# taz.de -- Aktion des Peng-Kollektivs: Klauen für den guten Zweck | |
> Aktivist*innen rufen zu zivilem Ungehorsam auf: Statt im Supermarkt zu | |
> zahlen, soll das Geld der Kund*innen direkt an die Erzeuger gehen. | |
Bild: Im Video zur Kampagne lassen die Aktivist*innen so einiges mitgehen | |
Bananen. Orangen. Während sein Vater den Einkaufswagen füllt, verdüstert | |
sich die Miene des Jungen in dem Videoclip immer mehr. Schließlich hält er | |
es nicht mehr aus: „Das ist nicht fair“, ruft er. Niedrige Preise – und | |
Löhne unterhalb des Existenzminimums, Pestizideinsatz, Kinderarbeit. Wer | |
kann da guten Gewissens einkaufen? | |
Plötzlich ist Rettung in Sicht. Eine Frau im Waschbären-Superhelden-Overall | |
turnt durch den Supermarkt, lässt Kaffee, Obst und Schokolade in ihrem | |
Rucksack verschwinden und saust einfach an der Kasse vorbei. „Ich klau | |
nicht“, erklärt sie dem verdutzt dreinblickenden Kassierer. „Ich zahl nur | |
an die Richtigen.“ „Discounter klauen Menschenrechte“, verkündet ein | |
Schriftzug. Und: „Wir klauen zurück“. „16,49 direkt an die Produzentinne… | |
sagt der Vater später in der heimischen Küche, tippt auf seinem Smartphone; | |
zufriedenes Grinsen, High Five mit dem Sohn. | |
Es ist das Video zur Kampagne [1][„Deutschland geht klauen“], mit der die | |
Berliner Aktionskünstler*innen vom Peng-Kollektiv seit Mittwochabend zu | |
zivilem Ungehorsam gegen ausbeuterische Wirtschaftsunternehmen aufrufen. | |
„Die vier großen Discounter Lidl, Edeka, Aldi und Rewe bestehlen täglich | |
ihre Produzent*innen, denn sie verhindern Gewerkschaften, zahlen | |
Hungerlöhne und befördern die Verletzungen von Menschenrechten“, heißt es | |
auf der Webseite der Kampagne. | |
Solange die Gesetze blieben wie jetzt, werde sich daran nichts ändern. | |
„Deswegen kehren wir die Ausbeutung symbolisch um“, erklärt das Kollektiv. | |
„Wir klauen gezielt Produkte und geben das Geld dafür dorthin, wo es | |
hingehört: an Gewerkschaften im globalen Süden.“ | |
## Fluchthelfer werden | |
„Die Supermärkte berauben täglich Menschen ihrer Rechte, und wir als | |
Konsumentinnen und Konsumenten sind alle daran beteiligt“, sagt eine | |
Peng-Aktivistin, die sich Gil Schneider nennt. „Deutschland geht also | |
ohnehin täglich klauen.“ Sie sitzt an einem Schreibtisch in einem | |
Gemeinschaftsbüro irgendwo in Berlin, an den Wänden hängen Poster gegen | |
Gentrifizierung und von alten Peng-Kampagnen. [2][„Werde Fluchthelferin“], | |
steht auf mehreren der Plakate. Im Sommer 2015 hatte das Kollektiv, das | |
sonst vor allem mit Fake-Kampagnen [3][zur Bundeswehr] oder [4][Hartz IV] | |
oder auch mal mit einer [5][Torte im Gesicht der AfD-Politikerin Beatrix | |
von Storch] auffällt, zum Menschenschmuggel aufgerufen. | |
Damals saßen Tausende Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen in | |
Budapest fest. Das Kollektiv hatte Tipps gegeben, wie man Menschen | |
möglichst unauffällig mit dem Auto über die Grenze bringt, mit übrigem | |
WM-Merchandise in Schwarz-Rot-Gold am Rückspiegel und am besten ohne | |
„Refugees Welcome“ auf dem T-Shirt. Angesichts der bestürzenden Nachrichten | |
und Bilder aus Budapest machten sich ganze Konvois auf den Weg, um das | |
Gesetz zu brechen. | |
## Aktionskunst um fünf Ecken | |
Dagegen klingt „Deutschland geht klauen“ erst mal nach Aktionskunst um fünf | |
Ecken: Ich soll klauen, eigentlich ein Akt der Selbstbereicherung und nicht | |
der Zivilcourage. Ich sollte mich dabei bloß nicht erwischen lassen, weil | |
das Ärger gibt und die Supermärkte sich sicher nicht mit einem „Das ist | |
aber Kunst“ besänftigen lassen. Dann soll ich im Netz Geld an das | |
