# taz.de -- Investorenfußball in Hannover: Erhebliche Zweifel an Kind | |
> Der Klubboss von Hannover 96 will das alleinige Sagen haben. Stimmt der | |
> Ligaverband dem zu, verstößt er gegen die eigenen Kriterien. | |
Bild: Mehr als umstritten: Martin Kind kommt bei den Ultras von Hannover 96 nic… | |
BERLIN taz | Martin Kind verkehrt gerne im Großburgwedeler Kokenhof, dort, | |
„wo Tradition auf Moderne trifft“. So zumindest steht es auf der | |
Internetseite. Dem Hörgerätehersteller gehört das umfassend sanierte | |
Fachwerkgebäude, das seit über 450 Jahren besteht. Von außen besehen prägen | |
klassische, rote Backsteine und dicke, dunkelbraune Holzbalken das Hotel, | |
innen wirkt dem die helle Innenausstattung entgegen, modern eben. Robust | |
steht der Kokenhof da – so wie auch Martin Kind, der trotz seiner 73 Jahre | |
fit wirkt. | |
Kind ist drahtig gebaut, er hat wache Augen. Nur auf dem Kopf wächst nicht | |
mehr viel, aber das ist schon länger so. Wenn Kind spricht, klingt er | |
ausgeglichen, bedächtig fast. Am Ende aber bringt er die Dinge auf den | |
Punkt. „Fußballklubs sind Wirtschaftsunternehmen“, ist so ein typischer | |
Kind-Satz. Weil er so unverblümt spricht, ist Kind einer der meistgehassten | |
Männer im deutschen Fußball. Und: Weil er die Moderne reinholen will, so | |
wie beim Kokenhof. | |
Nur geht es diesmal um Hannover 96, einen Klub, den Kind so regiert wie | |
seine Hörgerätefirma: Erfolgreich, aber eisern – gar diktatorisch. Finden | |
jedenfalls seine Kritiker. Derzeit strebt Kind auch formell nach der | |
Alleinherrschaft im Hannoveraner Profifußball. Bei den 96-Fußballfans, die | |
irgendwie auch mitbestimmen wollen, kommt das ziemlich schlecht an. | |
Stimmungsboykott im Stadion, Kind-muss-weg-Plakate, sogar Morddrohungen | |
soll es gegeben haben. Ihr Credo: Gegen den modernen Fußball, gegen Martin | |
Kind. | |
Für die traditionellen Fußballwerte steht Reinhard Grindel ein, der | |
DFB-Präsident, zumindest offiziell. Grindel gibt sich als Versteher der | |
Basis und der Fans, und er schreibt offene Briefe wie den vom 16. August: | |
„Wir haben verstanden, dass es um mehr geht. Der Fußball in Deutschland | |
steht auch für Stehplätze, faire Eintrittspreise und die 50+1-Regel. Der | |
DFB meint es mit dem Angebot zum Dialog ernst.“ Die spannende Frage lautet | |
nun: Wie ernst meint Reinhard Grindel das wirklich? Steht er für Tradition, | |
für Moderne, für beides? Wohin und wie will Grindel den deutschen Fußball | |
steuern? | |
## Die Regel als Religion | |
Der Fall [1][Hannover 96] könnte darüber bald Aufschluss geben. Es geht um | |
die 50+1-Regel. Sie schützt die Fußball-Profibetriebe vor einem zu großen | |
Einfluss von Investoren. Praktisch heißt das: Der Mutterverein (e.V.) muss | |
über mindestens 51 Prozent der Stimmen am ausgegliederten Profibetrieb | |
verfügen, die Investoren dürfen maximal 49 Prozent halten. So ist | |
garantiert, dass der e.V. die vollständige Entscheidungsmacht hat. | |
Die Investoren, die gerade Fußballromantikern in etwa so schmecken wie | |
warmes Bier und kalte Stadionwurst, können so viel Kapital in einen | |
