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# taz.de -- Anwalt Hüttl über Fußball und Fans: „Das ist mein Verein“
> Rechtsanwalt Andreas Hüttl vertritt Ultras vor Gericht und ist Mitglied
> bei Hannover 96. Gegen die Übernahme durch Investoren schließt er auch
> eine Klage nicht aus.
Bild: Ist in Hannover alles andere als weg: 96-Präsident Martin Kind
taz: Herr Hüttl, statt die Mannschaft anzufeuern halten die Fans von
Hannover 96 Transparente mit dem Slogan „Kind muss weg!“ hoch. Muss der
Präsident weichen?
Andreas Hüttl: Nein, Martin Kind muss natürlich nicht weg. Der Spruch ist
ein Synonym dafür geworden, dass viele Fans unzufrieden mit der Art und
Weise sind, wie Herr Kind mit der 50+1-Regelung umgeht.
Danach müssen die Mitglieder eines Fußballvereins die Mehrheit an der
Profiabteilung kontrollieren. Kind dagegen will die Mehrheit an Hannover 96
übernehmen.
Herr Kind muss seine Vorhaben transparenter kommunizieren und sich an
Mitgliederbeschlüsse der Jahreshauptversammlung halten. Aber Hannover hatte
mit Herrn Kind auch gute Zeiten. Trotz seiner Fehler darf man ihm sein
Engagement für Hannover nicht vollständig absprechen.
Sind Sie dagegen, dass zukünftig Investoren den Klub besitzen könnten?
Ich bin gegen die Abschaffung der 50+1-Regel. Die Frage ist: Wem gehört der
Fußball? Aus der Historie gesehen betreiben Sportvereine den Fußballsport,
finden sich in Verbänden zusammen und organisieren den Spielbetrieb. Es hat
mir noch keiner erklären können, warum es zwingend notwendig ist, dass man
die Mitbestimmungsrechte der Mitglieder aufgibt und einer Einzelperson oder
Firma die absolute Entscheidungshoheit überlässt. Auch Hannover hat die
größten Vereinserfolge unter dieser Regelung erzielt.
Was ist das Problem daran, wenn es für Investoren attraktiver wird, ihr
Geld in Hannover 96 zu stecken?
Mehr Geld, mehr Erfolg, das klingt erst mal sehr vernünftig. Aber wenn 18
Bundesligavereine ihren Mitgliedern versprechen, dass sie erfolgreich sein
werden, wenn sie Investoren dazuholen, kann das nicht klappen.
Ist dem durchschnittlichen Fan völlig egal, wer die Erfolge seiner
Mannschaft finanziert?
Ich glaube nicht, dass es dem gesamten Rest egal ist. Aber wenn man sich im
Stadion umschaut, muss man tatsächlich realisieren, dass die überwiegende
Mehrheit der Fans die Kritik an Herrn Kind wohl nicht mitträgt. Es kommt
letztlich aber darauf an, wie viele Mitglieder des Vereins die Abschaffung
der 50+1-Regel ablehnen.
Warum ist es Ihnen so wichtig, dass der Verein bleibt, wie er ist?
Ich hatte die klassische Fußballfankarriere, bin mit meinem Vater in
Hannover ins Stadion gegangen. Als Jugendlicher war ich mit Freunden da,
hab jedes Heimspiel besucht und eine riesige Menge Auswärtsspiele
mitgemacht. Ich habe alles mit dem Verein mitgetragen: Vom ersten Aufstieg
in die Bundesliga in der Saison 1984/85. Dann runter bis zur Regionalliga,
dann die Wiederaufstiege und die Teilnahme am Europapokal. Parallel habe
ich mich als Anwalt aber auch oft mit Hannover 96 gestritten.
Warum?
Da ging es um vieles: Stadionverbote oder das Ansinnen des Vereins, dass
man ein Auswärtsspiel nur besuchen dürfen sollte, wenn man mit der
kombinierten Busreise dahinfährt. Mich haben immer Leute gefragt, warum ich
noch Fan bin, wenn ich mich so viel mit dem Verein streite. Ich bin aber
auch Mitglied. Das ist in Anführungsstrichen „mein Verein“ und wenn mir
etwas nicht passt, kann ich versuchen, mit Gleichgesinnten etwas zu
bewegen.
Waren Sie früher selbst Ultra?
Nein, ich war kein Ultra, aber ein ziemlich engagierter Fan, ein
Allesfahrer mit Jeanskutte und 96-Aufnäher. Die hatte damals jeder. Die
erste Ultragruppe hat sich in Hannover, glaube ich, 1998 gegründet. Da war
ich schon 32 Jahre und ein Stück zu alt dafür. Außerdem stand mein zweites
Staatsexamen an.
Haben Sie Verständnis dafür, wenn Ultras gewalttätig werden?
