# taz.de -- Kabinettskandidaten der SPD: So funktioniert Politik | |
> Die neue SPD-Riege zeigt: Postenverteilung hat nichts mit Kompetenz, aber | |
> viel mit Machtpolitik zu tun. Und: An MigrantInnen denkt niemand. | |
Bild: Es hat funktioniert: Die sechs neuen sind da | |
Eine muss es ja jetzt mal sagen: Danke, liebe SPD. Nicht wegen des Ja zur | |
Groko, das war ja am Ende killefitz, nachdem immerhin 66 Prozent klar | |
geworden war, dass nicht etwa die Opposition der SPD die nötige Stabilität | |
brächte, um sich zu erholen, sondern das weiche, blau gepolsterte | |
Krankenlager namens Regierungsbank. Viel wichtiger: Dank der | |
Sozialdemokraten hat in den letzten Wochen, besonders aber in den letzten | |
Tagen das ganze Land erleben dürfen, wie Politik funktioniert. | |
Nie wird im Regierungsviertel mehr auf Verteilungsgerechtigkeit geachtet | |
als immer dann, wenn es um die [1][Besetzung von Ministerposten] geht. Man | |
möchte sich das so vorstellen, dass Merkel, Seehofer und Nahles sich mit | |
den jeweils Beteiligten in einen Raum sperrten, Post-its verteilten, die | |
sich dann alle auf die Stirn klebten, und los ging das heitere Beruferaten. | |
Schließlich geht es noch am wenigsten um Fachkompetenz. | |
Viel eher zählen Herkunft (nach Bundesland), Engagement (Heiko Maas | |
brauchte nur plötzlich gaaaanz viel über Außenpolitik zu reden) und | |
machtpolitischer Gefahrenfaktor. Auf Letzteren achtete Nahles | |
verständlicherweise besonders gewissenhaft. Sigmar Gabriel darf künftig mit | |
Martin Schulz in der letzten Sitzreihe des Plenarsaals Doppelkopf spielen, | |
und Thomas Oppermann muss sich darauf beschränken, vernichtende Blicke vom | |
Präsidentenpult zu schießen und dabei in Gedanken eine weiße Flauschekatze | |
zu kraulen. | |
Trotzdem verheißt dieses künftige Kabinett Gutes, nämlich neues Personal. | |
Klügste Wahl: Franziska Giffey für das Familienministerium. Frau aus dem | |
Osten, das ist das eine, das dient dem Proporz. Sachkompetent und geerdet | |
als langjährige Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, das ist das andere und | |
dient dann (hoffentlich) dem Amt. Drittens kennt sie außerhalb Neuköllns | |
kaum jemand, ein Zeichen, dass Nahles es ernst meint, und damit ist | |
vermutlich allen gedient. Die Erneuerung der SPD ist schließlich kein | |
Selbstzweck, nichts wurde in den letzten Wochen deutlicher. | |
Schlechteste Wahl: jedeR fünfte MinisterIn. Denn nichts, aber auch gar | |
nichts in diesem Kabinett deutet irgendwie darauf hin, dass gut ein Fünftel | |
der Menschen im Land einen Migrationshintergrund hat. Allenthalben wurde | |
ein fürchterlicher Aufstand veranstaltet, damit bei der CSU auch ja die | |
Balance zwischen Oberbayern und Franken gewahrt werde, dass bei der SPD die | |
Niedersachsen ihren Vertreter am Tisch bekommen (Agenda-2010-Sitzenbleiber | |
Hubertus Heil für Arbeit und Soziales, aber natürlich zählte da der | |
einflussreiche Landesverband mehr als die Aussicht, auch soziale | |
Sozialpolitik zu machen) und, sowieso, der Osten. MigrantInnen? Tja. Und | |
jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit Katarina Barleys britischem Pass. | |
## Keine Repräsentation von MigrantInnen | |
Dabei hätte gerade die SPD nicht lange suchen müssen. Cansel Kiziltepe zum | |
Beispiel, Kreuzberger Finanzexpertin im Bundestag. Was kann Olaf Scholz, | |
was sie nicht könnte – außer „Olaf Scholz“ heißen? Oder Bilkay Kadem, | |
ehemals Öney, die fünf Jahre lang einen sehr guten Job als | |
Integrationsministerin in Baden-Württemberg gemacht hat, noch dazu unter | |
dem heimlichen CDU-Vorsitzenden Winfried Kretschmann. | |
Nein, mit Diversität meint es auch dieses Kabinett nicht ernst. Ist ja | |
schön, dass so viele Frauen darin sitzen, auch wenn das im Jahr 2018 | |
wirklich keiner Erwähnung mehr wert sein sollte. Dass aber, wenige Monate | |
nachdem eine fremdenfeindliche und demokratische Grundwerte systematisch | |
attackierende Partei stärkste Oppositionspartei wurde, die Regierung des | |
Landes offenbar null Wert auf Repräsentation von MigrantInnen legt, ist | |
sehr, sehr bitter. Umso mehr, als auch die bisherige Staatsministerin für | |
Integration, Aydan Özoğuz, die vom Vorsitzenden besagter Partei auf übelste | |
Weise rassistisch angegriffen wurde („in Anatolien entsorgen“), nicht Teil | |
der neuen Regierung sein wird. Dass ihr Posten nun aus Proporzgründen an | |
die CDU geht, rechtfertigt nicht, dass die Annette Widmann-Mauz dort | |
hinsetzt. Schließlich gäbe es auch Serap Güler, CDU-Staatssekretärin in | |
NRW, die kürzlich bei „Maischberger“ drei klugschnatternde Männer | |
rhetorisch fertigmachte – zum Thema Volksparteien übrigens, es muss nämlich | |
auch nicht immer Integration sein, verflixt. | |
Für die Zukunft überdenkenswert wäre auch das Prinzip, überhaupt noch | |
Pressekonferenzen abzuhalten – zumindest im Willy-Brandt-Haus. So streng | |
Nahles auch auf Geheimhaltung achtete: Wie immer war da jemand, der, kaum | |
aus der Ratespielhölle entkommen, so verstört war, dass er ganz dringend | |
jemanden zum Reden brauchte und einfach niemand anderen fand als diverse | |
Journalisten. Immerhin: Wenn das Netz zum Twittern dann nicht reicht, kann | |
die SPD wenigstens das künftig auf die CSU schieben, Dorothee Bär sei | |
Dank. Und wir anderen gucken ab sofort wieder Netflix. | |
9 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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