# taz.de -- Debatte Merkels neues Kabinett: Dear Angie! | |
> „Auch andere kochen nur mit Wasser“, sagte Merkel 2015 den Einwanderern. | |
> Für einen kurzen Moment hätte man es ihr glauben können. | |
Bild: Blonde Frauen sind alles, was das Kabinett Merkel an Diversität zu biete… | |
Liebe Bundeskanzlerin Merkel, vor etwas mehr als zwei Jahren luden Sie ins | |
Kanzleramt. Ich saß in der Reihe hinter Ihnen und habe Sie beobachtet, wie | |
sie in Ihrem Redemanuskript noch ein paar Sätze durchstrichen. Dann gingen | |
Sie, unaufgeregt wie immer, zum Pult. Sechzig Jahre Gastarbeiter waren Ende | |
2015 ein wichtiges Jubiläum. „Wir schaffen das!“ konnte ja nur glaubwürdig | |
sein, wenn wir es in der Vergangenheit schon geschafft hatten. | |
Sie bemühten sich, Empathie zu zeigen. Im Saal saßen Einwanderer der ersten | |
Generation, viele von ihnen über achtzig Jahre alt. Die Rechten sprechen | |
diesen Menschen gerne ihre Lebensleistung ab. Sie seien angeblich nur | |
gekommen, um sich hier zu bereichern. Deutsche Rechte sind ja immer | |
wahnsinnig kreativ in der Erfindung ihrer eigenen Opferrollen. | |
Sie, Frau Merkel, ließen sich damals nicht beeindrucken und sprachen all | |
die Sätze aus, nach denen Einwanderer heimlich lechzen: Danke für das, was | |
Sie „für unser Land getan haben. Seien Sie selbstbewusst. Sie haben allen | |
Grund dazu. Lassen Sie sich nicht unterbuttern. Auch andere kochen nur mit | |
Wasser.“ Mit diesem trockenen deutschen Spruch haben Sie mich berührt, weil | |
Sie nicht auf die Komplexe der Minderheiten anspielten, sondern auf ihr | |
Recht, stolz zu sein. „Auch andere kochen nur mit Wasser.“ Für einen Moment | |
habe ich Ihnen geglaubt. | |
Bis ich die Bilder Ihres vermutlich letzten Kabinetts sah. Da sind jetzt | |
endlich Frauen. Sie sind sich also der Bedeutung von Repräsentation | |
bewusst. Im neuen Kabinett gibt es jedoch [1][keinen einzigen Vertreter] | |
aus den Reihen jener Menschen, die sie im Dezember 2015 ins Kanzleramt | |
eingeladen hatten. Niemanden, der zeigt, wie sehr Deutschland sich | |
gewandelt hat. | |
## Relevanz erkannt, Relevanz gebannt | |
Mit diesem Kabinett ist auch die Integrationsbeauftragte der | |
Bundesregierung, Aydan Özoğuz, verschwunden. Natürlich, die CDU wollte | |
dieses Amt immer gerne für sich haben. Aber nach all dem, was sie sich als | |
Staatsministerin öffentlich anhören musste, hätte man den rechten | |
Schreihälsen den Gefallen nicht tun dürfen, sie aus der Regierung zu | |
entfernen – ohne zumindest [2][eine Nachfolgerin zu finden], die namentlich | |
und inhaltlich so provokant ist für die rechten Szenen, wie Özoğuz es war. | |
Sie verstehen also – man sieht es an den Frauen – die Relevanz von | |
Repräsentation. Warum glauben Sie dann, dass dieses Land auf eine diverse | |
Regierung verzichten kann, ohne dass sich Menschen abgehängt fühlen? Was | |
ist die Botschaft an die Minderheiten und Eingebürgerten? Die meisten von | |
uns gehen nicht auf Marktplätze und schreien „Merkel muss weg!“ Wir | |
organisieren keine Demos, auf denen Sie ausgebuht werden und bei denen jede | |
demokratische Redekultur mit Füßen getreten wird. Nein, wir kommen, wenn | |
Sie rufen, auch ins Kanzleramt. Wir sitzen da und ministrieren. Wir lassen | |