Wirkliches Verständnis für Handlungen, die Mandanten begehen, ist bei mir,
egal in welcher Deliktgruppe, begrenzt. Ob ein Fußballfan einem anderen Fan
einen Knüppel auf den Kopf haut oder der Ehemann seiner Frau ein Messer in
den Bauch sticht – man kann für beides kein Verständnis haben. Gleichwohl
verteidige ich diese Personen. Vielleicht kann ich aber einige Sachen eher
nachvollziehen, weil sie mir ihre Motive anders darlegen, als es am
nächsten Tag in der Bild-Zeitung steht.
Was sind denn das für Motive?
Gerade die jungen Leute berichten davon, dass sie in einer größeren Gruppe
eher Hemmungen verlieren und durch die Emotionalität des Spiels erregt
sind. Manchmal ist Alkohol im Spiel und man darf nicht verkennen, dass
Auseinandersetzungen mit der Polizei auch teilweise von dieser provoziert
werden. Aber es gibt beim Fußball auch Leute, die kloppen sich einfach
gern.
Ist denn juristisch etwas daran auszusetzen, wenn sich Leute auf einem
Acker prügeln wollen und ihr Einverständnis dafür geben?
Der Bundesgerichtshof sagt eindeutig, dass ein Einverständnis nicht gilt,
wenn mehrere Personen beteiligt sind. Solche Auseinandersetzungen auf dem
Acker sind also strafbar.
Gehörten Straftaten, als Sie intensiver Fan waren, noch nicht so dazu?
Doch. Es stimmt nicht, dass Fußballgewalt schlimmer wird. In den Hochzeiten
der Hooliganbewegung in den 80er-Jahren war mehr los. Es wurde nur nicht so
großflächig darüber berichtet.
Haben Sie das persönlich im Stadion mitgekriegt?
Früher haben sich die Leute im Stadion gekloppt. Es kam auch vor, das
jemand bei einem Tor mit einer Gaspistole wild in die Luft geschossen hat.
Heute ist das Stadion wohl der sicherste Ort in der ganzen Republik. Jede
Regung wird aufgezeichnet. Die Kameras sind so hochauflösend, dass man
sehen kann, welche Augenfarbe die Leute haben. Auch die Repression, die
sich an Verfehlungen im Stadion anschließt, ist deutlich höher:
Strafverfahren, Stadionverbote, Vereinsausschlussverfahren. Das hat dazu
geführt, dass sich so was auf An- und Abreisewege oder auf den Acker
verlagert hat.
Wie war die Atmosphäre bei Ihrem letzten Stadionbesuch?
Das war im Dezember beim Spiel gegen Hoffenheim: 30.000 Menschen in einem
schweigenden Stadion bei Schneefall – aber gewonnen. 2:0. Nach den Toren
war auch Jubel und es kamen teilweise Anfeuerungen aus dem Unterrang, aber
dieses Überschwappen auf das ganze Stadion gibt es seit dem
Stimmungsboykott der Ultras nicht mehr.
Warum vertreten Sie als Anwalt so viele Fußballfans?
Das hat sich eher unbeabsichtigt ergeben. Weil ich selbst viel zum Fußball
gegangen bin, kannte ich da natürlich viele Leute, die dort auch Probleme
hatten. Am Anfang hatte ich Fälle wie: Fan A haut Fan B. Mittlerweile hat
sich meine Arbeit verändert.
In welche Richtung?
Heute geht es oft um polizeiliche Maßnahmen wie Ingewahrsamnahme,
Hausdurchsungen, Überwachungen, Stadionverbote, Meldeauflagen oder
Datenspeicherung.
Hat sich das politische Klima gegenüber Fußballfans verschärft?
Ja. Auch schon früher haben sich Politiker dazu geäußert, wenn etwas im
Stadion passiert ist. Jetzt setzen sich die Innenminister aber wegen jeder
Ohrfeige zusammen. Das ist ein Thema, mit dem man Stärke und
Handlungsfähigkeit signalisieren kann.
Das Ansehen von Fußballfans ist schlecht.
Auch wenn ich als Fan ein Auswärtsspiel besuche und in irgendeiner Stadt in
irgendeinen Bahnhof komme, geht die Polizei mit mir eher unsanft um. Man
wird als Störenfried behandelt.
Viele sagen, Ultras seien gar keine richtigen Fans.
Wir brauchen die Ultras gar nicht, hat auch Herr Kind schon gesagt, um sie
auszugrenzen. Zwei Tage später hieß es dann, die sollen ihren Job machen
und den Verein anfeuern.
Ist noch vermeidbar, dass 50+1 kippt?
Die Mitglieder können das wohl nicht mehr verhindern. Jetzt entscheidet die
Deutsche Fußball-Liga. Was man so hört, scheint es da kritisch zu sein, ob
Herr Kind die nötigen Voraussetzungen erfüllt.
Wollen Sie klagen, falls die DFL in Kinds Sinne entscheidet?
Ich hätte im Moment wohl Probleme, ein Rechtsschutzbedürfnis, also eine
Drittbetroffenheit darzulegen. Aber ausgeschlossen ist es nicht.
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26 Jan 2018
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## AUTOREN
Andrea Scharpen
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