# taz.de -- Übernahme von Hannover 96: Mitglieder klagen gegen Martin Kind | |
> Der Präsident vom Fußballclub Hannover 96 versucht mit allen Mitteln, den | |
> Profiklub zu übernehmen. Exkanzler Schröder unterstützt ihn dabei. | |
Bild: Strategen auf der Aufsichtstribüne: Martin Kind (l.) im Gespräch mit Ge… | |
HANNOVER taz | Der Hass klingt so: „Komm raus, wir bringen dich um, du | |
Drecksau!“ Das drohen einige Hannoveraner Ultras im Oktober 2016. Sie | |
fahren gerade in einem ICE, in dem zufällig auch Martin Kind sitzt. Ihr | |
Vereinspräsident und ihr Hassobjekt. Tätlich werden sie nicht, und | |
mittlerweile ist der Vorfall längst vergessen, Kind verzichtete sogar auf | |
eine Anzeige. | |
Der 73-Jährige, der seine Millionen mit Hörgeräten verdient, gilt als | |
robust. So führt er auch den Kampf um die Macht im Klub. Gegen die Ultras, | |
aber vor allem gegen die Faninitiative „Pro Verein“. Beide Gruppen wollen | |
den Profifußball nicht komplett vom Breitensport lösen, Kind will das | |
schon. | |
Seit 1997 präsidiert er im e. V., anfangs galt er als Retter des damals | |
klammen Vereins. Kind würde gern so uneingeschränkt herrschen wie etwa der | |
russische Geldgeber Roman Abramowitsch beim englischen Spitzenklub Chelsea | |
FC. An Kinds Seite steht Exkanzler Gerhard Schröder. | |
Alles dreht sich um die Kerndebatte der Branche, die 50+1-Regel. Kind will | |
ihre Aufhebung bis zum 30. September beantragen, auch wenn unklar ist, ob | |
er überhaupt alle Voraussetzungen erfüllt. Die Regel garantiert, dass der | |
e. V. mindestens 51 Prozent der Stimmenanteile an seinem Fußballunternehmen | |
besitzt – und die Investoren maximal 49 Prozent. Dadurch kann der e. V. den | |
Geschäftsführer bestimmen, der die gesamten Kapitalanteile verwaltet und | |
alle wichtigen strategischen Entscheidungen trifft. | |
## Das 96-Modell ist ein echtes Kind-Modell | |
In Hannover ist das so: Der e. V. hält zwar kein Kapital an seiner | |
Profifußball-KGaA, weil 100 Prozent in Investorenhand liegen. Aber der e. | |
V. bestimmt über eine Tochtergesellschaft zu 100 Prozent, wie das Kapital | |
eingesetzt wird, weil das Stimmenverhältnis 100:0 ist. Scheiß aufs Kapital, | |
sozusagen. Bei einem Stimmenverhältnis von 51:49 säße immer noch der e. V. | |
am längeren Hebel. Mehrheit ist Mehrheit. | |
Nun ist das 96-Modell ein echtes Kind-Modell. Kind amtiert als Präsident | |
des e. V., zugleich ist er der KGaA-Geschäftsführer, und zusätzlich ist er | |
auch noch Hauptinvestor der KGaA. In der Realität verfügt 96 deshalb nur | |
noch über eine Kontrollinstanz, die nicht Martin Kind heißt: Das ist die | |
Mitgliederversammlung des e. V. Sie zu entmachten, davon träumt Kind schon | |
lange. Das soll ihm gelingen, indem er 50+1 aus Hannover verbannt. | |
Dass das gelingt, daran mehren sich die Zweifel. Brisant war eine | |
Vereinsentscheidung vom 5. Juli, wonach der e. V. 119 Anträge auf | |
Mitgliedschaft abgelehnt hat, mindestens. Offiziell begründet wurde das mit | |
dem „Interesse des Vereins Hannover 96“. Mehr nicht. Auf taz-Anfrage hieß | |
es, man wolle sich nächste Woche dazu äußern, und Kind stehe dann für ein | |
Interview zur Verfügung. | |
Die 119 Mitgliedsanträge kamen gebündelt im Namen von Pro Verein. Der | |
argumentiert, man habe 96 lediglich bei der Mitgliederwerbung unterstützt. | |