Profibetrieb stecken, wie sie wollen; die strategische Ausrichtung bestimmt | |
immer die vom e.V. bestellte Geschäftsführung. 50+1 wirkt wie ein | |
Artenschutzgesetz, das den e.V., der im Grunde genommen ein | |
urdemokratisches Wesen ist, vor singulärer Finanzherrschaft schützt. | |
Dass die 50+1-Regel, eine deutsche Besonderheit, gewahrt bleibt, ist eine | |
Kernforderung der Fanszene. Höchstes bestimmendes Organ soll die | |
Mitgliederversammlung sein. Allen voran die Ultra-Bewegung, wo meist die | |
treuesten Klub-Anhänger zu finden sind, fürchtet aber, dass die Deutsche | |
Fußball-Liga (DFL) und der DFB zunehmend Investoren-freundlicher werden | |
könnten. Aus Gründen einer erhöhten internationalen Wettbewerbsfähigkeit | |
etwa, damit die Bundesliga nicht völlig den Anschluss an einen von Scheichs | |
und Oligarchen dominierten Transfermarkt verliert, wo Spieler wie der | |
Brasilianer Neymar mittlerweile für 222 Millionen Euro den Klub wechseln. | |
Wie die Interessen in den mächtigen Verbänden gelagert sind, darüber | |
entscheidet der Fall Hannover 96. | |
[2][Hörgerätehersteller] Martin Kind will das alleinige Sagen über die | |
ausgegliederte Profifußballabteilung – die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA – | |
haben. Eine Sonderregel, die Kind selbst 2011 bei der DFL erwirkt hat, | |
erlaubt ihm dies theoretisch. Seither gilt: Eine Ausnahme der 50+1-Regel | |
ist dann möglich, wenn die Übernahmepartei (im konkreten Fall: Martin Kind) | |
den Fußballsport des Muttervereins seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen | |
und erheblich gefördert hat. So jedenfalls steht es in der [3][Satzung von | |
DFL und DFB]. | |
Zuvor galt die sogenannte Stichtagsregelung. Nur Klubs, in denen bereits | |
vor dem Stichtag 1.1.99 Investoren das Sagen hatten, durften bis 2011 die | |
50+1-Regel umgehen. De facto hieß das: Außer dem VfL Wolfsburg (100 Prozent | |
VW) und Bayer 04 Leverkusen (100 Prozent Bayer) durfte keine deutsche | |
Mannschaft fremdbestimmt werden. Ein Nachteil, der den Wettbewerb verzerre, | |
sei das, argumentierte Kind stets. Kein anderes deutsches Team könne | |
schließlich ein so investorenfreundliches Umfeld wie Wolfsburg und | |
Leverkusen bieten – wodurch ein gewaltiges, monetäres Ungleichgewicht | |
bestünde. | |
Kind will nun auch in Hannover ein Wolfsburger Umfeld schaffen, Ende August | |
hat er deshalb einen Antrag bei der DFL eingereicht. Dabei stellen sich | |
zwei Fragen, erstens: Erfüllt Kind tatsächlich die von der DFL gestellten | |
Bedingungen? Und zweitens: Wie ernst nimmt die DFL die eigenen Regularien | |
überhaupt? Bislang war die Frage der Ernsthaftigkeit schwer zu überprüfen, | |
weil die DFL diese Regularien der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten hat. | |
Ein internes DFL-Papier, das der taz vorliegt, bringt Aufklärung. Das | |
„Rundschreiben Nr. 30 Bereich Recht DFL“, das alle 36 DFL-Mitglieder (18 | |
Erst- und 18 Zweitligisten) am 12. Dezember 2014 per E-Mail erhielten, legt | |
nahe: Der darin vorgegebene Rahmen ist für Martin Kind kaum einzuhalten. | |
Denn: Der Investor Martin Kind hat schlicht zu wenig in das | |
Fußballunternehmen Hannover 96 investiert. | |
