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# taz.de -- Widerstand gegen NS-Gedenkstätte: Der Blick zurück ist unerwünsc…
> In Emmerthal wächst der Widerstand gegen einen Gedenkort an die
> Erntedankfeste der Nazis. Dabei gehen Lokalpolitiker*innen auch mal Seite
> an Seite mit der AfD.
Bild: Nicht alle Menschen in Emmerthal wollen sich mit den Festen der Nazis aus…
HAMBURG taz | „Und dann Bückeberg“, schwärmte Reichspropagandaminister
Josef Goebbels 1936 in seinem Tagebuch: „Ein ergreifender Zug den Berg
herauf“. Und er schrieb weiter: „Die Bauernleute umarmen ihn fast. Er ist
unser aller Abgott“. Hier in der Nähe von Emmerthal im Landkreis
Hameln-Pyrmont inszenierten die Nationalsozialisten bei den
„Reichserntedankfesten“ den schönen Schein des „tausendjährigen Reichs�…
Jetzt soll rund um den Feldweg, der einmal Weg zur Ehrentribüne war, ein
Dokumentations- und Lernort entstehen. Es soll die Selbstinszenierung und
das Verführungspotential des Nationalsozialismus sichtbar machen. „Das
Gelände soll lesbar gemacht werden“, sagt Bernhard Gelderblom vom Verein
für regionale Kultur- und Zeitgeschichte.
Doch der Widerstand gegen eine solche Aufarbeitung wächst. Der Historiker
Gelderblom, der sich schon seit über 20 Jahren mit der Geschichte des
Nationalsozialismus im Raum Hameln beschäftigt, erzählt, dass die
Anfeindungen zugenommen hätten: „Die Drohanrufe und Hassschreiben schlagen
einen ernüchternden Ton an“. Da höre man auch, „dass die Juden Rache üben
wollten“. Er selbst werde „wie ein Feind“ behandelt.
Auf politischer Ebene spielte der jüngste Akt der Ablehnung im Gemeinderat
von Emmerthal: Dort fand am 22. Februar ein Antrag zu einer Bürgerbefragung
die notwendige Mehrheit. Den Antrag hatte die AfD auf die Agenda gesetzt.
Die Fraktionen von CDU und Freien Wählern Emmerthal stimmten zu. Dass die
AfD den Antrag formuliert hat, störte beide Fraktionen nicht. „Wenn die AfD
den Antrag nicht gestellt hätte, hätten wir ihn gestellt“, sagt der
CDU-Fraktionschef Rudolf Welzhofer.
Die Provokation des Beschlusses: Der Rat ist gar nicht zuständig. Er kann
nach einer Bürgerbefragung nur eine entsprechende Resolution verabschieden.
Das Gelände, das Hitlers Architekt Albert Speer zu einem etwa 800 mal 240
Meter großen Festplatz umgestaltete, gehört dem Land und steht seit Ende
2010 unter Denkmalschutz. Die geplante Dokumentationsstätte soll ein Verein
betreiben, die nötigen Gelder kommen vom Landkreis und Stiftungen. In der
Gemeinde wird dennoch über Folgekosten geklagt und man fürchtet, zum
Wallfahrtsort für „Ewiggestrige“ zu werden.
In der Bundesrepublik ist bisher jedoch keine NS-Gedenkstätte zu einer
Pilgerstätte von Rechtsextremen geworden. Die zieht es eher zu
Kriegsdenkmälern und Soldatenfriedhöfen. Die „Initiative Bückeberg“ hat
dennoch über 2.000 Unterschriften gegen ein Lern- und Dokumentationsort
zusammenbekommen.
Ernst Nitschke von den Freien Wählern berichtet stolz, allein 750
Unterschriften gesammelt zu haben. Die BefürworterInnen eines Gedenkortes
halten die Aktion für Effekthascherei. „Die Bürgerbefragung hat rein
demonstrativen Charakter“, sagt etwa Bernhard Gelderblom.
