# taz.de -- Gedenkstättenkonzept verwässert: Doch nicht auf Hitlers Spuren | |
> Auf dem Bückeberg bei Hameln entsteht eine Gedenkstätte, die an die | |
> Reichserntedankfeste der Nazis erinnern soll. Proteste von Anwohnern, CDU | |
> und AfD. | |
Bild: Verschmelzen mit dem Volk: Speer und Goebbels (Zweiter und Dritter von li… | |
HAMBURG taz | In Niedersachsen entsteht ein neuer Lern- und | |
Dokumentationsort zum Nationalsozialismus. Nicht über die Verbrechen des | |
Dritten Reiches soll am Bückeberg bei Hameln aufgeklärt werden, sondern | |
über den „schönen Schein“ des „Tausendjährigen Reichs“. Nach einer l… | |
politischen Auseinandersetzung haben Vertreter des Landkreises, des | |
Kreistages und des Rates der Samtgemeinde Emmerthal am vergangenen Freitag | |
einen Kompromiss gefunden. Die Gelder sind weitgehend bewilligt. Um das | |
geschichtspädagogische Konzept war schwer gerungen worden. | |
Auf dem Bückeberg fanden von 1933 bis 1937 die „Reichserntedankfeste“ für | |
die Bauernschaft statt. Bis zu 1,3 Millionen Menschen kamen auf dem | |
ausgebauten Gelände in der Größe von etwa 40 Fußballfeldern zusammen. | |
Albert Speer gestaltete den Ort so, dass der „Führer“ in vermeintlich | |
natürlicher Umgebung mit dem Volk verschmelzen konnte. Kernstück war ein | |
mehr als 800 Meter langer erhöhter Weg vom Fuß des Berges bis hoch zur | |
Ehrentribüne. „Die Attraktion war Hitler“, sagt Bernhard Gelderblom vom | |
Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte. | |
Gut eine Dreiviertelstunde brauchte Hitler für diesen Weg durch die | |
begeisterte Masse. Frauen konnten ihn anfassen, Männer ihm die Hände | |
reichen und Kinder Blumen übergeben. Bilder, die Gelderblom in einer | |
Ausstellung gesammelt hat, dokumentieren das Bad in der Menge. „Der Weg war | |
das zentrale Ritual“ hebt Gelderblom hervor. | |
Während bei den monumentalen Feiern auf dem Nürnberger | |
Reichsparteitagsgelände die heroische Einsamkeit des „Führers“ inszeniert | |
wurde, zelebrierte das Regime auf dem Bückeberg, im Bergland der | |
vermeintlich urdeutschen Weser, den „Volkskanzler“ – 1935 fragte Hitler | |
selbst rhetorisch: „Wo ist der Staatsmann, wo ist das Staatsoberhaupt, das | |
so durch sein Volk gehen kann, wie ich durch euch hindurchgehe?“ | |
Bei den historischen Aufnahmen kann durchaus der Gedanke aufkommen: beste | |
Gelegenheit für einen Tyrannenmord. Die Bilder offenbaren aber auch, warum | |
dieser Gedanke nicht aufkam. – Diese Faszination, diesen Personenkult und | |
diese Volksgemeinschaftsinszenierung, die schließlich einen Kulturbruch | |
möglich machten, plante der Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte | |
auf dem Hang zu vermitteln. | |
Hitlers Paradestrecke folgend sollte ein Weg mit Lerninseln geschaffen | |
werden und auf dem Berg ein Lernort entstehen. Im März diesen Jahres | |
stimmte der Kreistag des Landkreises Hameln-Pyrmont mit einer knappen | |
Mehrheit dem Konzept mit befestigten Wegen und Informationstafeln auf dem | |
Bückeberg zu. Dafür votierten SPD, Grüne, FDP, Unabhängige und Linke; CDU | |
und AfD votierten dagegen. | |
Der Samtgemeinderat lehnte das Projekt dagegen mehrheitlich ab. CDU, Freie | |
Wähler und AfD setzten eine Bürgerbefragung durch. Die Situation | |
verschärfte sich. Gelderblom wurde offen angefeindet. | |
Im Juni lud die AfD zu einer Ortsbegehung mit anschließender | |
Bürgerfragestunde ein. „Spüren Sie was? Den Schrecken dieses Regimes?“, | |
fragte Stefan Wirtz am Berg im Gespräch mit der taz. Und der | |