Das „Rundschreiben Nr. 30“ haben der DFL-Präsident Reinhard Rauball, | |
Vizepräsident Peter Peters und der für Rechtsfragen zuständige Jürgen | |
Paepke unterschrieben. Es war auch maßgebend für Dietmar Hopp, Klubbesitzer | |
von 1899 Hoffenheim, die Profiabteilung im Kraichgau zu übernehmen. „Es | |
wurde sehr gründlich geprüft, Herr Hopp musste jeden noch so kleinen | |
Rechnungsbetrag nachweisen“, teilt TSG-Mediendirektor Christian Frommert | |
auf taz-Nachfrage mit. | |
## Erhebliche Zweifel | |
Hopp nutzte als erster Investor die 20-Jahres-Regel. Um die TSG 1899 | |
Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH zu hoppisieren, legte er nach | |
taz-Informationen dar, 279,2 Millionen Euro in das Gesamtkonstrukt 1899 | |
Hoffenheim (Profibetrieb, Verein, Infrastruktur) gesteckt zu haben, davon | |
36,7 Millionen Euro in den e.V.. Hopp wies also nach, die TSG 20 Jahre lang | |
erheblich gefördert zu haben. | |
Was genau erheblich meint, steht im Rundschreiben Nr. 30 unter Punkt 6: | |
„Der Begriff,erheblich' soll nach Auffassung des Vorstandes clubbezogen | |
verstanden werden und zwar dergestalt, dass die Höhe des finanziellen | |
Engagements in jeder einzelnen Spielzeit während des 20-Jahres-Zeitraums | |
mindestens dem durchschnittlichen Budgetanteil entsprechen soll, den das | |
Hauptsponsoring des Clubs, d.h. das höchste Einzelsponsoring, in der | |
jeweiligen Spielzeit ausmacht.“ Konkret: Überweist der Hauptsponsor dem | |
Klub jährlich fünf Millionen Euro (etwa für Trikotwerbung), muss der | |
Investor dieselbe Summe aufbringen, Jahr für Jahr wohlgemerkt. | |
In Hannover heißt der aktuelle Hauptsponsor Heinz von Heiden, eine Firma | |
für Massivhäuser. Die überweist seit 2014 rund vier Millionen Euro, in Liga | |
zwei sollen es drei gewesen sein. Davor, von 2002 bis 2014, warb das | |
Reiseunternehmen Tui auf der 96-Brust, der Preis: ebenfalls rund drei bis | |
vier Millionen Euro. Kind hätte also allein in den Jahren 2002 bis 2017 | |
jährlich drei bis vier Millionen in die KGaA investieren müssen, rund 45 | |
bis 60 Millionen Euro insgesamt. Das weisen die frei [4][zugänglichen | |
Bilanzen der KGaA] aber nicht aus. | |
Die vierköpfige Investorengruppe, die 100 Prozent der KGaA-Kapitalanteile | |
besitzt und in der Kind die Mehrheit hält, hat in 20 Jahren insgesamt 13 | |
Millionen Euro in die KGaA investiert. Laut Konzernbilanz flossen im | |
Geschäftsjahr 2009/2010 zusätzlich drei Millionen auf das KGaA-Konto, und | |
vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 exakt 106.370,44 Euro. | |
## Magere Investitionen | |
In allen anderen Jahren wurde entweder nicht in die KGaA investiert – oder | |
eine Rendite erwirtschaftet. Die höchste Rendite betrug etwas über fünf | |
Millionen (2011/12). Die Spenden an den e.V. beliefen sich in den beiden | |
letzten Jahren auf 9.626,58 Euro (2016) und 25.518,67 Euro (2015). | |
Öffentlich bekannt ist, dass Kind davon 2.600 Euro im Jahr 2016 gespendet | |
hat. Trotz des zu geringen finanziellen Investments ist Martin Kind | |
überzeugt, dass sein Antrag, über den die DFL bis Ende Dezember entschieden | |
haben will, durchkommt. | |