Peng-Kollektiv zahlen, die das dann an Gewerkschaften in Ecuador, | |
Äthiopien, Indien, Brasilien oder anderen Ländern am Beginn der | |
Wertschöpfungskette bezahlen. Und das soll dann das ganze ungerechte System | |
verändern. | |
Um diese Zusammenhänge zu verstehen, muss man den Kopf einschalten. | |
Schneider widerspricht: „Eigentlich sind wir uns doch bewusst, dass da was | |
ordentlich schiefläuft“, sagt sie. Seit Jahren gibt es Dokus über | |
Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, darüber, wie Nestlé sich Quellwasser unter | |
den Nagel reißt, und über Morddrohungen und Gewalt gegen | |
Gewerkschafter*innen. Wir wissen, unter welchen Bedingungen unsere | |
Fünf-Euro-T-Shirts genäht werden, der Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik in | |
Bangladesch 2013, bei dem mehr als 1.130 Menschen starben und mehr als | |
2.400 verletzt wurden, rief öffentliche Bestürzung hervor. In der | |
Textilfabrik hatten auch die deutschen Unternehmen Kik, Adler Modemärkte, | |
NKD, Guldenpfennig und Kanz-Kids-Fashion nähen lassen. | |
Gerade wird [6][Edeka dafür gefeiert], Produkte von Nestlé aus dem | |
Sortiment genommen zu haben; dabei will Edeka vor allem eins: diese | |
Produkte billiger bekommen. Und wenn Nestlé billiger an den Supermarkt | |
verkaufen muss, bedeutet das im Umkehrschluss vermutlich: Noch weniger Geld | |
für die Produzent*innen. | |
## Arbeit unter schlechten Bedingungen | |
Die marktmächtigen Supermarktriesen sind in diesem Spiel nicht die Guten. | |
Wir wissen das. Und trotzdem kaufen wir weiter, was billig ist. Mit | |
Bauchschmerzen, aber wir kaufen. Und ab und an gönnen wir uns eine Tafel | |
Fair-Trade-Schokolade fürs gute Gewissen. | |
Ein Thema für ohnehin sensibilisierte und finanziell besser gestellte | |
Akademiker*innen? Das glaubt Schneider nicht. „Wir wissen das alle. | |
Niemand, der bei Kik eine Hose kauft, sagt: Die entsteht bestimmt unter | |
guten Bedingungen.“ Dessen seien sich auch die Hersteller bewusst. „Warum | |
sonst steht auch auf den billigen Hausmarke-Produkten immer irgendwas von | |
nachhaltiger Produktion“, fragt Schneider. „Die Unternehmen wissen, dass | |
die Konsument*innen das wollen.“ | |
Auch deswegen machen die großen Konzerne nur zu gerne bei allem mit, was | |
gut klingt und wenig Verpflichtungen mit sich bringt. Zum Beispiel beim | |
[7][„Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“], den die | |
Bundesregierung Ende 2016 eingesetzt hat. Damit will sie „die Einhaltung | |
von Menschenrechten in globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten | |
durchsetzen“. Unternehmen sollen Menschenrechte achten. Mit dabei sind | |
zahlreiche Ministerien, zuvorderst das Bundesministerium für Arbeit und | |
Soziales, und eine millionenschwere Hochglanz-Werbekampagne. | |
## Diebstahl für neue Gesetze | |
Was fehlt, sind verbindliche Vorschriften und Verpflichtungen für die | |
Unternehmen. Die sollen ganz grundsätzlich erklären, wie toll sie | |
Menschenrechte finden. Bis 2020 soll dann mindestens die Hälfte aller | |
Unternehmen in Deutschland mit mehr als 500 Beschäftigten „die Elemente | |
menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert | |
haben“, heißt es im NAP. Nur wenn das nicht klappt, will die | |
Bundesregierung „weitere Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen | |
prüfen“. NGOs kritisieren das als Augenwischerei. | |
So sieht das auch das Peng-Kollektiv. „Wir treten – oder stupsen – den | |
Rechtsstaat mit den Füßen, damit er in die Pötte kommt“, sagt Gil | |
Schneider. Denn mehr als um massenhaften Diebstahl aus Solidarität geht es | |
den Aktivist*innen um eine Gesetzesändern. „Die politische Ebene gibt die | |
