# taz.de -- Ex-Banker wird Finanzstaatssekretär: „Goldman Sachs buhlt um Ein… | |
> Darf ein früherer Topbanker Staatssekretär werden? Der Grüne Gerhard | |
> Schick erklärt die Probleme der Berufung von Jörg Kukies – und die Tricks | |
> von Goldman Sachs. | |
Bild: Nicht das deutsche Finanzministerium: Die Zentrale von Goldman Sachs in N… | |
taz: Herr Schick, Olaf Scholz holt einen Banker von Goldman Sachs als | |
Staatssekretär ins Ministerium. Warum ist diese Personalie problematisch? | |
Gerhard Schick: Jörg Kukies ist nicht irgendein Banker, er ist ein | |
Top-Investmentbanker. Er war in dem Bereich des Finanzmarktes tätig, der | |
wie kein anderer politische Regeln braucht. Im Investmentbanking werden die | |
komplexen, undurchschaubaren Produkte entwickelt, die uns in der | |
Finanzkrise ab 2007 um die Ohren geflogen sind. Stichwort: Lehman Brothers. | |
Kukies hat also die Produkte mitentwickelt, die Warren Buffet mal als | |
„finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet hat – und die vielen | |
Kleinanlegern Verluste gebracht haben und bringen. | |
Jörg Kukies wird im Finanzministerium zuständig für Europa und Finanzmarkt. | |
Welche Politik erwarten Sie von ihm? | |
Seine europapolitische Linie kann ich nicht einschätzen. Bei dem zweiten | |
Thema sehe ich schwarz. Im Koalitionsvertrag steht sehr wenig zur | |
Neuregelung des Finanzmarktes, das Thema wird offen gelassen. Wenn diese | |
Lücke nun jemand füllt, der dezidiert die Perspektive eines | |
Investmentbankers hat, macht mir das große Sorgen. Gemeinwohlorientierte | |
Politik erwarte ich nicht von ihm. | |
Kennen Sie Kukies persönlich? | |
Ich habe Jörg Kukies vor einigen Jahren getroffen. Damals habe ich mich | |
intensiv mit problematischen Zertifikaten beschäftigt, die von Banken | |
ausgegeben wurden. Ich hoffte, in ihm wegen seiner Vita einen kritischen | |
Gesprächspartner zu finden, der die Problematik dieser Produkte erkennt. | |
Schließlich war Kukies mal Juso-Chef in Rheinland-Pfalz. Meine Hoffnung | |
wurde allerdings enttäuscht. Er hat damals voll und ganz in der Logik der | |
Branche argumentiert. Und war nicht in der Lage, die Schattenseiten | |
kritisch zu sehen. | |
Auch ein Banker ist zu Rollenwechseln fähig – und kann in der Politik | |
anders agieren. Warum trauen Sie ihm das nicht zu? | |
Die Bundesregierung hätte, wenn sie wollte, wirksame Instrumente. Sie | |
könnte den Vertrieb von problematischen Derivaten für normale Anleger | |
untersagen. Sie könnte die Banken verpflichten, mehr Eigenkapital | |
vorzuhalten und ihr Handeln genau zu dokumentieren. Außerdem wäre eine | |
Finanztransaktionssteuer in Europa dringend nötig, die den | |
Hochgeschwindigkeitshandel an den Börsen mit komplexen Produkten | |
unterbindet. Kukies müsste plötzlich das Gegenteil von dem vertreten, was | |
er jahrelang praktiziert hat. | |
Und das ist unmöglich? Die SPD ist seit Jahren für die Einführung der | |
Finanztransaktionssteuer. | |
Mir fehlt da leider die Hoffnung. Es gibt in der Finanzmarktbranche zwar | |
viele feine Leute, die gesellschaftlichen Mehrwert schaffen wollen. Sie | |
suchen sich aber die Bereiche raus, in denen sie Gutes tun können. Sie | |
arbeiten zum Beispiel im Kreditgeschäft, um Unternehmen mit guten Ideen mit | |
Geld zu versorgen. Im Investmentbereich aber wird immens viel Geld mit | |
schädlichen Produkten verdient, die von der Realwirtschaft völlig | |
abgekoppelt sind. Wer Chef einer Investmentbank ist, muss sich damit stark | |
identifizieren. | |
Wie hat Goldman Sachs während der Finanzkrise agiert? | |
Das Unternehmen hat eine große Hybris ausgestrahlt. Goldman-Sachs-Chef | |
Lloyd Blankfein hat sich 2009 kurz nach dem Höhepunkt der Finanzkrise in | |
einem Zeitungsinterview als Banker bezeichnet, der „Gottes Arbeit | |
verrichtet“. Damals zahlte das Unternehmen schon wieder Rekordboni an seine | |
Leute aus. In Europa ist die Firma mit einer Reihe von windigen Geschäften | |
verbunden. Sie half zum Beispiel mit, die Staatsverschuldung von | |
Griechenland und Italien mit Tricks nach außen solide aussehen zu lassen. | |
Goldman Sachs ist schon speziell. | |
Auch EZB-Chef Mario Draghi arbeitete früher für Goldman Sachs, ebenso der | |
US-Finanzminister. Warum wechseln so viele Goldman-Sachs-Leute in die | |
Politik? | |
Goldman Sachs ist die Investmentbank, die am stärksten um Einfluss in | |
öffentlichen Angelegenheiten buhlt. Diese personellen Verflechtungen sind | |
Teil der Geschäftsstrategie – und viel Geld wert. Es rechnet sich in diesem | |
Bereich besonders, Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben. Die | |
Drehtür funktioniert übrigens in beide Richtungen. Neulich ist der | |
ehemalige EU-Präsident José Manuel Barroso als Berater zu Goldman Sachs | |
gewechselt. | |
Was glauben Sie: Warum hat Olaf Scholz Kukies geholt? | |
Der neue Finanzminister hat wohl gesehen, dass er selbst wenig Ahnung von | |
den Finanzmärkten hat – und dass er jemanden braucht. Wahrscheinlich wollte | |
er auch demonstrieren, dass Politik und Privatwirtschaft gut kooperieren. | |
Dieser Ansatz ist aber schon unter seinem sozialdemokratischen Vorgänger | |
Peer Steinbrück krachend gescheitert. Der hörte auch auf die falschen Leute | |
in der Branche. | |
Welchen Kurs wird Scholz aus Ihrer Sicht fahren? | |
Ich befürchte, dass Olaf Scholz CDU-Finanzpolitik mit SPD-Parteibuch machen | |
wird. In der Europapolitik wird es vielleicht kleine Kursänderungen geben, | |
weil sich das viele in der SPD wünschen. Aber bei Steuer- und | |
Haushaltsfragen oder bei der Finanzmarktregulierung wird es keine | |
relevanten Verbesserungen geben. | |
20 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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