| # taz.de -- Investorenfußball in Hannover: Erhebliche Zweifel an Kind | |
| > Der Klubboss von Hannover 96 will das alleinige Sagen haben. Stimmt der | |
| > Ligaverband dem zu, verstößt er gegen die eigenen Kriterien. | |
| Bild: Mehr als umstritten: Martin Kind kommt bei den Ultras von Hannover 96 nic… | |
| Berlin taz | Martin Kind verkehrt gerne im Großburgwedeler Kokenhof, dort, | |
| „wo Tradition auf Moderne trifft“. So zumindest steht es auf der | |
| Internetseite. Dem Hörgerätehersteller gehört das umfassend sanierte | |
| Fachwerkgebäude, das seit über 450 Jahren besteht. Von außen besehen prägen | |
| klassische, rote Backsteine und dicke, dunkelbraune Holzbalken das Hotel, | |
| innen wirkt dem die helle Innenausstattung entgegen, modern eben. Robust | |
| steht der Kokenhof da – so wie auch Martin Kind, der trotz seiner 73 Jahre | |
| fit wirkt. | |
| Kind ist drahtig gebaut, er hat wache Augen. Nur auf dem Kopf wächst nicht | |
| mehr viel, aber das ist schon länger so. Wenn Kind spricht, klingt er | |
| ausgeglichen, bedächtig fast. Am Ende aber bringt er die Dinge auf den | |
| Punkt. „Fußballklubs sind Wirtschaftsunternehmen“, ist so ein typischer | |
| Kind-Satz. Weil er so unverblümt spricht, ist Kind einer der meistgehassten | |
| Männer im deutschen Fußball. Und: Weil er die Moderne reinholen will, so | |
| wie beim Kokenhof. | |
| Nur geht es diesmal um Hannover 96, einen Klub, den Kind so regiert wie | |
| seine Hörgerätefirma: Erfolgreich, aber eisern – gar diktatorisch. Finden | |
| jedenfalls seine Kritiker. Derzeit strebt Kind auch formell nach der | |
| Alleinherrschaft im Hannoveraner Profifußball. Bei den 96-Fußballfans, die | |
| irgendwie auch mitbestimmen wollen, kommt das ziemlich schlecht an. | |
| Stimmungsboykott im Stadion, Kind-muss-weg-Plakate, sogar Morddrohungen | |
| soll es gegeben haben. Ihr Credo: Gegen den modernen Fußball, gegen Martin | |
| Kind. | |
| Für die traditionellen Fußballwerte steht Reinhard Grindel ein, der | |
| DFB-Präsident, zumindest offiziell. Grindel gibt sich als Versteher der | |
| Basis und der Fans, und er schreibt offene Briefe wie den vom 16. August: | |
| „Wir haben verstanden, dass es um mehr geht. Der Fußball in Deutschland | |
| steht auch für Stehplätze, faire Eintrittspreise und die 50+1-Regel. Der | |
| DFB meint es mit dem Angebot zum Dialog ernst.“ Die spannende Frage lautet | |
| nun: Wie ernst meint Reinhard Grindel das wirklich? Steht er für Tradition, | |
| für Moderne, für beides? Wohin und wie will Grindel den deutschen Fußball | |
| steuern? | |
| ## Die Regel als Religion | |
| Der Fall [1][Hannover 96] könnte darüber bald Aufschluss geben. Es geht um | |
| die 50+1-Regel. Sie schützt die Fußball-Profibetriebe vor einem zu großen | |
| Einfluss von Investoren. Praktisch heißt das: Der Mutterverein (e.V.) muss | |
| über mindestens 51 Prozent der Stimmen am ausgegliederten Profibetrieb | |
| verfügen, die Investoren dürfen maximal 49 Prozent halten. So ist | |
| garantiert, dass der e.V. die vollständige Entscheidungsmacht hat. | |
| Die Investoren, die gerade Fußballromantikern in etwa so schmecken wie | |
| warmes Bier und kalte Stadionwurst, können so viel Kapital in einen | |
| Profibetrieb stecken, wie sie wollen; die strategische Ausrichtung bestimmt | |
| immer die vom e.V. bestellte Geschäftsführung. 50+1 wirkt wie ein | |
| Artenschutzgesetz, das den e.V., der im Grunde genommen ein | |
