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# taz.de -- Pressefreiheit in Kolumbien: Arbeiten unter Angst
> Trotz des Friedensabkommens mit der Farc gehören Morddrohungen für viele
> Journalisten zum Alltag. Viele reagieren mit Selbstzensur.
Bild: Die Redaktion der Zeitung „El Espectador“
Bogotá taz | Die erste Drohung kam per SMS auf das Mobiltelefon von Gustavo
Chica. „Nimm dich in Acht vor dem Patrón“, leuchtete es da auf. Für den
Radiojournalisten aus San José de Guaviare war schnell klar, dass die
Mitteilung ernst zu nehmen war und aus welcher Ecke sie kam. „Wir hatten im
Vorfeld der Regionalwahlen Ende 2015 die Kandidaten für den
Gouverneursposten unter die Lupe genommen und auch über die guten
Beziehungen von Nebio de Jesús Echeverry Cadavid zu den Paramilitärs
berichtet.“
Damit war Gustavo Chica, der beim Radiosender Caracol arbeitet, zwar nicht
allein, doch die anderen Kollegen lebten im Unterschied zu ihm eben nicht
in der kleinen Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Guaviare, sondern in der
knapp 400 Kilometer entfernten Hauptstadt Bogotá.
Für den 54-jährigen Radiojournalisten ist die Angst seitdem ein
ständiger Begleiter, denn besagter Nebio de Jesús Echeverry Cadavid wurde
bei den Regionalwahlen zum Gouverneur von Guaviare gewählt. „Ich bin mir
sicher, dass einflussreiche Freunde von ihm hinter den Drohungen gegen
meine Person stecken“, erklärt Chica. Vom Gouverneur wurde er als
„Terrorist hinter dem Mikrofon“ diffamiert, und so wandte sich Chica an die
Stiftung für Pressefreiheit (Flip) in Bogotá.
Die schaltete die Nationale Einheit für Sicherheit (UNP) ein, die dem
bedrohten Radiomann schließlich zwei Bodyguards und ein Auto zur Verfügung
stellte. „Privatsphäre ist seitdem ein Fremdwort für mich, und auch bei der
Recherche sind die Personenschützer nicht gerade hilfreich“, schildert
Chica seine Erfahrungen auf der Flip-Konferenz zur Situation der
Pressefreiheit Ende 2017 in Bogotá.
## „Sie sind stumm“
Anders als andere scheut sich Chica nicht, brisante Themen anzupacken. Er
berichtete über mutmaßliche Gräber von gewaltsam Verschwundenen im
Verwaltungsbezirk Guaviare und auch über die Ermittlungen gegen den
Gouverneur wegen illegaler Abholzung im letzten September.
„Das ist längst nicht immer der Fall“, so Emmanuel Vargas Penagos. Der
30-jährige Jurist und Journalist ist Berater des Flip-Direktoriums und hat
an einem der letzten Flip-Projekte, einer Landkarte über die Situation des
Lokaljournalismus, mitgearbeitet. Bei den Recherchen ist herausgekommen,
dass von 662 Kommunen des Landes, die auf der Karte erfasst werden, 388
keine kritische lokale Berichterstattung mehr haben.
„Sie sind stumm. Dort wird nicht mehr kritisch informiert. Entweder weil
Journalisten bedroht werden oder weil die ökonomische Situation die
journalistische Arbeit nicht zulässt“, erklärt der schlaksige Medienanalyst
und fährt fort: „Es gibt Radiosender, die ausschließlich Musik spielen oder
die nur positive, leichte Themen aus aller Welt verarbeiten. Sie machen
einen großen Bogen um die Landespolitik.“
Daran hat sich trotz der Unterzeichnung des Friedensvertrages mit der Farc
nichts geändert, wie der am 9. Februar, dem „Tag des Journalisten“ in
Kolumbien, vorgestellte Flip-Jahresbericht bestätigt. Demnach hat es 310
Angriffe auf Medienvertreter gegeben, so viel wie seit 2006 nicht mehr.
Darunter 129 massive Bedrohungen von Berichterstattern.
## Durchaus ein Fortschritt
Die sind, so Vargas Penagos, stark angestiegen, während die Zahl der Morde
in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Während 2002 zehn
Journalist*innen ermordet wurden, musste 2016 erstmals seit Jahrzehnten
kein Todesopfer registriert werden, 2017 starb hingegen eine
Berichterstatterin durch die Kugeln einer Polizeieinheit. International ist
Kolumbien längst aus dem Fokus der Medienberichterstattung gerutscht und
durch Mexiko als gefährlichstes Land für Journalisten in Lateinamerika
abgelöst worden.
Durchaus ein Fortschritt, aber eben nicht Beleg dafür ist, dass Kolumbien
nun sicherer für Reporter*innen ist. „Nach den Jahren mit den vielen
Morden ist die Angst so tief in der Gesellschaft verankert, dass eine
Morddrohung einen ähnlich verheerenden Effekt hat“, kritisiert die Anwältin
Yessika Hoyos. Die Juristin arbeitet für das Anwaltskollektiv José Alvear
Restrepo, welches auch Hollman Morris vertrat. Morris, der das
investigative Recherchieren einst bei der Tageszeitung El Espectador in
Bogotá lernte, gehört zu den international bekanntesten kolumbianischen
Journalisten.