Dazu muss man wissen, dass der Fall Kind eine Vorgeschichte hat. Nach | |
taz-Informationen soll der Verband 2008 ein externes Gutachten eingeholt | |
haben, um zu überprüfen, ob die 36 Profiteams der 1. und 2. Liga die | |
50+1-Regel einhalten. Ergebnis: Auf dem daraufhin ausgestellten Papier | |
wurde 96 wegen Kind als kritischer Fall eingestuft. In Hannover ist der | |
Investor Kind gleichzeitig auch Vorsitzender des e.V. und Geschäftsführer | |
der KGaA, eine Kombination, die offenbar Misstrauen erweckte. | |
Die Folgen? Folgende: Ab 2008 forderte Kind die Abschaffung der 50+1-Regel, | |
am 17. November 2009 beantragte er dies im Rahmen der | |
DFL-Mitgliederversammlung auch ganz offiziell. 35 der 36 Profiklubs lehnten | |
ab. Weil Kind im Falle eines Scheiterns mit einer Klage vor dem | |
Europäischen Gerichtshof gedroht hatte, [5][wetterte BVB-Boss Watzke] via | |
Bild: „Herr Kind, Sie erpressen die Liga!“ | |
Tatsächlich kündigte Kind im Januar 2010 an, gegen die DFL klagen zu | |
wollen. Die Causa ging dann aber vor's [6][DFB-Schiedsgericht, und das | |
befand am 30. August 2011]: 50+1 sollte bestehen bleiben, Investoren jedoch | |
nach 20-jährigem Engagement die Möglichkeit erhalten, einen Klub übernehmen | |
zu dürfen. | |
## Fehlende Klarheit | |
Seither ruht Kind und beruft sich auf das 2011er Urteil, indem – wie er es | |
formuliert – „Rechtsfragen des Vergleichs“ zwischen ihm und der DFL | |
geschlossen worden seien. Sprich: Kind geht davon aus, er müsse lediglich | |
die notwendige Bedingung erfüllen (20-jähriges Engagement), nicht aber die | |
hinreichende (Höhe der Investitionen). | |
Nun soll bei der DFL vor allem Präsident Rauball, der ja seinen Schriftzug | |
unter das DFL-Papier gesetzt hat, darauf beharren, dass streng nach den im | |
Dezember 2014 verschickten Leitlinien geprüft werde. Diesbezügliche | |
taz-Anfragen ließ die DFL allerdings unbeantwortet. Fest steht, dass Kind | |
im August 2011 nichts von den DFL-Leitlinien ahnen konnte. Aus engen | |
Kind-Kreisen heißt es, ausschlaggebend für den 96-Boss sei lediglich die | |
DFB-Satzung. Ein 20-jähriges Engagement also. | |
Weil DFL und DFB die Leitlinien nicht in ihre Satzung aufgenommen haben – | |
bewusst oder unbewusst? – fehlt die Klarheit. In der Welt hat Kind bereits | |
[7][angekündigt]: „Wenn die DFL gegen unseren Antrag entscheidet, werden | |
wir den Rechtsweg beschreiten, das ist klar.“ Kalle Rummenigge, | |
Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, teilte auf taz-Anfrage mit: | |
„Ich kenne Herrn Kind als seriösen und intelligenten Mann. Daher bin ich | |
auch überzeugt, dass er die Regularien der DFL zur Gänze erfüllen wird, | |
wenn er einen entsprechenden Antrag stellt.“ Stellt sich die Frage, ob die | |
DFL bei Kind einen anderen Maßstab anlegt als bei Hopp. | |
In dem Rundschreiben heißt es, man bewerte Ausnahmeanträge „grundsätzlich�… | |
anhand der intern aufgestellten Leitlinien. Andererseits seien die | |
„Besonderheiten des Einzelfalls“ maßgeblich zu berücksichtigen, die | |
Leitlinien dienten lediglich der grundsätzlichen Orientierung. Dann | |
wiederum steht da, dass der DFL-Vorstand einen Ermessensspielraum habe, den | |