| urdemokratisches Wesen ist, vor singulärer Finanzherrschaft schützt. | |
| Dass die 50+1-Regel, eine deutsche Besonderheit, gewahrt bleibt, ist eine | |
| Kernforderung der Fanszene. Höchstes bestimmendes Organ soll die | |
| Mitgliederversammlung sein. Allen voran die Ultra-Bewegung, wo meist die | |
| treuesten Klub-Anhänger zu finden sind, fürchtet aber, dass die Deutsche | |
| Fußball-Liga (DFL) und der DFB zunehmend Investoren-freundlicher werden | |
| könnten. Aus Gründen einer erhöhten internationalen Wettbewerbsfähigkeit | |
| etwa, damit die Bundesliga nicht völlig den Anschluss an einen von Scheichs | |
| und Oligarchen dominierten Transfermarkt verliert, wo Spieler wie der | |
| Brasilianer Neymar mittlerweile für 222 Millionen Euro den Klub wechseln. | |
| Wie die Interessen in den mächtigen Verbänden gelagert sind, darüber | |
| entscheidet der Fall Hannover 96. | |
| [2][Hörgerätehersteller] Martin Kind will das alleinige Sagen über die | |
| ausgegliederte Profifußballabteilung – die Hannover 96 GmbH & Co. KGaA – | |
| haben. Eine Sonderregel, die Kind selbst 2011 bei der DFL erwirkt hat, | |
| erlaubt ihm dies theoretisch. Seither gilt: Eine Ausnahme der 50+1-Regel | |
| ist dann möglich, wenn die Übernahmepartei (im konkreten Fall: Martin Kind) | |
| den Fußballsport des Muttervereins seit mehr als 20 Jahren ununterbrochen | |
| und erheblich gefördert hat. So jedenfalls steht es in der [3][Satzung von | |
| DFL und DFB]. | |
| Zuvor galt die sogenannte Stichtagsregelung. Nur Klubs, in denen bereits | |
| vor dem Stichtag 1.1.99 Investoren das Sagen hatten, durften bis 2011 die | |
| 50+1-Regel umgehen. De facto hieß das: Außer dem VfL Wolfsburg (100 Prozent | |
| VW) und Bayer 04 Leverkusen (100 Prozent Bayer) durfte keine deutsche | |
| Mannschaft fremdbestimmt werden. Ein Nachteil, der den Wettbewerb verzerre, | |
| sei das, argumentierte Kind stets. Kein anderes deutsches Team könne | |
| schließlich ein so investorenfreundliches Umfeld wie Wolfsburg und | |
| Leverkusen bieten – wodurch ein gewaltiges, monetäres Ungleichgewicht | |
| bestünde. | |
| Kind will nun auch in Hannover ein Wolfsburger Umfeld schaffen, Ende August | |
| hat er deshalb einen Antrag bei der DFL eingereicht. Dabei stellen sich | |
| zwei Fragen, erstens: Erfüllt Kind tatsächlich die von der DFL gestellten | |
| Bedingungen? Und zweitens: Wie ernst nimmt die DFL die eigenen Regularien | |
| überhaupt? Bislang war die Frage der Ernsthaftigkeit schwer zu überprüfen, | |
| weil die DFL diese Regularien der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten hat. | |
| Ein internes DFL-Papier, das der taz vorliegt, bringt Aufklärung. Das | |
| „Rundschreiben Nr. 30 Bereich Recht DFL“, das alle 36 DFL-Mitglieder (18 | |
| Erst- und 18 Zweitligisten) am 12. Dezember 2014 per E-Mail erhielten, legt | |
| nahe: Der darin vorgegebene Rahmen ist für Martin Kind kaum einzuhalten. | |
| Denn: Der Investor Martin Kind hat schlicht zu wenig in das | |
| Fußballunternehmen Hannover 96 investiert. | |
| Das „Rundschreiben Nr. 30“ haben der DFL-Präsident Reinhard Rauball, | |
| Vizepräsident Peter Peters und der für Rechtsfragen zuständige Jürgen | |
| Paepke unterschrieben. Es war auch maßgebend für Dietmar Hopp, Klubbesitzer | |
| von 1899 Hoffenheim, die Profiabteilung im Kraichgau zu übernehmen. „Es | |
| wurde sehr gründlich geprüft, Herr Hopp musste jeden noch so kleinen | |