Er hat gemeinsam mit seinem Bruder Juan Pablo 2003 das Fernsehformat
„Contravía“ aufgelegt, das vor allem von der Europäischen Union sowie
Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen finanziert wurde und über
die Hintergründe des Konflikts berichtete. Dadurch geriet Morris in den
Fokus des ultrakonservativen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez, der ihn
mehrfach diffamierte und ihn öffentlich als „Komplizen des Terrors“ der
Farc-Guerilla bezeichnete. In Kolumbien ein überaus riskanter Vorwurf, dem
alsbald Morddrohungen gegen Hollman Morris folgten.
## „Kollegen reagieren mit Selbstzensur“
Lange konnte der nunmehr 49-jährige nur mit Personenschützern in Kolumbien
unterwegs sein, musste zweimal ins Exil nach Spanien und in die USA gehen
und kehrte 2012 als Leiter des Hauptstadtsenders Canal Capital zurück. Dem
Sender verpasste er ein Facelift, richtete die Scheinwerfer auf sozial- und
umweltpolitische Probleme sowie auf die Menschenrechtssituation in und um
Bogotá. Das sorgte für steigende Einschaltquoten, Canal Capital wurde zum
viertwichtigsten Fernsehsender des Landes und schob gesellschaftliche
Debatten an.
Dieser Erfolg bescherte Morris und seinem Team wiederum verbale Angriffe
von Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez. Als „dienendes Instrument des
Terrorismus“ hat der erzkonservative Senator im September 2014 den Sender
im Parlament des Landes bezeichnet. Daraufhin wurden Mitarbeiter des
Senders bei der Arbeit angepöbelt, angegriffen und erneut landeten
Drohmails im Postfach von Hollman Morris.
Doch diesmal reichte der Journalist Klage gegen den Expräsidenten ein. „Ich
wollte ein Signal setzen, zeigen, dass Álvaro Uribe Vélez nicht unantastbar
ist, sich nicht alles erlauben kann“, erklärt Morris. Ein Signal für die
zunehmende Zahl der Kolleg*innen, die von Politikern und Staatsangestellten
bedroht werden. Morris, der 2009 an seiner Haustür einen Grabkranz mit
seinem Namen vorfand, weiß, dass diese Drohungen haften bleiben, dass sie
einen Effekt haben.
„Viele Kollegen reagieren mit Selbstzensur, wenn sie in den Fokus der
Paramilitärs, krimineller Banden oder auch von Politikern geraten. Dann
Haltung zu zeigen, den eigenen Standpunkt zu verteidigen ist schwer“, weiß
Morris aus eigener Erfahrung. Kollegen, die sich dann leichten,
unverfänglichen Themen widmen, gäbe es zuhauf.
## 76 Angriffe auf Journalisten
Für die politische Berichterstattung eine Katastrophe – und genau deshalb
hat sich Morris gefreut, als sich das Gericht 2016 meldete und den bisher
unantastbaren Expräsidenten zur öffentlichen Entschuldigung aufforderte.
Widerwillig knickte Uribe Vélez ein.
Doch an dem politischen Klima im Land und den Angriffen von Mandatsträger
und Staatsangestellten auf Journalist*innen hat sich nichts geändert, so
die Flip in ihrem aktuellen Bericht. Darin listet sie 76 Angriffe auf
Journalisten von öffentlichen Funktionären wie dem bereits erwähnten
Gouverneur von Guaviare auf.
„Die Zahlen sind seit 2009 merklich gestiegen. Selbst der amtierende
Präsident Juan Manuel Santos hat sich mehrfach über negative
Berichterstattung echauffiert“, kritisiert Flip-Berater Vargas Penagos. Das
sorge für ein Ambiente, wo es schwer werde die eigene Meinung zu vertreten.
Ein Phänomen, das mehr oder minder einhergeht mit der ersten Amtszeit von
Expräsident Álvaro Uribe Vélez und wogegen Regierungsvertreter schlicht
nicht vorgehen. „Verbale Angriffe auf Reporter sind mit Uribe Vélez
salonfähig geworden“, analysiert Morris am Rande eines Symposiums in Köln
zur Rolle und Funktion von Medien und Kultur in Kolumbien nach dem
Friedensschluss.
## Mehr Vielfalt für Kolumbiens Medien
Mehr Respekt gegenüber den Berichterstatter*innen, aber auch strukturelle
Reformen in einem Land, wo das Gros der Medien in den Händen von drei
großen Firmenholdings ist, mahnte Morris da an und schilderte auch gleich
die Pläne seiner Partei, den Mediensektor Kolumbiens vielfältiger zu
gestalten.
„Wir brauchen Mechanismen, um neue Medien aufzubauen und deren
Unabhängigkeit zu schützen. Medien gehören nicht in Hände von Konzernen,
die Fruchtsäfte herstellen, Bier brauen oder Zucker produzieren und eine
Berichterstattung gegen ihre eigenen Interessen nicht zulassen.
Sie gehören in die Hände von Journalisten“, fordert Morris. Im Konzept
seiner Partei, des Movimiento Progresista, ist daher ein Konzept und ein
Etat für den Aufbau alternativer Medien vorgesehen. Laut der letzten
Umfrage führt Gustavo Petro in den Umfragen – doch bis zu den Wahlen Ende
Mai kann noch viel passieren.
17 Feb 2018
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Medienjournalismus
Kolumbien
Schwerpunkt Pressefreiheit
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