Verantwortung an die Unternehmen, die geben sie immer weiter runter bis an | |
die Konsument*innen“, sagt Schneider. Und die müssten dann bei jedem | |
Einkauf im Supermarkt verhandeln, ob sie sich für oder gegen Menschenrechte | |
entscheiden. „Das ist aber ein logischer Widerspruch“, sagt Schneider. | |
„Menschenrechte sind nicht verhandelbar.“ | |
Ob es dem Kollektiv gelingt, Klauen neu zu konnotieren – und das für eine | |
breite Zielgruppe? Und ist das überhaupt erstrebenswert? Schneider zuckt | |
mit den Achseln. „Für viele ist Klauen nichts“, sagt sie. Wenn bei Peng | |
Geld einginge, könnten sie aber ohnehin nicht überprüfen, ob die | |
Spender*innen vorher tatsächlich geklaut hätten. „Das ist uns auch egal.“ | |
Spenden könne man auch so. Noch eine Umdrehung mehr in der ohnehin schon | |
recht langen Argumentationskette der Kampagne. | |
Und was soll nun am Ende dabei rauskommen? „Im Idealfall“, sagt Schneider | |
grinsend, „steigen die Supermärkte begeistert ein und erarbeiten gemeinsam | |
mit der Politik ein Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht.“ Da | |
das aber ziemlich unwahrscheinlich ist, bleibt der Hauptadressat der Aktion | |
der Gesetzgeber – und eine aufgerüttelte Öffentlichkeit, die Druck ausübt. | |
1 Mar 2018 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deutschlandgehtklauen.de | |
[2] /!5220818/ | |
[3] /!5254884/ | |
[4] /!5299858/ | |
[5] /!5282105/ | |
[6] /Edeka-boykottiert-Nestle/!5487270/ | |
[7] http://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/wirtschaft-me… | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Peng Kollektiv | |
Peng! | |
Aktivismus | |
Menschenrechte | |
Diebstahl | |
Gewerkschaft | |
Kapitalismus | |
Kunstaktion | |
Discounter | |
Bananen | |
Aachener Friedenspreis | |
Friedhof | |
Peng! Collective | |
Edeka | |
Schwerpunkt AfD | |
Peng Kollektiv | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gewerkschafter zu Bananen aus Ecuador: „Lidl antwortet uns nicht mal“ | |
Auch auf zertifizierten Bananenplantagen herrschen miese | |
Arbeitsbedingungen, sagt der Gewerkschafter Jorge Acosta. Behauptungen | |
Lidls zum Gegenteil seien Lügen. | |
Aachener Friedenpreis: „Peng!“-Kollektiv ausgezeichnet | |
Den Preis erhalten in diesem Jahr eine kolumbianische Organisation für | |
Menschenrechte und das Berliner Satire-Kollektiv „Peng!“. | |
Gesetz zur Verhinderung von Kinderarbeit: Schmutzige Grabsteine | |
Viele der hiesigen Grabmale stammen aus indischen Steinbrüchen, wo Kinder | |
schuften. Niedersachsen will solche Steine jetzt verbieten. Aber das ist | |
nicht so einfach. | |
Kritik am „Sicherheitspaket“ in Österreich: Kurz' kryptische E-Mails | |
Das Peng!-Kollektiv hat die E-Mail-Adressen aller österreichischen | |
Parlamentarier verschlüsselt. Die Aktion gilt einem geplanten Gesetz. | |
Edeka boykottiert Nestlé: Wir können aufhören, Edeka zu feiern | |
Wenn der Supermarktkonzern die Preise von Nestlé drücken will, dann hat das | |
nichts mit globaler Gerechtigkeit zu tun. | |
Haft nach Tortenwurf auf von Storch: Aber bitte ohne Sahne | |
Eine Studentin warf im November eine Torte auf Beatrix von Storch. Statt | |
Geldstrafe wählte sie zwei Wochen Haft. Torten werfen will sie weiterhin. | |
Aktivisten ehren illegale Flüchtlingshilfe: Schicker als ein Bundesverdienstkr… | |
Das Peng-Kollektiv verlieh im Namen der EU-Kommission das erste | |
„Europäische Verdienstkreuz“. Die Auszeichnung soll FluchthelferInnen | |
ehren. | |
Kampagne für Fluchthilfe im Urlaub: Rübermachen auf dem Rücksitz | |
Aktivisten fordern zum zivilen Ungehorsam auf. Touristen sollen Geflüchtete | |
mit über die Grenze nehmen – im Privatauto. |