# taz.de -- Fankultur in Fußballstadien: Macht eure Kurven auf! | |
> Das ewige Gefasel von Ehre und Treue zum Verein macht das Stadion zu | |
> einem rückständigen Ort. Es wird höchste Zeit für eine neue Fankultur. | |
Bild: Nehmt sie auf, lasst sie rein: BVB und Bayern-Fans auf dem Breitscheidpla… | |
Fußballfans, die sich als die wahren bezeichnen, schwören auf Treue – die | |
Eingefleischten, die alten Kuttenfans und die jungen Ultras. Sie singen von | |
ihrer Liebe, die „für alle Zeit“ bestimmt sei, davon, dass sich daran „b… | |
in den Tod“ nichts ändern werde. Sie fühlen sich als die wahren Vertreter | |
der Klubs. | |
Die Spieler wechseln, wie es ihnen oder ihren Beratern gefällt. Die Fans | |
sind es, die bleiben. Und wenn Nationalspieler Christoph Kramer sagt: „Ich | |
möchte erst mal so lange in der Bundesliga bei Gladbach spielen, wie mich | |
meine Füße tragen“, dann nehmen sie das nicht ernst. Als Söldner sind die | |
Profis längst verschrien, als Legionäre, und wer gar zu einem Erzrivalen | |
wechselt, der wird wissen, dass man ihn als „Judas“ beschimpfen wird. Treue | |
ist die höchste Tugend in der Kirche der Kurven. Treue ist Ehrensache. | |
Ehre? Treue? Da war doch was. | |
Dieses ewige Treuegehabe und Ehrgefasel aus den Kurven macht das | |
Fußballstadion tatsächlich zu dem rückständigen Ort, als der er verschrien | |
ist. Als am Montag in Rostock Fans des FC Hansa ein Banner verbrannt haben, | |
das sie einst Hertha-Fans gestohlen hatten, konnten sie sich darauf | |
verlassen, dass die Berliner sich in ihrer Ehre gekränkt fühlten. Es soll | |
schon Ultragruppierungen gegeben haben, die sich aufgelöst haben, weil man | |
die Fahne, die man ihnen geklaut hatte, in der gegnerischen Kurve | |
präsentiert hat. Sie hatten ihre Ehre verloren und damit das Recht, sich | |
als Gruppe zu präsentieren. | |
Es muss Schluss sein mit derart kindischem Ernst! | |
Vielleicht sind die Kurven weniger homophob, als viele wahrscheinlich | |
völlig zu Recht befürchten. Vielleicht sind sie nicht ganz so sexistisch, | |
wie es den Eindruck macht. In jedem Fall aber ist ihre Abgeschottetheit, | |
ihre Tugendbesessenheit gestriger, als es einer aufgeklärten Gesellschaft | |
guttun kann. Ein wenig mehr Offenheit würde den Kurven gewiss nicht | |
schaden. Vereinswechsel sollten auch in der Fanszene kein Tabu sein. Oder | |
anders in bestem Gutmenschensound formuliert: Migration muss auch von Kurve | |
zu Kurve möglich sein. Es geht um den aufgeklärten Fußball. | |
Als Kind war ich ja Schalke-Fan, dann hatte ich meinen festen Platz auf der | |
Südtribüne in Dortmund, aber jetzt schlafe ich in Bettwäsche vom VfL Bochum | |
und bin bei jedem Auswärtsspiel dabei. Wer solche Sätze sagt, verliert | |
schnell jedes Ansehen in der Kurve. Dabei sollte es normal sein, sich den | |
Klub seines Herzens selbst auszusuchen. Aber wer macht das schon? | |
## Vom Klubstrampler zur Ultrabande | |
Der eine bekommt die Liebe zu seinem Stammverein von den Eltern regelrecht | |
eingeimpft. Kaum auf der Welt wird ihm oder ihr der Klubstrampler | |
angezogen, und auf dem Bild von der Taufe ist der oder die Kleine mit einem | |
Schnuller mit Vereinslogo im Mund zu sehen. Der andere kommt irgendwie zu | |
dem Klub, weil seine Freunde auch irgendwie zu dem Klub halten. Bald ist | |
die Kurve cool, und Teenager schwören ihrem Klub und ihrer Ultrabande ewige | |
Treue. Die wenigsten aber machen sich, bevor sie ihr Leben einem Klub | |
widmen, Gedanken darüber, was diesen Verein eigentlich auszeichnet. Auf die | |
Frage, warum man einen Klub besonders, nun ja, liebe, gibt es nicht selten | |
