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# taz.de -- Schwangerschaftskonfliktberatung: „Die Pflichtberatung ist eine Z…
> Gabriele Kees berät Frauen, die ihre Schwangerschaft nicht fortsetzen
> wollen. Im Interview erzählt sie, warum die Beratung trotz des Zwangs ein
> großer Gewinn sein kann.
Bild: Demo für Selbstbestimmung bei einer Schwangerschaft 2015 in Berlin.
taz: Frau Kees, können Sie sich an Ihre allererste
Schwangerschaftskonfliktberatung erinnern?
Gabriele Kees: Das kann ich tatsächlich. Es kam eine Frau, die schon zwei
Kinder hatte und in einer Paarkrise steckte. Die ungeplante Schwangerschaft
hat sie mit schweren Gewissensfragen konfrontiert.
Wissen Sie noch, wie sie sich entschieden hat?
Das erfahren wir ganz selten. Aber in diesem Fall weiß ich es, weil die
Frau später zusammen mit ihrem Mann für eine Paarberatung zu mir gekommen
ist. Es ist ja häufig so, dass der vordergründige Schwangerschaftskonflikt
tieferliegende Konflikte ans Licht bringt. Jedenfalls hat sie das Kind
bekommen, es müsste inzwischen erwachsen sein.
Wie viele Beratungen haben Sie wohl in all den Jahren gemacht?
Ich berate durchschnittlich zwei bis drei Frauen pro Woche.
Das wären fast 2.000 Beratungen. Sind es immer die gleichen Konflikte, die
die Frauen zu Ihnen brachten?
Ich finde es nach wie vor bemerkenswert, in welch unterschiedliche
Konflikte eine Frau in dieser langen Phase der Fruchtbarkeit kommen kann.
Ich würde aber sagen, der größte Konflikt heutzutage ist, wenn etwas
Ungeplantes passiert. Die meisten Menschen möchten ihr Leben unter
Kontrolle haben. Eine ungeplante Schwangerschaft löst da ganz häufig
zuallererst das Gefühl aus: „Das passt jetzt gerade gar nicht.“ Das ist
einer der Sätze, die ich am häufigsten in der Beratung höre.
Vor allem von sehr jungen Frauen?
Die gibt es natürlich. Mit 14, 15, 16 Jahren geht das los. Manchmal sind
das Mädchen aus schwierigen Familienverhältnissen, mit einem unbewussten
Wunsch nach einer eigenen Familie. Aber sehr viel häufiger kommen die
älteren Frauen, die eigentlich die Familienplanung schon abgeschlossen
haben und irgendwann nicht mehr so streng verhüten. Interessanterweise
passiert das häufig bei Paaren, die vor allem durchs Elternsein miteinander
verbunden sind.
Mit wem kommen denn die Frauen oder kommen die meisten allein?
Viele Frauen kommen allein, manche mit Partner. Sehr junge Frauen bringen
Freundinnen oder ihre Mütter mit, Mädchen aus Heimen auch ihre
Betreuerinnen. Kinder dürfen generell nicht bei der Beratung dabei sein,
das hat Fürsorgegründe. Außer den Partner bitte ich jede Begleitung, uns
für einen Teil der Beratung allein zu lassen. Weil eben nicht immer klar
ist, wessen Interessen im Vordergrund stehen. Es kommt zum Beispiel auch
vor, dass ein Zuhälter dabei ist.
Die Partner bleiben die ganze Zeit bei der Beratung dabei, obwohl sie
womöglich die treibende Kraft hinter einem Abtreibungswunsch sind?
Es ist ja die Kunst der Beratung, diesen Konflikt herauszuarbeiten. Ich
nehme mir viel Zeit für die Partner, die vehement gegen eine
Schwangerschaft sind. Wenn sie merken, dass sie nicht nur Beiwerk sind und
dem ohnmächtig gegenüber stehen, dann ist das für das Leben dieses Paares
perspektivisch von großer Bedeutung. Manche Männer fangen an zu weinen und
sagen, ich weiß nicht, wie wir das alles schaffen sollen. Das löst die
Härte auf. Es kommt dann nicht unbedingt zu einem anderen Ergebnis, aber
die beiden haben sich noch einmal besser sehen können in ihrer Not.