| Rechnungsbetrag nachweisen“, teilt TSG-Mediendirektor Christian Frommert | |
| auf taz-Nachfrage mit. | |
| ## Erhebliche Zweifel | |
| Hopp nutzte als erster Investor die 20-Jahres-Regel. Um die TSG 1899 | |
| Hoffenheim Fußball-Spielbetriebs GmbH zu hoppisieren, legte er nach | |
| taz-Informationen dar, 279,2 Millionen Euro in das Gesamtkonstrukt 1899 | |
| Hoffenheim (Profibetrieb, Verein, Infrastruktur) gesteckt zu haben, davon | |
| 36,7 Millionen Euro in den e.V.. Hopp wies also nach, die TSG 20 Jahre lang | |
| erheblich gefördert zu haben. | |
| Was genau erheblich meint, steht im Rundschreiben Nr. 30 unter Punkt 6: | |
| „Der Begriff,erheblich' soll nach Auffassung des Vorstandes clubbezogen | |
| verstanden werden und zwar dergestalt, dass die Höhe des finanziellen | |
| Engagements in jeder einzelnen Spielzeit während des 20-Jahres-Zeitraums | |
| mindestens dem durchschnittlichen Budgetanteil entsprechen soll, den das | |
| Hauptsponsoring des Clubs, d.h. das höchste Einzelsponsoring, in der | |
| jeweiligen Spielzeit ausmacht.“ Konkret: Überweist der Hauptsponsor dem | |
| Klub jährlich fünf Millionen Euro (etwa für Trikotwerbung), muss der | |
| Investor dieselbe Summe aufbringen, Jahr für Jahr wohlgemerkt. | |
| In Hannover heißt der aktuelle Hauptsponsor Heinz von Heiden, eine Firma | |
| für Massivhäuser. Die überweist seit 2014 rund vier Millionen Euro, in Liga | |
| zwei sollen es drei gewesen sein. Davor, von 2002 bis 2014, warb das | |
| Reiseunternehmen Tui auf der 96-Brust, der Preis: ebenfalls rund drei bis | |
| vier Millionen Euro. Kind hätte also allein in den Jahren 2002 bis 2017 | |
| jährlich drei bis vier Millionen in die KGaA investieren müssen, rund 45 | |
| bis 60 Millionen Euro insgesamt. Das weisen die frei [4][zugänglichen | |
| Bilanzen der KGaA] aber nicht aus. | |
| Die vierköpfige Investorengruppe, die 100 Prozent der KGaA-Kapitalanteile | |
| besitzt und in der Kind die Mehrheit hält, hat in 20 Jahren insgesamt 13 | |
| Millionen Euro in die KGaA investiert. Laut Konzernbilanz flossen im | |
| Geschäftsjahr 2009/2010 zusätzlich drei Millionen auf das KGaA-Konto, und | |
| vom 1. Januar 2006 bis zum 30. Juni 2006 exakt 106.370,44 Euro. | |
| ## Magere Investitionen | |
| In allen anderen Jahren wurde entweder nicht in die KGaA investiert – oder | |
| eine Rendite erwirtschaftet. Die höchste Rendite betrug etwas über fünf | |
| Millionen (2011/12). Die Spenden an den e.V. beliefen sich in den beiden | |
| letzten Jahren auf 9.626,58 Euro (2016) und 25.518,67 Euro (2015). | |
| Öffentlich bekannt ist, dass Kind davon 2.600 Euro im Jahr 2016 gespendet | |
| hat. Trotz des zu geringen finanziellen Investments ist Martin Kind | |
| überzeugt, dass sein Antrag, über den die DFL bis Ende Dezember entschieden | |
| haben will, durchkommt. | |
| Dazu muss man wissen, dass der Fall Kind eine Vorgeschichte hat. Nach | |
| taz-Informationen soll der Verband 2008 ein externes Gutachten eingeholt | |
| haben, um zu überprüfen, ob die 36 Profiteams der 1. und 2. Liga die | |
| 50+1-Regel einhalten. Ergebnis: Auf dem daraufhin ausgestellten Papier | |
| wurde 96 wegen Kind als kritischer Fall eingestuft. In Hannover ist der | |
| Investor Kind gleichzeitig auch Vorsitzender des e.V. und Geschäftsführer | |
| der KGaA, eine Kombination, die offenbar Misstrauen erweckte. | |
| Die Folgen? Folgende: Ab 2008 forderte Kind die Abschaffung der 50+1-Regel, | |
| am 17. November 2009 beantragte er dies im Rahmen der | |
