# taz.de -- Vereinschef über Bundesliga und Ultras: „Wir wollen ein echter V… | |
> Der Vorsitzende des FSV Mainz, Johannes Kaluza, warnt vor | |
> Raubtierkapitalismus und gilt als Ultras-Versteher. Zurzeit lehnt er | |
> Pyrotechnik ab. | |
Bild: Dynamo-Fans am 14. August | |
Herr Kaluza, die Mainzer Ultras haben Sie mit zum Vereinsvorsitzenden | |
gewählt. Ihr Hannoveraner Kollege Martin Kind hat das kritisiert. Er hat | |
auch gesagt: „Wir brauchen die Ultras nicht.“ Sie offenbar schon. Oder nur | |
aus wahltaktischen Gründen? | |
Johannes Kaluza: Ich bin von der Mehrheit der Mitglieder gewählt worden. | |
Darüber hinaus geht Mainz 05 einen anderen Weg als die meisten Profiklubs. | |
Wir sind ein eingetragener Verein. Deshalb bin ich froh, dass der | |
Bundesgerichtshof den e.V. bestätigt hat. Das Urteil besagt, dass Vereine | |
Unternehmen führen können, die zu ihrem ideellen Zweck passen. | |
Sprich: Wenn der e.V. ein millionenschweres Bundesligateam hat und damit | |
entsprechende Umsätze erzielt, muss er das Team nicht in eine | |
Kapitalgesellschaft ausgliedern. | |
Genau. Der klassische e. V., der lange auf dem Rückzug war, ist damit nicht | |
länger in der Defensive. Wir dürfen e. V. bleiben. | |
Was hat das mit den Ultras zu tun? | |
Wir wollen den e. V. nicht nur auf dem Papier, sondern ein echter Verein | |
sein. Das heißt, wir probieren alle Gruppierungen und Fans zu inkludieren, | |
dazu gehört auch die aktive Fanszene. | |
Wie reagieren Sie, falls die Ultras beim Rhein-Main-Derby am 10. Spieltag | |
gegen Frankfurt Pyrotechnik abfackeln und für Randale sorgen? | |
Wir wollen eine Abgrenzung zwischen Fankultur und Fangewalt. Da müssen wir | |
mit den Fans immer wieder in den Dialog gehen, sie ernst nehmen. Es gibt | |
berechtigte Interessen – und unrechtmäßiges Verhalten, darüber muss man | |
sprechen. | |
Ist das Abbrennen von Pyrotechnik ein berechtigtes Interesse? | |
Das ist ein schwieriges Thema. Aktuell gilt, dass Pyrotechnik im Stadion | |
verboten ist. Ich kann zwar verstehen, dass es zur Ultrakultur dazugehört, | |
lehne Pyro derzeit aber auch ab. Die Sicherheitsbedenken sind mir zu groß. | |
Zu einem verantwortungsbewussten Dialog bin ich trotzdem bereit. | |
Und nehmen direkt Martin Kind mit? Sie treffen ihn ja am 1. Spieltag im | |
Stadion. | |
Sein Büro hat mir leider abgesagt, private Veranstaltung. | |
Verfolgen Sie die Debatten in Hannover? Die Kind-Opposition bemängelt, sie | |
hätte kein Mitspracherecht bei der Aufhebung der 50+1-Regel. | |
Wir verfolgen mit Interesse, was in Hannover passiert, auch wenn wir von | |
einem anderen Weg überzeugt sind. Der e. V. kann für den Profisport die | |
richtige Organisationsform sein, sofern die Strukturen stimmen. Also mit | |
einem starken Aufsichtsrat, mit einem Vorstand, der kontrolliert wird. Klar | |
ist: Ein Verein muss hochprofessionell arbeiten, da gibt es kein Vertun. | |
Was raten Sie 96? | |
Ich verteile keine Ratschläge. Bei uns ist klar geregelt, dass ein Verein | |
seiner Satzung verpflichtet ist. Bei uns müsste eine Ausgliederung mit | |
75-prozentiger Mehrheit der Mitglieder beschlossen werden. Bei einem | |
Anteilsverkauf gälte das auch. | |
Wo liegen die Vorzüge des e. V.? | |
Ein Unternehmen verfolgt immer ein Eigeninteresse, das in einer | |
Gewinnabsicht besteht. Der e. V. will wirtschaftlich auch erfolgreich sein, | |
aber nicht zum Vorteil des Einzelnen. Das sieht der BGH ja auch so. Er | |
erlaubt uns, im Sinne der Sache erfolgreich zu wirtschaften. | |
Gliedern andere Vereine ihre ausgegliederten Profiteams jetzt wieder ein? | |
Man muss das nicht komplett zurückdrehen. Solange der Verein die Mehrheit | |
am Profiteam hält, strahlt die Gemeinnützigkeit ja auch auf den | |
Geschäftsbetrieb aus. Das ist entscheidend, auch in der Frage, ob wir zu | |
viel Kommerz haben. Gibt es Auswüchse? Hat Neymar alles verändert? | |
Was denken Sie? | |
Der Neymar-Deal hat vieles auf die Spitze getrieben. Wir müssen deshalb | |
checken, ob wir die richtige Organisationsform haben – und vor allem die | |
richtige Zielsetzung. Ein Verein hat eine andere Zielsetzung als ein | |
Unternehmen. Der deutschen Fußballvereinskultur kann ein gemeinnütziger e. | |
V. natürlich besser gerecht werden. | |
Kann Mainz 05 in Neymar-Zeiten auch erfolgreich bleiben? | |
Die Deutschen sind ja eine soziale Marktwirtschaft gewohnt und keinen | |
reinen Kapitalismus. Ein rein auf Gewinnerzielung ausgerichtetes | |
Fußballleben bedeutet Raubtierkapitalismus. Das ist eine Wirtschaftsform | |
des 19. Jahrhunderts, wir leben aber im 21. Jahrhundert. Der Bierhoff hat | |
nicht umsonst gewarnt, dass das Ganze gegen die Wand fährt, es irgendwann | |
knallt. Ein rein kapitalistisches System ist nicht in der Lage, die | |
Faszination Fußball auf Dauer zu betreiben. Ich befürworte deshalb, dass | |
Mainz 05 und die Bundesliga einen Mittelweg zwischen Idealismus und | |
Kapitalismus einschlagen – das ist langfristig gesünder und erfolgreicher. | |
Kurzfristig gedacht: Schafft Mainz 05 den Klassenerhalt? | |
Wir sind gut aufgestellt, weil wir schon lange gute Arbeit leisten. Deshalb | |
bin ich zuversichtlich. | |
Ihr Tipp gegen Hannover? | |
Ich tippe nicht, sondern drücke die Daumen, dass es klappt. | |
19 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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