Ohne die Schwangerschaftskonfliktberatung darf in Deutschland keine Frau
einen Abbruch machen. Kommen nicht viele und wollen nur den Schein und
wieder gehen?
Die gibt es, klar. Vor allem sehr gebildeten Frauen ist die Pflichtberatung
unangenehm. Sie kommen oft mit der Einstellung: „Ich habe mich informiert,
ich muss hier gar nichts sagen.“
Was sagen Sie dann?
Früher habe ich das etwas persönlich genommen. Aber inzwischen sage ich:
Ja, da haben Sie recht, ich möchte Ihnen nur anbieten, noch einmal über
diesen oder jenen Aspekt mit mir zu sprechen.
Lassen sich die meisten Frauen auf eine Beratung ein?
Das dauert in der Regel einen Moment. Die Allermeisten sagen, sie sind sich
ganz ganz sicher, dass sie einen Abbruch wollen. Weil sie denken, sie
müssten sich rechtfertigen, dürften keine Zweifel zeigen. Obwohl Zweifel,
und sei es nur ein ganz kleiner Teil, zu so einer Entscheidung dazu
gehören. Und in dieser Beratung dürfen die noch einmal sein. Ich sage
deshalb immer gleich am Anfang: „Der Beratungsschein liegt schon bereit für
Sie, Sie bekommen den auf jeden Fall.“
Kommen auch Menschen anderer Religionen zu Ihnen?
Wir sind im Spreewald, nicht in Berlin. Also eher weniger. Aufgrund der
Nähe zu Polen kommen öfter polnische, katholische Frauen. Für die ist das
Thema Sünde und Schuld oft sehr präsent. Und wenn sie das selbst
ansprechen, dann widme ich mich dem. Ansonsten spielt ja das Thema Religion
keine Rolle für die Beratungsinhalte, obwohl wir eine evangelische
Beratungsstelle sind.
Was ist Ihr Ziel als Beraterin?
Der Sinn der Beratung ist aus meiner Sicht, der Frau zu einer bewussten
Entscheidung zu verhelfen, die sie gut in ihr Leben integrieren kann. Egal,
welche das dann ist. Dafür ist es aus meiner Sicht absolut notwendig, das
Thema der Ambivalenz und den Konflikt hinter dem Schwangerschaftskonflikt
anzusprechen, wenn es den gibt. Außerdem versuche ich immer zu ergründen,
ob es für die Schwangere Hilfen gibt, die es ihr ermöglichen, das Kind zu
bekommen.
Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach ein Schwangerschaftsabbruch in der
Biografie einer Frau?
Ich bin überzeugt, dass es Frauen gibt, für die diese Entscheidung die
richtige ist und die dadurch weder Depressionen noch eine Traumatisierung
zu befürchten haben. Aber ich habe auch erfahren, dass eine Frau ein solche
Entscheidung nie vergisst.
Wie stehen Sie selbst zur rechtlichen Möglichkeit der Abtreibung?
Ich verteidige das Recht der Frau auf die Entscheidung gegen die
Fortführung der Schwangerschaft. Gleichzeitig ist mir bewusst, wie viele
Beratungsscheine ich schon unterschrieben habe und wie viele Kinder nicht
ins Leben kommen. Das ist ein Dilemma, das nicht aufzulösen ist. Eine
Entscheidung für ein Kind kann aber nur mit der Frau und nicht gegen sie
fallen.
Fühlen Sie sich verantwortlich für diese Entscheidung?
Nein. Ich fühle mich verantwortlich dafür, denen, die das möchten, Raum für
eine bewusste Entscheidung zu geben.
Also berührt es Sie nicht, wie sich die Frau letztlich entscheidet?