| DFL-Mitgliederversammlung auch ganz offiziell. 35 der 36 Profiklubs lehnten | |
| ab. Weil Kind im Falle eines Scheiterns mit einer Klage vor dem | |
| Europäischen Gerichtshof gedroht hatte, [5][wetterte BVB-Boss Watzke] via | |
| Bild: „Herr Kind, Sie erpressen die Liga!“ | |
| Tatsächlich kündigte Kind im Januar 2010 an, gegen die DFL klagen zu | |
| wollen. Die Causa ging dann aber vor's [6][DFB-Schiedsgericht, und das | |
| befand am 30. August 2011]: 50+1 sollte bestehen bleiben, Investoren jedoch | |
| nach 20-jährigem Engagement die Möglichkeit erhalten, einen Klub übernehmen | |
| zu dürfen. | |
| ## Fehlende Klarheit | |
| Seither ruht Kind und beruft sich auf das 2011er Urteil, indem – wie er es | |
| formuliert – „Rechtsfragen des Vergleichs“ zwischen ihm und der DFL | |
| geschlossen worden seien. Sprich: Kind geht davon aus, er müsse lediglich | |
| die notwendige Bedingung erfüllen (20-jähriges Engagement), nicht aber die | |
| hinreichende (Höhe der Investitionen). | |
| Nun soll bei der DFL vor allem Präsident Rauball, der ja seinen Schriftzug | |
| unter das DFL-Papier gesetzt hat, darauf beharren, dass streng nach den im | |
| Dezember 2014 verschickten Leitlinien geprüft werde. Diesbezügliche | |
| taz-Anfragen ließ die DFL allerdings unbeantwortet. Fest steht, dass Kind | |
| im August 2011 nichts von den DFL-Leitlinien ahnen konnte. Aus engen | |
| Kind-Kreisen heißt es, ausschlaggebend für den 96-Boss sei lediglich die | |
| DFB-Satzung. Ein 20-jähriges Engagement also. | |
| Weil DFL und DFB die Leitlinien nicht in ihre Satzung aufgenommen haben – | |
| bewusst oder unbewusst? – fehlt die Klarheit. In der Welt hat Kind bereits | |
| [7][angekündigt]: „Wenn die DFL gegen unseren Antrag entscheidet, werden | |
| wir den Rechtsweg beschreiten, das ist klar.“ Kalle Rummenigge, | |
| Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, teilte auf taz-Anfrage mit: | |
| „Ich kenne Herrn Kind als seriösen und intelligenten Mann. Daher bin ich | |
| auch überzeugt, dass er die Regularien der DFL zur Gänze erfüllen wird, | |
| wenn er einen entsprechenden Antrag stellt.“ Stellt sich die Frage, ob die | |
| DFL bei Kind einen anderen Maßstab anlegt als bei Hopp. | |
| In dem Rundschreiben heißt es, man bewerte Ausnahmeanträge „grundsätzlich�… | |
| anhand der intern aufgestellten Leitlinien. Andererseits seien die | |
| „Besonderheiten des Einzelfalls“ maßgeblich zu berücksichtigen, die | |
| Leitlinien dienten lediglich der grundsätzlichen Orientierung. Dann | |
| wiederum steht da, dass der DFL-Vorstand einen Ermessensspielraum habe, den | |
| er je nach Einzelfall „unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes“ | |
| ausüben werde. Kurzum: Wenn die DFL Kind durchwinken will, wird sie sich | |
| eine maßgeschneiderte Begründung schon zurechtlegen. | |
| Kinds Verdienste | |
| Dass Kinds Wirken den 96ern zugute kam, kann nicht mal die vereinsinterne | |
| Opposition bestreiten. „Die Fakten sehen so aus, dass Hannover 96 1997 | |
| Dritte Liga spielte und vor der Insolvenz stand. Seither ist die | |
| Entwicklung positiv: 14 Jahre in Folge Bundesliga, der sofortige | |
| Wiederaufstieg nach dem Abstieg 2016, zwei Europacup-Teilnahmen, der Bau | |
| der HDI-Arena, Bau des Nachwuchsleistungszentrums“, hat Kind im | |
| [8][taz-Interview] Mitte September aufgezählt. All das stimmt, und es | |
| beweist: Trotz 50+1-Regel ist es Kind gelungen, 96 in der Bundesliga zu | |