er je nach Einzelfall „unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“ | |
ausüben werde. Kurzum: Wenn die DFL Kind durchwinken will, wird sie sich | |
eine maßgeschneiderte Begründung schon zurechtlegen. | |
Kinds Verdienste | |
Dass Kinds Wirken den 96ern zugute kam, kann nicht mal die vereinsinterne | |
Opposition bestreiten. „Die Fakten sehen so aus, dass Hannover 96 1997 | |
Dritte Liga spielte und vor der Insolvenz stand. Seither ist die | |
Entwicklung positiv: 14 Jahre in Folge Bundesliga, der sofortige | |
Wiederaufstieg nach dem Abstieg 2016, zwei Europacup-Teilnahmen, der Bau | |
der HDI-Arena, Bau des Nachwuchsleistungszentrums“, hat Kind im | |
[8][taz-Interview] Mitte September aufgezählt. All das stimmt, und es | |
beweist: Trotz 50+1-Regel ist es Kind gelungen, 96 in der Bundesliga zu | |
etablieren. Allerdings hat darüber weniger Kinds Kapitaleinsatz | |
entschieden, als vielmehr sein strategisches Geschick. | |
Kind hat vorhandene Mittel gut verwaltet und an den richtigen Stellen die | |
Fäden gezogen. Und für die gute Arbeit, die den Klub wirtschaftlich nach | |
vorne gebracht hat, will er nun die volle Ernte einfahren. Das aber | |
widerstrebt der Opposition. Einige demonstrieren im Rahmen der | |
Rechtsordnung, andere schießen übers Ziel hinaus. Neben den plakativen | |
Anti-Kind-Stimmungsmachern, allen voran den Ultras im Stadion, hat sich | |
eine weitere Opposition gebildet; sie besteht aus Anwälten, Bänkern, | |
Immobilienhändlern. | |
Allesamt betonen sie, dass es ihnen um den Verein gehe. Sie meinen damit | |
den Mutterverein, den Hannoverschen Sport-Verein von 1896 e.V.. Schon | |
länger hegen sie den Verdacht, dass Martin Kind an vielen Stellen getrickst | |
hat, um dem e.V. die Machtbefugnis über die Fußball-KGaA zu entziehen. Zu | |
spät habe man reagiert, heißt es, zentrale Stellen wie jene im Aufsichtsrat | |
habe man zu lange der Kind-Fraktion überlassen. Sie argumentieren: Ja, Kind | |
habe einen guten Job gemacht. Und nein, für sein Wirken könne ihm im | |
Gegenzug nicht die Entscheidungsmacht über die millionenschwere | |
Fußballsparte überlassen werden. Job sei Job, das Herzstück des e.V., die | |
Profifußball-Sparte, müsse unter demokratischer Kontrolle bleiben. | |
Zum guten Job gehörte die Rettung des e.V. vor der Insolvenz im Jahr 1997. | |
11,6 Millionen D-Mark Schulden drückten den Verein. Fünf Spieler, darunter | |
der spätere Schalker und deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah, wurden | |
für 4,6 Millionen D-Mark an die Sparkasse verpfändet. Einer, der Utz | |
Claassen, Kinds Vorgänger als Vereinsvorstand, so nahe steht, wie niemand | |
sonst, sagt: „Die Situation war schlimmer als jemals öffentlich bekannt. | |
Die Sparkasse hat massiv Druck gemacht. Sie hat damals alles getan, um 96 | |
das Leben schwer zu machen. Wäre Kind nicht gekommen, hätte es die | |
Insolvenz gegeben.“ | |
## Vom Hörgerätehersteller zum Fußballunternehmer | |
Dem Hörgerätehersteller sei die heikle Lage bekannt gewesen, nur habe Kind | |
– um Claassen zu diskreditieren – die Zahlen beschönigt. Warum Kind, damals | |
ein Unternehmer ohne jegliche Fußballaffinität, überhaupt bei 96 | |