uns berühren, wenn Sie sagen: „Auch andere kochen nur mit Wasser.“ Doch | |
warum wird aus dem Wasser, mit dem nicht migrierte Deutsche kochen, immer | |
etwas, wovon sie auch essen können? Um dann von gut bezahlten | |
Ministerposten aus, die auch durch migrantische Steuergelder finanziert | |
werden, alles Eingewanderte zu heißem, demokratiefeindlichem Dampf zu | |
erklären? | |
Wir sollen es uns nicht in der Opferrolle bequem machen, heißt es dann. Wir | |
sollen das Unrecht also nicht mal benennen. Wir sind aber anständige | |
Demokraten und tun es trotzdem. Der deutsche Diskurs krankt derzeit daran, | |
dass sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit lieber den Unanständigen | |
zuwendet. | |
Als Frau freue ich mich natürlich über die Frauen im Kabinett. Doch warum | |
sehe ich nur die blonden bürgerlichen Mädchen meiner Gymnasial-Kindheit? Es | |
ist eine Form der Ausgrenzung, sich nicht repräsentiert zu sehen. | |
Ausgrenzung wiederum ist eine Form der Gewalt. Sie kennen sicher das Buch | |
der US-Autorin und Nobelpreisträgerin Toni Morrison, es heißt: „The bluest | |
eyes“. Es geht um Pecola, ein schwarzes Mädchen, das sich hässlich findet. | |
Die weißen Mädchen setzt sie mit Schönheit gleich. Pecola will nichts so | |
sehr wie blaue Augen, weil sie dadurch Teil der Weißen werden könnte. Teil | |
der Schönheit, Teil des Erfolges. | |
## Hocharbeiten, um ignoriert zu werden | |
Die eingewanderte deutsche Bevölkerung und ihre Nachfahren haben Besseres | |
zu tun, als von blauen Augen und blondierten Haaren zu träumen. | |
Doch so kurz bevor Sie Ihren Führungsanspruch für dieses Land abgeben | |
werden, ebnen Sie Frauen den Weg und lassen uns zurück. Weshalb? Die | |
Zukunft macht den Einwanderern genauso viel Angst wie den Ost- und | |
Westdeutschen. Auch wir hätten ein Signal gebraucht. | |
Ossis wie Wessis jammern gerne über die Parallelgesellschaften der | |
Minderheiten. Dabei haben die Ost-West-Beziehungen nach der Wende alles | |
überlagert. Die Einwanderer und Ausländer arbeiteten in Fabriken, um den | |
Soli zu bezahlen. Wenn ihre Kinder sich integrieren, hocharbeiten und in | |
die Politik gehen, müssen sie sich von rechten Kräften anhören, dass sie | |
ins Land ihrer Eltern entsorgt werden sollten. Auf die harsche Kritik hin, | |
kein Vertreter aus dem Osten sei in der Regierung, reagierte man prompt mit | |
einem Beauftragten aus dem Osten. Auf die Kritik, dass kein Mensch mit | |
Migrationsgeschichte der Regierung angehört, wurde nicht reagiert. | |
Sie hätten in ihrer letzten Amtszeit dazu beitragen können, die neue | |
deutsche Normalität zur Selbstverständlichkeit zu machen. Jenseits der | |
Fußballnationalmannschaft. Jetzt stehen wir da mit all dem Wasser, mit dem | |
wir gekocht haben. Soll das wirklich das Ergebnis von über 6o Jahren | |
Zusammenleben sein? Dieses Land braucht uns, ganz gleich, was es schaffen | |
will. Und all jene, die leise und mit ehrenamtlichem Eifer all das | |
schaffen, was Sie 2015 gefordert haben, die brauchen Sie auch. Vergessen | |
Sie das nicht, wenn die anderen wieder Tomaten werfen und meinen, | |
Demokratie sei die Herrschaft der Lauteren. | |
21 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Jagoda Marinić | |
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