Die Debatte erweckt den Eindruck, als ob vor Ort niemand mit den Anwohnern
geredet hätte. Doch die Diskussion läuft seit Jahrzehnten – bei
Infoveranstaltungen, Führungen, pädagogischen Workshops und Fachtagen. In
der Planung wurden die Anwohner miteinbezogen, am Konzept wurde auch nach
Anmerkungen etwas geändert, erklärt Gelderblom. Und schiebt hinterher, dass
sich die Auseinandersetzung seit November letzten Jahres verschärft hätte.
## Eine politische Zeitenwende
Die ablehnenden Reaktionen kann man als Seismograph für eine politische
Zeitenwende betrachten. Nach 70 Jahren müsse das doch nicht mehr sein,
genug sei genug: Das ist der Ton, den am lautesten und offensten die AfD
bei der Erinnerungspolitik anschlägt.
In Emmerthal überlegte die Gemeinde in der Vergangenheit bereits, die
NS-Spuren zu verwischen. Nahe der geplanten Gedenkstätte entstanden in den
1970er-Jahren entlang der von Speer mitgeplanten gepflasterten Straße
Einfamilienhäuser, eine komplette Bebauung des Geländes wurde erwogen.
An den damaligen Hameler Landrat und Emmenthaler Bürgermeister Karl
Heißmeyer erinnert sich Gelderblom gut. Der SPD-Politiker wohnte in der
Nähe und „wollte hier gar nichts“. „Er wollte, dass man das alles
vergisst.“ Bis heute komme der Widerstand aus der gut situierten
Ansiedlung, sagen der Hamelner Landrat Tjark Bartels und Emmerthals
Bürgermeister Andreas Grossmann – beide in der SPD.
Aber nicht nur Gelderblom, Bartels oder Grossmann wollen in der Region zum
Nachdenken über Wirkungsmacht von Glorifizierung anregen. Die Fachgruppe
Geschichte der Schulen im Landkreis Hameln-Pyrmont ruft die
Kreistagsmitglieder auf, „für das historisch-topografische
Informationssystems“ zu stimmen. Denn die meisten Gedenkstätten würden die
Verbrechen dokumentieren, aber könnten nicht die Begeisterung der vielen
Menschen am Nationalsozialismus vergegenwärtigen.
## Eine Leerstelle füllen
„Die Geschichte der Reichserntedankfeste kann für die zeitlose
Verführbarkeit sensibilisieren, die von Gemeinschaftsbeschwörung,
Überlegenheitsgefühl und Aggressivität entsteht“, heißt es in der Erklär…
der Fachgruppe vom 14. Januar dieses Jahres.
Tatsächlich kann eine Dokumentation am Bückeberg genau diese Leerstelle
füllen. Historische Aufnahmen ließen die Menschen wie berauscht erscheinen,
so beschreibt es Bernhard Gelderblom. 1933 kamen 500.000 Menschen zum
Bückeberg, 1937 waren es gut 1, 2 Millionen und, anders als bei anderen
NSDAP-Veranstaltungen, waren es eben nicht nur Parteigenossen. Man sang
völkische Lieder, führte Volkstänze auf. Das Ereignis wurde live im Radio
übertragen.
Noch heute finden sich auf der Wiese Fundamente der oberen zwei Tribünen,
auf der etwa 3.000 Personen Platz fanden. Von unten stieg Hitler durch das
Volk nach oben. „Der Weg war das zentrale Ritual“, sagt Gelderblom. Während
bei den monumentalen Feiern auf dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände die
heroische Einsamkeit des Führers inszeniert wurde, zelebrierte das Regime
auf den Bückeberg den geliebten Kanzler des Volkes.
Am 13. März entscheidet der Hamelner Kreistag über die Gründung und
finanzielle Ausstattung des Dokumentations- und Lernortes. AfD und CDU
haben Gegenanträge gestellt.
26 Feb 2018
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
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