| etablieren. Allerdings hat darüber weniger Kinds Kapitaleinsatz | |
| entschieden, als vielmehr sein strategisches Geschick. | |
| Kind hat vorhandene Mittel gut verwaltet und an den richtigen Stellen die | |
| Fäden gezogen. Und für die gute Arbeit, die den Klub wirtschaftlich nach | |
| vorne gebracht hat, will er nun die volle Ernte einfahren. Das aber | |
| widerstrebt der Opposition. Einige demonstrieren im Rahmen der | |
| Rechtsordnung, andere schießen übers Ziel hinaus. Neben den plakativen | |
| Anti-Kind-Stimmungsmachern, allen voran den Ultras im Stadion, hat sich | |
| eine weitere Opposition gebildet; sie besteht aus Anwälten, Bänkern, | |
| Immobilienhändlern. | |
| Allesamt betonen sie, dass es ihnen um den Verein gehe. Sie meinen damit | |
| den Mutterverein, den Hannoverschen Sport-Verein von 1896 e.V.. Schon | |
| länger hegen sie den Verdacht, dass Martin Kind an vielen Stellen getrickst | |
| hat, um dem e.V. die Machtbefugnis über die Fußball-KGaA zu entziehen. Zu | |
| spät habe man reagiert, heißt es, zentrale Stellen wie jene im Aufsichtsrat | |
| habe man zu lange der Kind-Fraktion überlassen. Sie argumentieren: Ja, Kind | |
| habe einen guten Job gemacht. Und nein, für sein Wirken könne ihm im | |
| Gegenzug nicht die Entscheidungsmacht über die millionenschwere | |
| Fußballsparte überlassen werden. Job sei Job, das Herzstück des e.V., die | |
| Profifußball-Sparte, müsse unter demokratischer Kontrolle bleiben. | |
| Zum guten Job gehörte die Rettung des e.V. vor der Insolvenz im Jahr 1997. | |
| 11,6 Millionen D-Mark Schulden drückten den Verein. Fünf Spieler, darunter | |
| der spätere Schalker und deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah, wurden | |
| für 4,6 Millionen D-Mark an die Sparkasse verpfändet. Einer, der Utz | |
| Claassen, Kinds Vorgänger als Vereinsvorstand, so nahe steht, wie niemand | |
| sonst, sagt: „Die Situation war schlimmer als jemals öffentlich bekannt. | |
| Die Sparkasse hat massiv Druck gemacht. Sie hat damals alles getan, um 96 | |
| das Leben schwer zu machen. Wäre Kind nicht gekommen, hätte es die | |
| Insolvenz gegeben.“ | |
| ## Vom Hörgerätehersteller zum Fußballunternehmer | |
| Dem Hörgerätehersteller sei die heikle Lage bekannt gewesen, nur habe Kind | |
| – um Claassen zu diskreditieren – die Zahlen beschönigt. Warum Kind, damals | |
| ein Unternehmer ohne jegliche Fußballaffinität, überhaupt bei 96 | |
| eingestiegen ist? „Er war zwar damals schon Unternehmer, aber es kannte ihn | |
| niemand. Sein Einstieg bei 96 änderte das“, so der Claassen-Vertraute. | |
| Claassen selbst wollte auf taz-Anfrage keine Stellungnahme zum damaligen | |
| Machtwechsel abgeben. | |
| Nachdem Kind den Verein übernahm, kaufte er diesem die Namens- und | |
| Markenrechte für 2,7 Millionen D-Mark ab. Einzige Bedingung: Jederzeit | |
| könne der e.V. diese Rechte – das Londoner Markeninstitut Brand Finance | |
| schätzt deren Wert auf rund 75 Millionen Euro – für denselben Preis | |
| zurückkaufen. Mittlerweile ist bekannt: Die Rückkaufoption liegt nicht mehr | |
| beim e.V., man habe das 2014 neu geregelt, so Kind. Auch die Kapitalanteile | |
| an der Profisparte hat Kind als e.V.-Vorsitzender Schritt für Schritt | |
| heruntergefahren – bis seine Investorengruppe 2015 dann alles besaß und der | |
| e.V. nichts mehr. | |
| Nur die Stimmanteile verblieben über eine Tochtergesellschaft zu 100 | |
