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# taz.de -- Kommentar Tarif im Öffentlichen Dienst: Solide, aber nicht revolut…
> Verdis Drohungen haben Eindruck gemacht: Das Ergebnis der
> Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst kann sich sehen lassen.
Bild: Frank Bsirske, Ulrich Silberbach und Horst Seehofer haben gut lachen
Die Kitas bleiben geöffnet, der Müll nicht auf der Straße, Busse und Bahnen
fahren weiter und die Flugzeuge heben ab. Als am Mittwoch eine Stunde nach
Mitternacht die Einigung im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes von
Bund und Kommunen offiziell verkündet wurde, dürfte vielen Menschen in der
Bundesrepublik ein Stein vom Herzen gefallen sein. Denn ein Scheitern der
seit Montag andauernden dritten Verhandlungsrunde hätte ohne Zweifel
heftige Auswirkungen auf ihren Alltag gehabt.
Doch die Arbeitgeberseite hat die Drohungen von Verdi-Chef Frank Bsirske
ernstgenommen und nicht auf Eskalation gesetzt. Und sie tat gut daran.
Wie arbeitskampffähig Verdi ist, hat sie mit ihren Warnstreiks in den
vergangenen Wochen eindrucksvoll bewiesen. Mag die Gewerkschaft in anderen
Bereichen auch mit etlichen Problemen zu kämpfen haben, im öffentlichen
Dienst ist sie nach wie vor eine Macht. Nun hat sie gemeinsam mit dem
Beamtenbund einen Abschluss erreicht, der sich durchaus sehen lassen kann
und prozentual sogar klar über dem in der Elektro- und Metallindustrie
liegt.
Besonders der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer war sichtlich an
einer Verständigung interessiert. Ihm war offenkundig bewusst, dass es
seinen Beliebtheitswerten äußerst abträglich gewesen wäre, wenn er rund
einen Monat nach Amtsantritt die Mitverantwortung dafür hätte tragen
müssen, dass das öffentliche Leben in der Bundesrepublik weitgehend
stillsteht. Also hat der CSU-Mann der Versuchung widerstanden, den starken
Mann zu markieren. Geradezu überschwänglich lobte sein Gegenüber Bsirske
denn auch Seehofers umsichtiges Agieren.
## Ein komplizierter Abschluss
Allerdings ist es sinnvoll, sich das Tarifergebnis genauer anzuschauen. Aus
einer plakativen gewerkschaftlichen Forderung – 6 Prozent mehr Geld,
mindestens jedoch 200 Euro – ist ein weitaus komplizierterer Abschluss
geworden. Neun Seiten, die Anhänge nicht mitgezählt, umfasst das
Einigungspapier, auf das sich die Verhandlungsführer verständigt haben.
Um es verstehen und bewerten zu können, reicht es nicht aus, die drei
vereinbarten Tariferhöhungsstufen zusammenzuzählen. Die 7,5 Prozent, die
bei einer solchen Rechnung zusammenkommen, klingen zwar hoch. Aber das
relativiert sich schnell.
Es ist eben ein entscheidender Unterschied, ob ein Tarifvertrag – wie von
Verdi und dem Beamtenbund ursprünglich verlangt – auf 12 Monate
abgeschlossen wird oder eine ungewöhnlich lange Laufzeit von 30 Monaten
hat, wie jetzt vereinbart. Entsprechend muss anders gerechnet werden.
Tatsächlich beschert der neue Tarifvertrag den Beschäftigten eine reale
Entgeltsteigerung, die nicht einmal der Hälfte von dem entspricht, was die
Gewerkschaften gefordert hatten.
Daran ändert auch die Einmalzahlung von 250 Euro für die unteren
Einkommensgruppen nichts. Um es konkret zu machen: Wer bislang auf ein
monatliches Bruttogehalt von um die 2.200 Euro kam, wird rückwirkend ab
März für 12 Monate eine Einkommenserhöhung von rund 70 Euro erhalten.
Gekämpft hatten die Beschäftigten im öffentlichen Dienst für mindestens 200
Euro mehr pro Monat.
## Bsirske hat nicht Unrecht
Aber auch diese einfache Rechnung ist für eine Beurteilung des Erreichten
zu unterkomplex. Denn dazu muss noch manches mehr berücksichtigt werden,
beispielsweise die überdurchschnittliche Anhebung der Einstiegsgehälter in
allen Entgeltgruppen oder die ebenfalls bessere Entlohnung der
Auszubildenden, die darüber hinaus einen zusätzlichen Urlaubstag erhalten.“
Verdi-Chef Frank Bsirske spricht von dem besten Tarifergebnis seit vielen
Jahren. Und damit hat er nicht Unrecht. Denn der erzielte Kompromiss liegt
deutlich über den Abschlüssen der vergangenen zwei Jahrzehnte.
Die waren allerdings auch immer wieder recht lausig ausgefallen, was dazu
geführt hat, dass die Löhne im öffentlichen Dienst im Vergleich zur
gesamten Tarifentwicklung in Deutschland deutlich hinterherhinken. Dass das
angesichts der boomenden Konjunktur und der sprudelnden Steuereinnahmen nur
noch schwer zu rechtfertigen ist, war auch der Arbeitgeberseite bewusst.
Für Frank Bsirske war es der letzte Tarifabschluss, den er für die
Beschäftigten im Bund und in den Kommunen verhandelt hat. Das Ergebnis ist
wie seine lange Amtszeit, die auf dem Gewerkschaftstag im kommenden Jahr
enden wird: solide, aber nicht revolutionär.
18 Apr 2018
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Öffentlicher Dienst
Streik
Verdi
Gewerkschaft
Frank Bsirske
Online-Shopping
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Jeff Bezos
Tarifabschluss
Warnstreik
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