# taz.de -- Hardcore-Fußballfans und der DFB: Auch Ultras sind Eventmanager | |
> Fußballferne Inszenierungen können die Hardcorefans genauso gut wie | |
> Helene Fischer. Sie sind Teil des Geschäfts, das sie verteufeln. | |
Bild: Auch Hass kann man farbenfroh in Szene setzen: Dortmunder Ultras demonstr… | |
So viel Unversöhnlichkeit an einem Feiertag des deutschen Fußballs hat man | |
wohl noch nie vernehmen können. In fein abgestimmtem Wechsel schmetterten | |
die Zuschauer aus den voll besetzten Kurven des Berliner Olympiastadions | |
vergangenen Samstag kurz vor dem Beginn des Pokalfinales ihren Schlachtruf | |
heraus: „Scheiß DFB“. Immer wieder. Von der Westkurve in die Ostkurve und | |
wieder zurück. In ihrer Ablehnung des Deutschen Fußball-Bunds harmonierten | |
die Dortmunder und Frankfurter Anhänger prächtig. Und weil es bei einem | |
Endspiel wenig neutrale Beobachter gibt, wirkte dieses Bündnis erdrückend. | |
Im Fußball scheint sich alles wie von selbst in zwei Lager aufzuteilen. Man | |
ist entweder für die einen oder eben für die anderen. Man mag Messi oder | |
Ronaldo, Ballbesitzfußball oder Konterfußball, Schiedsrichterentscheidungen | |
oder den Videobeweis. Das sind Gräben, die in den meisten Fällen zumindest | |
notdürftig überbrückt werden können. Die Kluft, die sich da am vorigen | |
Samstag so vernehmbar auftat, gilt indes als unüberwindbar. | |
Auf der einen Seite stehen die Vereine und Verbände, welche die | |
Eventisierung und Kommerzialisierung des Sports vorantreiben, auf der | |
anderen Seite die Fans, zu deren Sprachrohr sich die Ultras aufgeschwungen | |
haben. Ihrem Selbstverständnis nach sind sie die Bewahrer der | |
Fußballkultur. Was sie da beschützen, weiß keiner so genau. Fußballkultur | |
ist auch deshalb zu einem mythischen Kampfbegriff geworden, weil jeder | |
seine eigenen Vorstellungen hineinmengen kann. Annäherungen an den Begriff | |
erfolgen meist ex negativo. | |
Das führt dazu, dass die plakativen Parolen der Ultras auch für weite Teile | |
des Publikums – wie man das auch beim jüngsten Pokalfinale beobachten | |
konnte – anschlussfähig geworden sind. Aus Sicht der Ultras und ihrer | |
folgsamen Unterstützer personifizierte in Berlin Schlagersängerin Helene | |
Fischer, die die Halbzeitpause zur Bühne für ihren Showact nutzte, den | |
Kommerz, das Fußballferne, das nicht Dazugehörige. Auch deshalb hoben die | |
Dortmunder Fans ein Transparent mit der Aufschrift „Krieg dem DFB“ in die | |
Höhe. | |
## Die Bigotterie dröhnte nur so in den Ohren | |
Der Grenzverlauf der Fronten ist aber bei Weitem nicht so eindeutig, wie es | |
scheint. Denn auf fußballferne Selbstinszenierungen verstehen sich die | |
Ultras ebenso gut wie Helene Fischer. Sie geben auf den Tribünen den Takt | |
vor, weshalb selbst spektakulärste Aktionen auf dem Spielfeld kaum Einfluss | |
auf ihre monotonen Gesänge haben. In der Hierarchie steht der am höchsten, | |
der mit dem Rücken zum Rasen steht – der Capo und Dirigent der Massen. Gern | |
versagen sie zur Durchsetzung ihrer Interessen ihrem Team auch mal die | |
Unterstützung. Und wehe, wenn sich andere Anhänger, gern auch als | |
„Eventfans“ denunziert, erdreisten, den Boykott zu sabotieren, nur weil sie | |
unbedingt das Spiel sehen wollen. Dann wird notfalls mit Gewalt wieder für | |
Ordnung gesorgt. | |
Denn die Ultras bestimmen jeweils vor Ort, wer zu den echten Fans zählt und | |
