Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pro und Kontra Pyrotechnik: Die reine Fußballfreude
> Die Fan-Randale im Rostocker Stadion hat erneut die Diskussion um
> Pyrotechnik auf der Tribüne entfacht – auch in Niedersachsen
Bild: Schön anzusehen oder bloß gefährliches Spektakel?
HAMBURG taz | Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) reagiert
auf die jüngsten Fußballfan-Krawalle mit einem Vorschlag. Er will
Pyrotechnik nicht verbieten, sondern in abgetrennten Bereichen der Arenen
legalisieren. Mit Pyro ins Stadion?
Ja
Pyrotechnik im Stadion gab es immer und wird es immer geben – von daher ist
die Frage, ob es sie geben soll oder nicht, überflüssig. Aber wenn man sie
trotzdem stellt, muss man sagen: Klar soll es sie geben. Pyrotechnik ist
ein zentrales Ausdrucksmittel von Ultra-Fankultur. Und sieht gut aus.
Was an anderer Stelle kein Argument sein sollte – jemand oder etwas sieht
einfach nur gut aus – greift hier schon. Für die Stimmung im Stadion ist
bunter Rauch zentral. Das Spielergebnis kann man schließlich auch im
Fernsehen verfolgen. Aber darum geht es nicht primär, sonst wäre ja niemand
Fan von einem Verein, der häufig verliert.
Beim Fan-Sein geht es um das Drumherum, um das gemeinsame Bannermalen, das
Basteln von Choreografien, um die Gesänge, die Identifikation mit der
Gemeinschaft, die Party im Stadion. Man ist dabei, man fühlt es, erlebt es,
schreit es heraus und ist Teil einer Fankultur. Ohne die eindrucksvollen
Bilder, die durch grünen, blauen oder lilafarbenen Rauch und weißgelbe
Flammen entstehen, wäre das alles viel schwächer. Der Stadionbesuch wäre
weniger schön.
Pyro ist auch nicht per se gefährlich. Gefährlich wird es erst, wenn man
ihren Gebrauch kriminalisiert. Wenn Bengalos heimlich im Sichtschutz von
Menschen und Transparenten angezündet werden müssen, ist das Risiko, dass
etwas passiert, viel höher. Im Diskurs werden gerne gewalttätige
Ausschreitungen von randalierenden Fans mit dem Gebrauch von Pyrotechnik
vermengt. Dabei haben Rauchtöpfe und bengalisches Licht nichts mit Gewalt
zu tun. Im Gegenteil: Es ist ein friedliches, und dazu wunderschönes
optisches Ausdrucksmittel von Fankultur.
Natürlich braucht niemand wirklich Pyrotechnik. Ein Fußballspiel kann, na
klar, genauso gut, nur eben nicht genauso schön ohne Fanfeuerwerk ablaufen.
Aber Fußball braucht ja letztendlich auch niemand. Es geht also bei Fußball
und Feuerwerk einfach nur um die Sache um der Sache willen, um den Spaß
also und um die Schönheit.
Katharina Schipkowski
***
Nein
Sicher: Man kann finden, dass das Stadion meiden muss, wem es dort zu hoch
her geht, ganz so wie im Sprichwort von der Küche und dem heißen Herd. Bloß
ist so eine Fußballarena halt keine Küche und ihr Daseinsgrund auch nicht
das Abfackeln von Pyrotechnik auf den Rängen und in den Kurven. So sehr es
sich der Ballsportfreund mit Schwäche für die gute alte Zeit wünschen mag:
Zum Spiel kommen die meisten Leute nicht zuerst wegen der Fankultur,
sondern wegen des Fußballs.
Aber vielleicht in zweiter Linie: Den Hausherren, den Stadionbetreibern,
dürften die Ultras mit all ihrem unbezahlten Aufwand, den Choreografien und
Chören und dem ganzen Pipapo durchaus willkommen sein, denn sie tragen bei
zum Eventcharakter eines Bundesliga-Tags. Was nicht Event ist, ist heute ja
beinahe gar nichts. Und ist der Streit über die
Fanblock-Selbstverwirklichung nicht überhaupt nur ein Nebenkriegsschauplatz
– und der Kampf um den echten, den proletarischen Fußball längst verloren?