| Prozent beim e.V., eben wegen 50+1. Die Oppositionsseite hat DFL und DFB | |
| über die Vorgänge bei 96 in Kenntnis gesetzt. Weil Kind 51 Prozent der | |
| Stimmanteile für 12.750 Euro von der Profisparte an sich selbst verkaufen | |
| will, schade er dem e.V., heißt es. Bisher besitzt der e.V. 100 Prozent der | |
| Stimmanteile an der Profisparte. Der Verkauf käme nur zustande, wenn die | |
| DFL dem Deal zustimmt (indem sie die 50+1-Regel in Hannover auflöst). | |
| ## Interpretierbares Mitgliedervotum | |
| Es stellt sich die Frage: Warum sollte der e.V. für diesen geringen Betrag | |
| seine Kontrollfunktion aufgeben? „Weil wir dieses Konzept vor einem | |
| Jahrzehnt so entschieden haben. Deshalb macht es Sinn. Es ist eine saubere | |
| und zukunftsorientierte Lösung, ohne Risiken von Zufallsentscheidungen. Bei | |
| Vereinen gibt es auch immer Zufallsentscheidungen“, hat Kind der taz auf | |
| diese Frage geantwortet. Was er nicht gesagt hat: Die Mehrheit der | |
| e.V.-Mitglieder ist gegen diesen Deal, der ihnen das Mitspracherecht an der | |
| Profisparte entziehen würde. | |
| Bei der Mitgliederversammlung am 27. April 2017 wollten 60 Prozent der | |
| 96-Mitglieder die 50+1-Regel in die Satzung implementieren, nötig wären | |
| dafür aber 66,6 Prozent gewesen (Zweidrittel-Mehrheit). Und in einem | |
| zweiten Antrag votierten 71 Prozent für die Einberufung einer | |
| außerordentlichen Mitgliederversammlung, die darüber entscheiden solle, ob | |
| Hannover 96 bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) eine 50+1-Ausnahmeregelung | |
| beantragt oder nicht. | |
| Interessanter Nebenaspekt: Im Fall Hoffenheim forderte die DFL eben dies; | |
| für Hopp war das auch kein Problem, weil der eine stattliche Mehrheit | |
| hinter sich wusste. Beim Traditionsverein Hannover 96 sind die Mehrheiten | |
| anders gelagert. Kind allerdings argumentiert, dass mit dem nicht erfolgten | |
| Satzungsbeschluss – der um schlappe sechs Prozent verfehlt wurde – die | |
| Sache erledigt wäre. Ausreichend sei also, dass zwar die meisten, aber | |
| nicht genügend Mitglieder für eine satzungsrechtliche 50+1-Dauerlösung | |
| gestimmt hätten. | |
| Ob das die DFL genauso sieht? Oder das DFB-Präsidium, das einen | |
| 50+1-Ausnahmeantrag der DFL final absegnen müsste? Am Ende könnte es | |
| entscheidend sein, zu welchem Schluss DFB-Präsident Reinhard Grindel kommt. | |
| Stellt er sich auf die Seite des Hannoverschen Sport-Vereins von 1896 e.V. | |
| – oder folgt er der Argumentationslinie des Investors Martin Kind? Von | |
| dieser Frage hängt ab, was der DFB unter Tradition und Moderne versteht. | |
| Sie zu verbinden, fällt jedenfalls schwerer als im Kokenhof. | |
| 3 Nov 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.hannover96.de/startseite.html | |
| [2] https://www.kind.com/de-de/ | |
| [3] https://www.dfb.de/verbandsservice/verbandsrecht/satzung-und-ordnungen/ | |
| [4] https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet | |
| [5] http://www.bild.de/sport/fussball/martin-kind-erpressen-die-bundesliga-1039… | |
| [6] https://www.dfb.de/news/detail/50-1-regel-bleibt-bestehen-28925/ | |
| [7] https://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article169631362/Martin-Kind-zei… | |
| [8] /Martin-Kind-ueber-Kontrolle-in-Hannover/!5444892 | |
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| David Joram | |
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