eingestiegen ist? „Er war zwar damals schon Unternehmer, aber es kannte ihn | |
niemand. Sein Einstieg bei 96 änderte das“, so der Claassen-Vertraute. | |
Claassen selbst wollte auf taz-Anfrage keine Stellungnahme zum damaligen | |
Machtwechsel abgeben. | |
Nachdem Kind den Verein übernahm, kaufte er diesem die Namens- und | |
Markenrechte für 2,7 Millionen D-Mark ab. Einzige Bedingung: Jederzeit | |
könne der e.V. diese Rechte – das Londoner Markeninstitut Brand Finance | |
schätzt deren Wert auf rund 75 Millionen Euro – für denselben Preis | |
zurückkaufen. Mittlerweile ist bekannt: Die Rückkaufoption liegt nicht mehr | |
beim e.V., man habe das 2014 neu geregelt, so Kind. Auch die Kapitalanteile | |
an der Profisparte hat Kind als e.V.-Vorsitzender Schritt für Schritt | |
heruntergefahren – bis seine Investorengruppe 2015 dann alles besaß und der | |
e.V. nichts mehr. | |
Nur die Stimmanteile verblieben über eine Tochtergesellschaft zu 100 | |
Prozent beim e.V., eben wegen 50+1. Die Oppositionsseite hat DFL und DFB | |
über die Vorgänge bei 96 in Kenntnis gesetzt. Weil Kind 51 Prozent der | |
Stimmanteile für 12.750 Euro von der Profisparte an sich selbst verkaufen | |
will, schade er dem e.V., heißt es. Bisher besitzt der e.V. 100 Prozent der | |
Stimmanteile an der Profisparte. Der Verkauf käme nur zustande, wenn die | |
DFL dem Deal zustimmt (indem sie die 50+1-Regel in Hannover auflöst). | |
## Interpretierbares Mitgliedervotum | |
Es stellt sich die Frage: Warum sollte der e.V. für diesen geringen Betrag | |
seine Kontrollfunktion aufgeben? „Weil wir dieses Konzept vor einem | |
Jahrzehnt so entschieden haben. Deshalb macht es Sinn. Es ist eine saubere | |
und zukunftsorientierte Lösung, ohne Risiken von Zufallsentscheidungen. Bei | |
Vereinen gibt es auch immer Zufallsentscheidungen“, hat Kind der taz auf | |
diese Frage geantwortet. Was er nicht gesagt hat: Die Mehrheit der | |
e.V.-Mitglieder ist gegen diesen Deal, der ihnen das Mitspracherecht an der | |
Profisparte entziehen würde. | |
Bei der Mitgliederversammlung am 27. April 2017 wollten 60 Prozent der | |
96-Mitglieder die 50+1-Regel in die Satzung implementieren, nötig wären | |
dafür aber 66,6 Prozent gewesen (Zweidrittel-Mehrheit). Und in einem | |
zweiten Antrag votierten 71 Prozent für die Einberufung einer | |
außerordentlichen Mitgliederversammlung, die darüber entscheiden solle, ob | |
Hannover 96 bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) eine 50+1-Ausnahmeregelung | |
beantragt oder nicht. | |
Interessanter Nebenaspekt: Im Fall Hoffenheim forderte die DFL eben dies; | |
für Hopp war das auch kein Problem, weil der eine stattliche Mehrheit | |
hinter sich wusste. Beim Traditionsverein Hannover 96 sind die Mehrheiten | |
anders gelagert. Kind allerdings argumentiert, dass mit dem nicht erfolgten | |
Satzungsbeschluss – der um schlappe sechs Prozent verfehlt wurde – die | |
Sache erledigt wäre. Ausreichend sei also, dass zwar die meisten, aber | |
nicht genügend Mitglieder für eine satzungsrechtliche 50+1-Dauerlösung | |
gestimmt hätten. | |
Ob das die DFL genauso sieht? Oder das DFB-Präsidium, das einen | |