Heikel wird es da, wo ich mit meiner Anhängerschaftsausübung nicht mehr nur
am beispielsweise musikalischen Geschmack des neben mir Stehenden (oder
zunehmend: Sitzenden) rühre, indem ich schief singe, sondern ganz konkret
seine Gesundheit gefährde: 2.000 Grad wird ein abbrennendes Bengalo heiß,
und im pyrotechnischen Sortiment gibt es sogar Artikel, die noch höhere
Zahlen erreichen; nicht dass das noch einen großen Unterschied machen
würde.
Es geht also um sehr reale Gefahren – zumal in der Kombination mit Bier,
wie es ja auch so gerne zur unantastbaren Tribünentradition hochgejazzt
wird. Vielleicht ist so ein Reservat, ein eigener Bereich für die
150-prozentigen unter den Fans eine Lösung, so wie es in Hannover
Noch-Innenminister Boris Pistorius (SPD) jetzt erwägt? Andererseits: Wer
bestimmt denn am Ende, wer da rein darf?
Ist ein echter Fußballfan nur, wer für die eigene Elf zündelt? Nein, echt
nicht. Ihr seid gar nicht der Fußball, Ihr seid vor allem Spektakel.
Alexander Diehl
17 Aug 2017
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
Alexander Diehl
## TAGS
Fußball
Pyrotechnik
Stadion
Fankultur
Deutscher Fußballbund (DFB)
Lügenleser
Ultras
Werder Bremen
Cottbus
DFB-Pokal
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Roger Schmidt
Fußball
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Pressschlag: Friedensstiftender Konflikt
Trotz all des lauten Kriegsgeschreis: In den deutschen Fußballstadien
findet derzeit ein erstaunlicher Zivilisierungsprozess statt.
Kolumne Lügenleser: Rituelle Zündeleien
Die „Bild“-Zeitung will Normalo-Fans mit populistischen Schlagzeilen gegen
Ultras mobilisieren – das passt auch dem DFB.
Vereinschef über Bundesliga und Ultras: „Wir wollen ein echter Verein sein“
Der Vorsitzende des FSV Mainz, Johannes Kaluza, warnt vor
Raubtierkapitalismus und gilt als Ultras-Versteher. Zurzeit lehnt er
Pyrotechnik ab.
Werder-Präsident über radikale Fans: „Wir würden Rechte niemals dulden“
Der Präsident von Werder Bremen, Hubertus Hess-Grunewald, über Gründe für
das gute Verhältnis zu linken Ultras und den Kampf gegen Rechte.
Randale bei Viertligaspiel in Babelsberg: Hitlerfans aus Cottbus
Bei der Partie Babelsberg vs. Cottbus kam es zu gewalttätigen Krawallen und
Spielunterbrechungen. Fans der Lausitzer zeigten den Hitlergruß.
Berichterstattung von Fanreportern: Unerwünschte Motive
Mainz 05 und andere Vereine schränken Fanreporter bei ihrer Arbeit wegen
der Gefahr der Gewaltverherrlichung ein. Diese erklären, Realität
abzubilden.
Lübecker und Hamburger Fußball-Fans werden keine Freunde: Vergiftete Stimmung…
Der VfB Lübeck bleibt beim 0:3 gegen den FC St. Pauli chancenlos. Die
Polizei kann Fanrandale zwar verhindern, Geldstrafen erwarten aber beide
Vereine.
Neonazis im Berliner Wahlkampf: Wem gehört die Kurve?
Die NPD hat die Fanszene als Zielgruppe im Wahlkampf entdeckt. Die
Ultra-Organisation Pro Fans wehrt sich gegen die Vereinnahmung von rechts.
Diskussion um Spielunterbrechung: Das bisschen Krawall
Der Leverkusener Trainer Schmidt widersetzte sich der Anweisung des
Schiedsrichters und sorgte so für einen Eklat. War das wirklich so schlimm?
Kriminologe über Stadionverbote für Fans: „Viele sind nicht dauerhaft krimi…
Kriminologe Feltes fand heraus, dass 70 Prozent der mit einem Stadionverbot
belegten Fans vorbestraft sind. Er warnt vor pauschalen Verurteilungen
ganzer Gruppen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.