niedersächsische Landtagsabgeordnete der AfD antwortete selbst: „Es ist nur | |
eine Wiese.“ | |
Die AfD-Fraktionsvorsitzende im Rat der Samtgemeinde Delia Klages sprach | |
bei der Fragestunde von Entscheidungen gegen die Anwohner. Einer schimpfte | |
sogleich, dass er die Steuern zahle, die da „verbraten“ würden. Erst | |
sollten alle „wichtigen Dinge“ getan werden, dann könne man ja noch mal | |
überlegen – falls noch Geld übrig wäre. | |
Eine Frau, Mitglied der AfD, beklagte eine „emotionale Erpressung“: Seit 70 | |
Jahren würde „uns“ ein schlechtes Gewissen gemacht, um „die Bevölkerung | |
dumm und klein“ zu halten. „Genug ist genug“, sagte die ältere Dame, die | |
auf dem Berg „nur Steine“ gesehen hatte. | |
Am vergangenen Freitagnachmittag fanden die politischen Vertreter | |
schließlich eine gemeinsame Basis, um an die „Reichserntedankfeste“ auf dem | |
Berg nahe Emmerthal zu erinnern: Statt den Berg auf Hitlers Paradestrecke | |
zu erklimmen, sollen sich Besucher jetzt von hinten direkt der Bergkuppe | |
nähern. Der untere Bereich des 160 Meter hohen Berges wird nicht verändert, | |
die Wege werden nicht befestigt, die Wiese wird weiterhin | |
landwirtschaftlich genutzt. | |
Gelderbloms Ideen eines „Grünen Klassenzimmers“ und eines | |
„Grundrechtepfades“ werden jetzt im oberen Bereich der Ehrentribüne | |
umgesetzt. Der Wegfall des Effekts des Hochgehens dürfte eine pädagogische | |
Herausforderung werden und auch, dass ein Teil des Lernortes etwa vier | |
Kilometer entfernt liegen wird. | |
Denn ein Teil der Ausstellung soll in das nahegelegene Museum für | |
Landarbeit und Landtechnik in Börry integriert werden. Dort soll ein | |
Ausstellungsgebäude für rund 400.000 Euro Fördergeld umgebaut werden. Ob es | |
gelingen wird, die Idealisierung des Nationalsozialismus in einem | |
landwirtschaftlichen Freilichtmuseum zu hinterfragen, darf abgewartet | |
werden. | |
## Teurer Kompromiss | |
Die Politik ist einstweilen zufrieden. „Alle Gesprächspartner sind sich | |
einig, dass die Spaltung von Politik und Einwohnern in Emmerthal auf Dauer | |
beendet werden musste“, heißt es in der Vereinbarung. Keiner sei als | |
„Sieger oder Verlierer vom Tisch gegangen“, sagte Rudolf Welzhofer, | |
CDU-Ratsherr aus Emmerthal. | |
SPD-Landrat Tjark Bartels begrüßte, dass eine tragfähige Lösung gefunden | |
worden sei, welche die Anwohner weniger belaste. „Die Situation von Streit | |
und Spaltung hätte sich in den nächsten Jahren fortgesetzt“, argumentierte | |
Bartels. Im Dezember werde der Kompromiss im Kreistag und Gemeinderat zur | |
Abstimmung stehen. | |
„Wir haben erhebliche Zugeständnisse gemacht“, räumt der Historiker und | |
Theologe Gelderblom ein. Seit Jahren hatte sich mit dem Verein für | |
regionale Kultur- und Zeitgeschichte für ein Erinnern vor Ort stark | |
gemacht. „Das Gelände soll lesbar gemacht werden“, hatte Gelderblom | |
unermüdlich gefordert und mit dem einen Satz das ganze konzeptionelle | |
Anliegen umrissen. Ganz so lesbar, ganz so sichtbar wird das Erinnern auf | |
dem Nordhang jetzt aber nicht. | |
Im Laufe der Debatte hatte Gelderblom auch versucht, den Vorwurf angeblich | |
zu hoher Kosten zu entkräften. Nach dem Kompromiss und dem vielfachen | |
Wunsch, so wenig wie möglich vor Ort sichtbar werden zulassen, sind sie | |
jetzt auf zwei Millionen Euro gestiegen. Das anfängliche Konzept von | |
Gelderblom lag bei 400.000 Euro. | |
3 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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