Inoffiziell geht es wohl eher darum, weiteren Kind-Gegnern ein Stimmrecht | |
zu verschaffen. | |
## Hitzige Mitgliederversammlung | |
Kritik aber gefällt Martin Kind nicht sonderlich. Er findet, dass im | |
Milliardenbusiness Fußball keine Vereinsmeier entscheiden sollten, sondern | |
Konzernstrategen. Oder halt Männer von Welt, wie Gerhard Schröder, ein | |
Freund und Tennispartner Kinds. Der Exkanzler fungiert seit Dezember 2016 | |
als Aufsichtsratschef der KGaA, er soll deren Geschäftsführer Martin Kind | |
kontrollieren. Als wahrscheinlich gilt jedoch, dass Schröder Kind vor | |
allem neue Kontakte verschafft. | |
Pro Verein sorgt hingegen nicht für Kontakte, sondern für Ärger. Deshalb | |
könnte Kind angeordnet haben: Kein Stimmrecht mehr für jene, die finden, | |
dass der e. V. via 50+1 weiterhin die Strategie der KGaA mitbestimmen | |
müsse. | |
Ein Rückblick. 27. April 2017: Auf einer hitzigen Mitgliederversammlung | |
stehen gleich zwei Abstimmungen über 50+1 an. Die erste verläuft gut für | |
Kind. Zwar wollen 60 Prozent der 96-Mitglieder die 50+1-Regel in der | |
Satzung implementieren, nötig wäre dafür aber eine Zweidrittelmehrheit | |
gewesen. Freie Bahn habe Kind nun, schlussfolgert die Presse. Dabei geht | |
Antrag Nummer 2, den 71 Prozent der Mitglieder absegnen, ein wenig unter. | |
Er sieht vor, dass eine außerordentliche Mitgliederversammlung darüber | |
entscheiden solle, ob Hannover 96 bei der Deutschen Fußball-Liga (DFL) eine | |
50+1-Ausnahmeregelung beantragt oder nicht. Dieser Beschluss zwingt Kind – | |
der ja bald bei der DFL die Aufhebung von 50+1 beantragen will – de facto | |
dazu, die Mitglieder über 50+1 abstimmen zu lassen. Aber genau das plant er | |
bislang nicht, weil eine Niederlage droht. | |
„Nein, eine außerordentliche Mitgliederversammlung ist nicht vorgesehen“, | |
bestätigt ein Vereinssprecher. Bleibt Kind stur, wäre das höchst brisant. | |
Es würde bedeuten, dass Kind die Mitgliederversammlung nicht als das | |
akzeptiert, was sie satzungsgemäß zu sein hat: „das oberste beschließende | |
Organ des Vereins“, Paragraf 11, Artikel 1.; bei Zuwiderhandlung könnte die | |
DFL der KGaA die Bundesliga-Lizenz entziehen. | |
## Warum wird die Satzung falsch interpretiert? | |
Kind argumentiert, dass die Mitgliederversammlung in der 50+1-Frage eher | |
beratend sei, nicht beschließend.So hat er das in der Hannoveraner | |
Lokalpresse erklärt, und so hat es auch der Aufsichtsratsvorsitzende des e. | |
V., Valentin Schmidt, ein enger Kind-Vertrauter, auf der letzten | |
Mitgliederversammlung dargestellt. Aber in der Satzung steht eindeutig: | |
„Der Vorstand setzt Beschlüsse des Aufsichtsrats und der | |
Mitgliederversammlung um“, Paragraf 15, Artikel 3 c. Schmidt legte aber als | |
Versammlungsleiter fest, dass die Mitglieder nicht beschließen dürften, was | |
der Vereinsvorstand zu beschließen habe; nur der Aufsichtsrat dürfe dem | |
Vorstand in der 50+1-Frage Weisung erteilen, so Schmidt. Diese Aussage | |
taucht auch in dem vertraulichen Protokoll der Mitgliederversammlung auf, | |
das der taz vorliegt. | |
Weil Kind die Satzung offensichtlich ausdribbeln will, laufen nach | |
taz-Informationen gerade mehrere interne Verfahren gegen ihn, sogenannte | |
Ehrenratsverfahren. Ein fünfköpfiges Gremium soll klarstellen, dass die | |
