# taz.de -- Arbeitskampf im öffentlichen Dienst: Streiken wieder in Mode | |
> Nicht nur Müllfahrer und Bademeister sind sauer, jetzt wird auch beim | |
> Klinik-Subunternehmen Vivantes Service gestreikt. Der Finanzsenator hält | |
> sich bedeckt. | |
Bild: Vivantes-Service-Mitarbeiter wollen nicht zu anderen Bedingungen arbeiten… | |
Der Unmut gegen die öffentliche Hand als Arbeitgeber wächst: Seit Längerem | |
fordern Bademeister, Wasserwerker und Müllfahrer in Warnstreiks mehr Geld. | |
Am kommenden Montag gesellen sich die Azubis dazu. Feuerwehrleute stehen | |
seit mehr als drei Wochen Tag und Nacht vor dem Roten Rathaus. Sie fordern | |
eine Bezahlung ihrer in Jahren angehäuften Überstunden, mehr Personal und | |
eine bessere Ausstattung. Aus Solidarität übernehmen Polizisten Nachtwachen | |
an der Feuertonne, die Online-Petition zur Aktion „Berlin brennt“ haben | |
über 65.000 BerlinerInnen unterschrieben. | |
Seit Mittwoch sind auch die MitarbeiterInnen der Vivantes Service GmbH | |
(VSG) im Ausstand. Jeden Tag wird eine andere Klinik bestreikt, an diesem | |
Samstag ist Neukölln dran, am Sonntag Friedrichshain, Montag geht’s nach | |
Schöneberg. Jeweils 50 bis 70 KollegInnen beteiligten sich an den ersten | |
beiden Streiktagen. „Das tut denen schon weh“, glaubt ein VSGler. Wenn etwa | |
sterilisierte Geräte fehlten, müssten die OP-Pläne geändert werden. Alle | |
dürfen ohnehin nicht gleichzeitig streiken: Wie immer bei | |
Krankenhausstreiks gibt es Notfallpläne, damit dringende Operationen | |
stattfinden können. | |
In die 100-prozentige Tochter von Vivantes sind nichtmedizinische Aufgaben | |
wie Patiententransporte, Sterilisation und Inhouse-Logistik ausgegliedert. | |
Die Firma entstand zu Zeiten der Sparpolitik unter Rot-Rot in den | |
Nullerjahren. Landesunternehmen wie die Charité oder der 2001 gegründete | |
Vivantes-Konzern gründeten Tochtergesellschaften, um Personalkosten zu | |
sparen – denn für deren MitarbeiterInnen galt fortan der Tarifvertrag für | |
den öffentlichen Dienst (TVöD) nicht mehr. | |
Für die rund 300 VGS-Mitarbeiter bedeutet das: Sie machen zwar die gleiche | |
Arbeit wie ihre 600 KollegInnen, die direkt bei Vivantes angestellt sind | |
und der VGS als sogenannte Gestellte überlassen werden – aber zu deutlich | |
schlechteren Bedingungen. | |
Ein Lied davon singen kann zum Beispiel Felix Hegel, der eigentlich anders | |
heißt, aber aus Angst vor Ärger lieber nicht mit richtigem Namen in der | |
Zeitung stehen will: 2014 habe er bei Vivantes im Patientenbegleitservice | |
mit einem Jahresvertrag angefangen, erzählt er am Donnerstag, als der | |
Streik beim Klinikum in Friedrichshain Station macht. „Nach einem Jahr | |
haben sie mir einen unbefristeten Vertrag angeboten, dafür musste ich zur | |
VSG wechseln.“ Die Folge: 450 Euro brutto weniger, weniger Zuschläge, zehn | |
Tage weniger Urlaub, 125 Euro Altersvorsorge gestrichen. Alles in allem | |
seien das 800 Euro brutto weniger, „das ist schwer zu verstehen und eine | |
Missachtung meiner Arbeit“, findet Hegel. | |
Das sieht auch die Gewerkschaft so. Seit zwei Jahren verhandelt Verdi mit | |
der VSG-Geschäftsführung. Ziel: Ein Haustarifvertrag, der schrittweise zu | |
einer Angleichung an TVöD-Niveau führt. Die Arbeitgeberseite hat inzwischen | |
ein Angebot vorgelegt mit jährlichen Gehaltssteigerungen – aber nicht | |
orientiert am besser bezahlten öffentlichen Dienst, sondern an niedrigeren, | |
„branchenüblichen“ Servicetarifen. „Auch als kommunales Unternehmen brau… | |
Vivantes wettbewerbsfähige Tarifstrukturen“, erklärt Vivantes-Sprecherin | |
Kristina Tschenett. Dagegen klagt Verdi-Verhandlungsführerin Maike Jäger: | |
„Die angebotenen Gehaltserhöhungen sind nur Tippelschritte, so werden wir | |
TVöD nie erreichen.“ | |
Dabei haben die Streikenden einen mächtigen Verbündeten – theoretisch. Der | |
rot-rot-grüne Senat will sich laut Koalitionsvertrag dafür einsetzen, „dass | |
auch für Landesunternehmen und ihre Tochterunternehmen, die bisher noch | |
nicht tarifgebunden sind, zügig mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung | |
und der Angleichung an den TVöD Tarifverträge abgeschlossen werden“. | |
## „Haltet durch!“ | |
Die Möglichkeit, dies durchzusetzen, hätte Rot-Rot-Grün, schließlich ist | |
Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) Aufsichtsratsvorsitzender von | |
Vivantes. „Er könnte eine entsprechende Gesellschafteranweisung machen und | |
das Geld zur Verfügung stellen“, sagt Janine Balder, die zuständige | |
Gewerkschaftssekretärin. Nach Verdi-Schätzung würde eine Bezahlung nach | |
TVöD für die VSG zwischen 2 und 4 Millionen Euro pro Jahr kosten. | |
Doch bisher scheint der Senat zu dieser Ausgabe nicht bereit. | |
Kollatz-Ahnens Sprecherin erklärt auf taz-Anfrage, man könne | |
„grundsätzlich“ laufende Tarifverhandlungen nicht kommentieren. | |
So stellt man sich bei Verdi auf einen längeren Konflikt ein. „Wir werden | |
so lange streiken, bis wir TVöD bekommen“, erklärt Balder unter lautem | |
Beifall vor dem Roten Rathaus, wo die VSGler am Donnerstag den | |
Feuerwehrleuten ihre Solidarität erweisen. Ihnen ruft die | |
Gewerkschaftssekretärin an der Feuertonne zu: „Haltet durch! Wir werden’s | |
genauso machen!“ | |
13 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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