kopf sogar leichter haben in der | |
Mühle. Kündigungsschutz kennen sie ja eh nicht. Lohnfortzahlung im | |
Krankheitsfall schon gar nicht. Wenn hier Leute in der Beratung sitzen, und | |
wir feststellen, dass die über zwei Krankheitswochen einfach keinen Lohn | |
bekommen haben – dann glauben die uns erst mal gar nicht, dass sie | |
tatsächlich ein Recht darauf haben. | |
26 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## TAGS | |
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