50+1-Ausnahmeantrag der DFL final absegnen müsste? Am Ende könnte es | |
entscheidend sein, zu welchem Schluss DFB-Präsident Reinhard Grindel kommt. | |
Stellt er sich auf die Seite des Hannoverschen Sport-Vereins von 1896 e.V. | |
– oder folgt er der Argumentationslinie des Investors Martin Kind? Von | |
dieser Frage hängt ab, was der DFB unter Tradition und Moderne versteht. | |
Sie zu verbinden, fällt jedenfalls schwerer als im Kokenhof. | |
3 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hannover96.de/startseite.html | |
[2] https://www.kind.com/de-de/ | |
[3] https://www.dfb.de/verbandsservice/verbandsrecht/satzung-und-ordnungen/ | |
[4] https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet | |
[5] http://www.bild.de/sport/fussball/martin-kind-erpressen-die-bundesliga-1039… | |
[6] https://www.dfb.de/news/detail/50-1-regel-bleibt-bestehen-28925/ | |
[7] https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article169631362/Martin-Kind-zei… | |
[8] /Martin-Kind-ueber-Kontrolle-in-Hannover/!5444892 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
## TAGS | |
50+1-Regel | |
Fußball | |
Fußball-Bundesliga | |
Hannover 96 | |
Hannover | |
DFL | |
Investoren | |
2. Bundesliga | |
Fußball | |
Hannover 96 | |
Fußball | |
FC St. Pauli | |
Lesestück Interview | |
Hannover 96 | |
50+1-Regel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Krise beim 1. FC Kaiserslautern: Pakt mit den Teufeln | |
Kaiserslautern war mal Fußballhochburg. Ein riesiges Stadion zeugt davon. | |
Für den Klub wird es nun womöglich zum Verhängnis. | |
Streit bei Hannover 96: Wenn Fußball-Fans schweigen | |
Die Fronten zwischen den Ultras und dem Präsidium von Hannover 96 sind | |
verhärteter denn je. Trotz des sportlichen Erfolgs versagen die Fans den | |
Spielern die Unterstützung. | |
Anwalt Hüttl über Fußball und Fans: „Das ist mein Verein“ | |
Rechtsanwalt Andreas Hüttl vertritt Ultras vor Gericht und ist Mitglied bei | |
Hannover 96. Gegen die Übernahme durch Investoren schließt er auch eine | |
Klage nicht aus. | |
Bayer Leverkusen in Fußball-Bundesliga: Herrlich flexibel | |
Die Mannschaft der Stunde heißt Bayer Leverkusen. Trainer Heiko Herrlich | |
überrascht sein Team immer wieder mit taktischen Finessen. | |
Investoren im deutschen Fußball: Zwischen Totenkopf und Silberstern | |
Der deutsche Fußball könnte künftig verstärkt auf Investoren setzen. | |
St.Pauli-Geschäftsführer Rettig warnt vor einer Entdemokratisierung. | |
Martin Kind über Kontrolle in Hannover: „Gut, weil wir so entschieden haben�… | |
Der Präsident von Hannover 96 spricht im Interview zu Ultras und der | |
50+1-Regel. Er erklärt, warum ein Verkauf der Profiabteilung bevorsteht. | |
Widerstand bei Hannover 96: „Das ist zu viel unkritische Dankbarkeit“ | |
Vereinsboss Martin Kind will, dass im Profibereich Investoren das Sagen | |
haben. Robin Krakau von der Interessenvertretung Pro Verein 1896 wirft dem | |
Chef vor, Hannover 96 zu verramschen. | |
Übernahme von Hannover 96: Mitglieder klagen gegen Martin Kind | |
Der Präsident vom Fußballclub Hannover 96 versucht mit allen Mitteln, den | |
Profiklub zu übernehmen. Exkanzler Schröder unterstützt ihn dabei. |