Aussagen von Schmidt bzw. Kind nicht rechtens sind; dass die | |
Mitgliederversammlung beim 50+1-Prozess also sehr wohl beschließen darf, | |
und nicht nur beraten. In diesen Ehrenrat sind drei Mitglieder erst im | |
April neu gewählt worden – unter anderem empfahl sie auch Pro Verein. | |
Am Freitag vor einer Woche soll es nach taz-Informationen ein erstes | |
Gespräch zwischen dem Ehrenrat und Martin Kind gegeben haben. Man hat ihn | |
wohl auch darüber informiert, dass in der Causa 50+1 noch weitere Anträge | |
eingereicht worden sind. Etwa dass die DFL über das Ehrenratsverfahren | |
informiert wird. Und dass der Ehrenrat von der DFL informiert wird, falls | |
Kind den 50+1-Antrag ohne Zustimmung der Mitgliederversammlung stellt. | |
Offenbar misstrauen Teile der Basis Martin Kind zutiefst. Dass der Ehrenrat | |
Kind freie Hand lässt, gilt angesichts dieser Sachlage als | |
unwahrscheinlich. | |
Der Streit um die Deutungshoheit über die Satzung birgt noch eine weitere | |
Pointe. Im Jahr 1997 kaufte Kind dem e. V. die Namens- und Markenrechte für | |
2,7 Millionen D-Mark ab. Dem damaligen Drittligisten drohte die Insolvenz, | |
das Geld war herzlich willkommen. Als einzige Bedingung wurde vereinbart, | |
dass der Verein jederzeit die Namens- und Markenrechte zurückkaufen könne – | |
und zwar zum ursprünglichen Preis, also für rund 1,3 Millionen Euro. | |
## 75 Millionen Euro ist der Klub als Marke wert | |
In einer Studie vom Juni taxiert das Londoner Markenbewertungsunternehmen | |
Brand Finance den Wert der Marke Hannover 96 auf 75 Millionen Euro, Platz | |
68 im europäischen Fußball. Peanuts, verglichen mit Spitzenreiter | |
Manchester United (1,551 Milliarden Euro) oder Bayern München (Platz | |
5/1,094 Milliarden). Trotzdem wundern sich Branchenkenner, dass der e. V. | |
von dieser Möglichkeit noch nicht Gebrauch gemacht hat. | |
Die 96-Mitglieder haben bereits reagiert und den Vorstand angewiesen, die | |
Kaufoption zu ziehen. Sie fordern die Rechte zurück, die Kind aber nicht | |
herausgeben will. Wie wichtig diese Rechte geworden sind, verdeutlicht eine | |
Analyse des Marktforschungsinstituts Nielsen-Sports. Demnach stiegen allein | |
die Sponsoringeinnahmen durch Markenrechte im europäischen Fußball von 49 | |
Millionen Euro (2007/2008) auf 150 Millionen Euro (2016/2017). Der e. V. | |
könnte also entweder seine Rechte für eine hübsche Summe komplett verkaufen | |
oder eine regelmäßige Leihgebühr von Lizenznehmern verlangen. Es gibt viele | |
Möglichkeiten, die eigene Marke zu monetarisieren. | |
Aktuell besitzt diese wertvollen Namens- und Markenrechte eine | |
Personengesellschaft mit dem Namen „Hannover 96 Sales & Service GmbH und | |
Co. KG“, kurz: S&S. Sie ist eine Dienstleisterin, die alles regelt, damit | |
der 96-Profibetrieb, die KGaA, reibungslos läuft. Ticketing, Merchandising, | |
Rechnungswesen, solche Sachen fallen darunter. Aber auch: Markenführung und | |
Markenpflege. Besonders wichtig: Die S&S ist auch der Investor der KGaA, | |
sie hält 100 Prozent der Kapitalanteile. Und sie besteht wiederum aus vier | |
Gesellschaftern. Einer heißt Martin Kind, mit 52,73 Prozent hält er die | |
Mehrheit in der S&S. Ganz robust. | |
30 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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