| # taz.de -- Urteil nach Totschlag in Jobcenter: Er wusste, was er tat | |
| > Wegen einer tödlichen Messerattacke ist ein 29-Jähriger zu zehn Jahren | |
| > Haft verurteilt worden. Er muss auf unbegrenzte Zeit in die Psychiatrie. | |
| Bild: Der Tatort von außen betrachtet. | |
| Ansbach taz | Es gibt nur einen Moment, in dem die Frau des getöteten | |
| Psychologen M. die Fassung verliert in diesem Prozess. Zumindest in den | |
| wenigen Teilen, die für die Öffentlichkeit zugänglich waren. Am dritten und | |
| letzten Prozesstag verbirgt die Witwe ihr Gesicht für einige Sekunden in | |
| den Armen, die sie vor sich verschränkt hatte. So, als wolle sie nicht mehr | |
| sehen oder hören, was sich hier im Schwurgerichtssaal des Landgerichts | |
| Ansbach abspielt. Hier, wo ein 29-Jähriger des Totschlags an ihrem Mann für | |
| schuldig befunden wurde. | |
| Der Gutachter hatte einen verhängnisvollen Termin am 3. Dezember 2014 im | |
| Jobcenter Rothenburg nicht überlebt. Der Mitarbeiter des Bezirksklinikums | |
| Ansbach war von einer Arbeitsvermittlerin engagiert worden, die ratlos war, | |
| welchen Job sie dem damals 28-jährigen Verurteilten vermitteln sollte. | |
| Schließlich lag ihr ein Attest vor, worin dem Arbeitslosen eine | |
| schizophrene Psychose attestiert wurde. | |
| T. befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem akuten Schub seiner Erkrankung. | |
| Die war zwar in der Vergangenheit erfolgreich behandelt worden, doch weil | |
| er regelmäßig Haschisch rauchte, verschlechterte sich sein Zustand, so der | |
| Vorsitzende Richter Körner in seiner Urteilsbegründung. T. gehört zu einer | |
| sehr kleinen Gruppe von Menschen – etwa ein bis zwei Personen der | |
| Bevölkerung –, bei der regelmäßiger Cannabiskonsum eine schizophrene | |
| Episode verursachen kann. | |
| „Es muss jetzt einer dran glauben“, beschreibt Richter Körner die | |
| Gedankenwelt von T., er hatte „einen Tunnelblick.“ Er habe den Gutachter M. | |
| deshalb vorsätzlich getötet, so die Begründung. Weil bei dem Verurteilten | |
| mit weiteren erheblichen Straftaten zu rechnen sei, werde seine | |
| Unterbringung viele Jahre dauern. T. habe gewusst, so der Psychiater | |
| Michael Wörthmüller im Prozess, dass er etwas Unrechtes tue, als er mit | |
| einem Küchenmesser dreimal auf den Gutachter M. eingestochen habe. Mit dem | |
| dritten Stich durchbohrte er das Herz seines Opfers. | |
| Es ist ein Prozess, in dessen Verlauf viele anfängliche Annahmen über den | |
| Haufen geworfen werden. Ein Streitgespräch im Jobcenter, das den | |
| Angeklagten T. provoziert haben soll, gab es laut Arbeitsvermittlerin S. | |
| nicht. Vielmehr habe lediglich der Angeklagte wie ein Wasserfall auf sie | |
| und den getöteten Psychologen M. eingeredet, so die Frau vor Gericht. | |
| ## Geplant war ein Mitnahmesuizid | |
| Das besagte Gutachten, von dem T. eine Einweisung in eine psychiatrische | |
| Einrichtung befürchtete, soll überhaupt nicht zur Sprache gekommen sein. | |
| Vielmehr war sogar von einem Mitnahmesuizid, den T. plante, die Rede. „Er | |
| hat mich gebeten, ihn mit meiner Dienstwaffe zu erschießen“, sagt der | |
| Polizist Christoph L. aus Erlangen. Auch an anderer Stelle soll T. seinen | |
| Plan geäußert haben, jemanden „abzustechen und sich von der Polizei | |
| erschießen zu lassen.“ | |
| Und so wird im Lauf des Verfahrens das Bild eines Angeklagten deutlich, der | |
| sein Leben schon als Teenager nicht im Griff hatte, verursacht auch | |
| aufgrund seiner Erkrankung. Seit seinem 14. Lebensjahr kiffte er | |
| phasenweise sehr intensiv. Zwei Mal wurde er von der Polizei mit Marihuana | |
| im Gepäck erwischt, als er mit dem Zug von Holland an seinen damaligen | |
| Studienort Aachen unterwegs war. | |
| Matthes Egger, Anwalt der Nebenklage, bezeichnet T. als einen Menschen, der | |
| nie in seinem Leben Verantwortung übernommen habe und bei Schwierigkeiten | |
| in den Drogenkonsum geflüchtet sei. Mit der Attacke auf M. habe er „einmal | |
| der Stärkere sein wollen“, ergänzt Eggers Kollege Bernhard Ixmeier. | |
| Stark, so wirkt der T. vor Gericht nicht eine Sekunde. „Ich kann nur | |
| erklären, es tut mir leid“, murmelt T., als ihm zum letzten Mal das Wort | |
| erteilt wird. So leise und undeutlich, dass man es kaum hören kann. | |
| 28 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Walter | |
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