Es gibt Frauen, die sehr entschieden sind, bei denen ich aber spüre, dass
es sehr schwer für sie wird, mit einem Abbruch zu leben. Das berührt mich.
Es gab mal eine Debatte darüber, ob das liberalere Abtreibungsrecht in der
DDR bis heute dazu führt, dass Ostdeutsche leichtfertiger mit Abbrüchen
umgehen.
Dem kann ich überhaupt nicht zustimmen. Ich würde sagen, dass ostdeutsch
sozialisierte Frauen vielleicht etwas offener mit dem Thema umgehen. Also
beispielsweise sagen: „Meine Mutter hatte ja auch schon einen Abbruch“. Im
Grunde denke ich aber, die Einstellung zum Thema Schwangerschaftsabbruch
hängt weniger von der ost- oder westdeutschen Sozialisation ab als von der
kirchlichen Prägung. Manchmal habe ich in der Ausbildung Frauen aus Bayern,
die schnell merken, dass sie das nicht können, weil sie viel zu vehement
für das Kind argumentieren würden. Die sind dann aber auch verkehrt in dem
Beruf. Wir Schwangerschaftskonfliktberaterinnen sind gesetzlich
verpflichtet, ergebnisoffen zu beraten.
In der Bundesrepublik war das Thema Abtreibung sozusagen die Speerspitze
der frauenpolitischen Bewegung. Wie politisch ist das Thema in der Region,
in der Sie arbeiten, und unter Kolleginnen?
Leider sehr wenig. Ich habe einmal erzählt, dass ich bei der Gegendemo zum
„Marsch für das Leben“ [regelmäßige Demonstrationen von Abtreibungsgegne…
Anm. d. Red.] war. Da ernte ich viel Unverständnis.
Wurden Sie selbst schon einmal angefeindet?
Manchmal bekommen wir Briefe von den „Lebensschützern“, in denen sie uns
„nur mal freundlich daran erinnern möchten“, dass es bei einem
Systemwechsel sein kann, dass Gesetze, die jetzt rechtens sind, plötzlich
nicht mehr gelten. Wir sollten nur mal an die Mauerschützenprozesse denken
… Die größte Anfeindung habe ich aber bei einer Veranstaltung junger
Feministinnen erlebt, die den Paragraf 218 abschaffen wollen, was ich sehr
gut verstehe. Es war mir aber wichtig, auch aus der Beratungspraxis zu
berichten. Die haben mich so bombardiert, dass ich mir am Ende gewünscht
habe, ich hätte nichts gesagt.
Was ist Ihre Meinung zu der aktuellen Debatte über die Strafverfolgung von
Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten und darüber beispielsweise
auf ihrer Webseite informieren?
Den Gedanken, dass die Information über Schwangerschaftsabbrüche Werbung
für einen Abbruch wäre, finde ich dermaßen absurd, da muss ich gar nicht
drüber diskutieren. Man weiß ja auch, aus welcher Ecke das kommt.
Spielt es für die Frauen, die zu Ihnen kommen, eine Rolle, dass ein
Schwangerschaftsabbruch gemäß Paragraf 218 nach wie vor eine Straftat ist?
Das spielt in unserer Region überhaupt keine Rolle. Die Frauen, die zu uns
kommen, wissen das in der Regel gar nicht und ich weise sie ganz sicher
auch nicht darauf hin.
Ist es am Ende hilfreich oder hinderlich, dass es sich bei der
Schwangerschaftskonfliktberatung um eine Pflichtberatung handelt?
Die Tatsache an sich ist eine Zumutung. Das ist mir sehr bewusst. Aber
trotz dieser Umstände ist die Beratung eine Chance, den Blick noch einmal
zu weiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen am besten mit einer
Entscheidung zurechtkommen, wenn sie sagen können: „Das hab ich mir richtig
gut überlegt.“ Das versöhnt mich auch mit der Tatsache, dass es sich um
eine Pflichtberatung handelt.
8 Mar 2018
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Frauenkampftag
Schwerpunkt Abtreibung
Schwangerschaft
Paragraf 218
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Kristina Hänel
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