nur eine Antwort: Weil das schon immer so war. | |
Es gibt die Erfolgsfans, die einen Klub toll finden, weil dessen Spieler | |
eine Trophäe nach der anderen gewinnen. Von den wahren Anhängern, den | |
Krakeelern in der Kurve, den Fahnenschwenkern, den Transpimalern, den | |
Doppelhalterhaltern, werden sie nicht für voll genommen. Wer nicht schon | |
einmal um einen Klub geweint hat, wer nicht gelitten hat, ist für sie kein | |
wahrer Fan. | |
Warum eigentlich nicht? Erfolg ist doch nun wirklich ein Grund, sich für | |
einen Klub zu entscheiden. Fußball ist Sport, schon vergessen? Und wenn der | |
Erfolg ausbleibt, wechselt man den Klub. Ja, warum denn nicht? Ein | |
Schalke-Fan, der in die Bayern-Kurve wechselt, weil er auch einmal über | |
eine Meisterschaft jubeln will, ist doch kein Verbrecher. Gebt ihm Asyl! | |
Vielleicht will dieser Schalke-Fan seinen Klub schon lange verlassen, weil | |
ihm die Partnerschaft des Klubs mit dem russischen Sponsor Gazprom nicht | |
passt, weil er nicht im Trikot einer staatlichen Firma rumlaufen möchte, | |
die andere Staaten erpresst. Liebe Münchner, nehmt diesen Mann doch bitte | |
in eure Kurve auf, er hat einen guten Grund, seinen Verein zu wechseln! Und | |
habt Verständnis, wenn er es sich dann doch noch anders überlegt, weil er | |
den neuen Ärmelsponsor der Bayern aus Katar auch nicht besser findet als | |
Gazprom. | |
## Weniger Treue, weniger Ehre! | |
Fans der Braunschweiger Eintracht, die es satthaben, sich Woche für Woche | |
neben irgendwelche Nazis in die Kurve zu stellen, und sich entscheiden, | |
fortan den FC St. Pauli zu supporten, sollten da mit offenen Armen | |
aufgenommen werden. Refugees welcome! Und wenn jemand die Schnauze voll hat | |
von den sogenannten Kiezkickern, die ihr gutes Gewissen so gut vermarkten | |
können, warum soll der nicht zu RB Leipzig wechseln, wo ganz gewiss nicht | |
so getan wird, als könne Profifußball ohne Businessplan gespielt werden. | |
Lasst ihn ziehen! Und wenn die Leipziger plötzlich anfingen, den schönsten | |
Fußball aller Zeiten zu spielen, nichts wie hin, liebe HSVler! Wer es | |
partout nicht lassen kann, seinen Klub toll zu finden, weil er ihn immer | |
schon toll gefunden hat, bitte, der soll ruhig weiter zu den Rothosen | |
halten. | |
Und keine Angst, liebe Freundinnen und Freunde der verhärmten | |
Fußballkultur, die ihr den anderen Klubs so gerne lauthals „Tod und Hass“ | |
wünscht. Ihr sollt nicht aufhören zu singen, Fahnen zu schwenken, euer Team | |
zu unterstützen. Ihr sollt nicht mit den Fans der gegnerischen Mannschaft | |
Händchen haltend im Stadion sitzen und Kirchentagslieder trällern: Danke | |
für diesen schönen Fußball! Nein, schreit für euren Klub, singt | |
irgendwelche Lieder, versucht, lauter zu sein als die anderen, und vor | |
allem: Seht sie als Gegner, nicht als Feinde. Ihr seid nicht die besseren | |
Menschen, weil ihr Glubberer, Löwen oder Werderaner seid, ihr seid nur Fans | |
eines anderen Vereins. | |
Also, liebe Ultras, die ihr bisweilen mit bewundernswertem Einsatz | |
Antifaschismus und Antirassismus auf eure Fahnen schreibt, hört auf, die | |
Fans anderer Klubs als Untermenschen zu betrachten. Überlegt, ob das zu | |
eurem Weltbild passt, ob ihr wirklich derart identitätsbesoffene Radikalos | |
sein wollt. Wechselt mal die Seiten! Nieder mit den Zäunen zwischen den | |
Kurven! Für offene Grenzen in den Stadien! Weniger Treue, weniger Ehre! Für | |
eine neue Fankultur! | |
16 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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