# taz.de -- Beleidigungen beim Bremer Jobcenter: Die Briefe des Herrn K. | |
> Ein Mitarbeiter eines Jobcenters wurde von seinen Kunden bedroht und am | |
> Ende selbst zum Angeklagten. Am Montag musste er sich dem Amtsgericht | |
> stellen. | |
Bild: Manchmal muss das Jobcenter auch die Polizei holen. | |
Bremen taz | Irgendwann haben sie ihn in der Kneipe erkannt, als einen vom | |
Jobcenter. Und dann ist er geflohen, Hals über Kopf. Peter K. hatte schon | |
zu viel gesehen, miterlebt, sagt er, einen Bombenalarm, abgebrochene | |
Antennen, zerkratzte Autos. Als sie ihn in die Ecke drängten, hatte er | |
schon Bier intus. „Das Wochenende verbringst du besser nicht hier“, sagten | |
sie zu ihm. Kurz darauf war er weg. | |
„Wir haben es mit einer nicht hinnehmbaren Verrohung zu tun, der wir | |
entschlossen entgegentreten müssen“, sagt der Chef des Beamtenbundes. „Wir | |
erleben, dass viele Menschen immer extremer werden und gewaltbereiter | |
sind“, sagt der Vorsitzende der Gewerkschaft der Kommunalbeschäftigten. | |
Auch das Jobcenter in Bremen stellt „einen leichten Anstieg an | |
Beleidigungen fest“. Es handele sich aber immer noch um Einzelfälle, sagt | |
der Sprecher Christian Ludwig. „Die aber nehmen tatsächlich an Intensität | |
zu.“ | |
Genaue Zahlen gibt es nicht. Die Frage sei ja auch, was im normalen | |
Tagesgeschäft noch akzeptiert oder überhört werde, sagt Ludwig. Und ab wann | |
Beleidigungen strafrechtlich relevant sind. An einer Diskussion von | |
Einzelfällen wolle sich das Jobcenter aber nicht beteiligen, im Einzelfall | |
würden Hausverbote erteilt, Polizisten gerufen und Strafanträge erstellt. | |
Als Herr K. wieder in Bremen ist, will er sich den Vorfall in der Kneipe | |
von der Berufsgenossenschaft anerkennen lassen, als eine Art Arbeitsunfall. | |
Er landet im Klinikum Bremen-Mitte, wo er „fahrig“ wirkt, wie später | |
berichtet wird. Der sozialpsychiatrische Dienst wird eingeschaltet, die | |
Polizei kommt, es ist von „psychischen Problemen“ die Rede, von einem | |
„Alkoholdelir“. | |
K. weist das strikt von sich. Trotzdem soll er ins Klinikum Ost. „Die | |
wollten mich in eine geschlossene Suchtstation stecken“, sagt K. „ohne | |
Einwilligung und richterlichen Beschluss.“ | |
Am Ende darf er gehen. Und klagt. Der Streitwert liegt nur bei zehn Euro, | |
aber ihm geht es um was anderes. Peter K. klagt, „weil sie mich wegsperren | |
wollten“. Das Verfahren läuft noch. Doch irgendwann schreibt er diese Mail | |
an die Justizangestellte D. vom Sozialgericht. „Die Dame gehört aus dem | |
Staatsdienst entfernt.“ Eine Beleidigung, sagt der Staatsanwalt und klagt | |
Herrn K. an. | |
Nun sitzt er in Saal 150 des Amtsgerichts, ohne Anwalt, weil er seit | |
vergangenem Jahr arbeitslos ist. Zudem ist er Rechtsassessor, Strafrecht | |
ist allerdings nicht sein Fachgebiet, er wollte mal Fachanwalt für Arbeits- | |
und Steuerrecht werden. „Ich habe völlig überreagiert“, sagt K. heute. Fr… | |
D. solle doch „an der Ostfront kämpfen“, hatte er geschrieben, und dass er | |
„nicht ohne Gegenwehr“ nach Auschwitz-Birkenau gehe. | |
Auch mit seiner Familie überwirft er sich in jener Zeit, auch sie bekommt | |
Drohbriefe von ihm. Ernst genommen haben sie sie nicht, erklären die | |
Verwandten vor Gericht, nur Sorgen hatten sie um ihn. „Er hatte Angst um | |
seine Existenz“, sagt sein Bruder. „Ich dachte, alle wollen mir Böses“, | |
sagt der Angeklagte: „Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich verteidigen.“ | |
Er befand sich „in einer psychischen Ausnahmesituation“, sagt das Gericht. | |
Am Ende bleibt von all den Beleidigungen nur jene übrig, die Frau D. bekam. | |
Dafür gibt es eine Geldstrafe von 240 Euro – auf Bewährung und eine | |
Ermahnung von der Richterin: „Lassen Sie das!“ Die übrigen Verfahren werden | |
eingestellt, die Familie hat gar kein Interesse an einer Strafverfolgung. | |
Den Kontakt zu ihr hat Peter K. abgebrochen. In ein paar Tagen hat er ein | |
Vorstellungsgespräch in Bremen. Beim Jobcenter. | |
23 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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