wer nicht. Während die Ultras auf den Tribünen versuchen, Stimmenvielfalt | |
und Pluralismus schon im Keim zu ersticken, fordern sie vom DFB, der | |
Deutschen Fußball-Liga und ihren Vereinen mehr Mitbestimmungsrechte ein. | |
Von den schönen Bildern der vollen Stadien und den aufwendigen Choreos, so | |
wird das Begehren nach mehr Partizipation häufig begründet, würden auch die | |
Vereine und Verbände profitieren. | |
Diese durchaus stichhaltige Argumentation legt die Scheinheiligkeit der | |
Ultras offen. Sie sind nämlich längst Teil des großen Geschäfts und halten | |
es mit am Laufen. Vor dem Finale skandieren die Dortmunder Fans gemeinsam | |
„Scheiß DFB“, nach dem Finale wird gesungen: „Wir holen den DFB-Pokal und | |
werden deutscher Meister.“ Die Bigotterie dröhnte nur so in den Ohren. | |
Während der Pausen-Gig von Fischer niedergepfiffen wurde, stimmten die | |
Frankfurter und Dortmunder Fans vor der Partie willig in die von der | |
DFB-Stadionregie eingespielten Vereinslieder ein. Auch im landesweiten | |
Kampf gegen das verhasste Kommerzprodukt RB Leipzig kann man mitunter in | |
den Stadien den Eindruck bekommen, die anderen Klubs in der Liga seien wie | |
alternative Kommunen organisiert, in denen man dem Gewinnstreben | |
abgeschworen hätte. | |
Würden die Ultras ihre Kritik am Kommerz ernst nehmen, müssten sie sich dem | |
Amateurfußball zuwenden. Es gibt nicht den guten und bösen Kommerz. In | |
dieser irrationalen Debatte stößt man auf reichlich Heuchelei und | |
Selbstbetrug. Den Vereinen und Verbänden wiederum fehlt es an Sensibilität, | |
was zu seltsamen Einfällen führt. Bei Bayern München etwa beauftragte man | |
eine Eventagentur, am letzten Spieltag zum Abschied von Philipp Lahm eine | |
Choreo im Block der Hardcorefans zu organisieren. | |
## Was ist eigentlich mit denen, die nur das Spiel sehen wollen? | |
Dieses Beispiel veranschaulicht sehr plastisch, dass die Geschäftsfelder, | |
auf denen sich die Ultras und die Eventmanager der Vereine und Verbände | |
bewegen, gar nicht so unterschiedlich sind. Auch die Ultras sind im | |
weitesten Sinne Eventmanager. Die Bilder, die sie erzeugen, der Sound, den | |
sie produzieren, werten das Produkt Bundesliga auf. | |
Gewiss, den Hardcorefans geht es nicht ums schnöde Geld und Profite. Was | |
sie aber mit den Fußballunternehmern verbindet, ist eine andere Währung. | |
Beide Seiten streben nach Aufmerksamkeit. Daraus generieren sie ihren | |
Bedeutungszuwachs, und daraus ergeben sich mehr verbindende Ebenen, als | |
beiden Seiten recht sein mag. Die unangenehmste Gemeinsamkeit ist der | |
monopolistische Gestaltungsanspruch, der sich aus Geld- und Geltungsdrang | |
speist und sich um die Interessen der anderen einen Dreck schert. | |
Dass jüngst der Capo der Deutschen Fußball-Liga, Geschäftsführer Christian | |
Seifert, im Ultra-Sprech die Anhänger mit ihren derben Schmähplakaten als | |
Totengräber der Fankultur beschimpfte, zeigte ein weiteres Mal, wie nah | |
sich die verfeindeten Lager mitunter im Kampf um die Deutungshoheit kommen. | |
Es geht um nichts weniger als Krieg und Tod. Das Pokalfinale in Berlin hat | |
eindrücklich gezeigt, wie wenig Raum es noch für Zwischentöne gibt. Was war | |
da eigentlich mit den Zuschauern, die lediglich das Fußballspiel sehen | |
wollten? Die weder Lust auf die Inszenierung von Helene Fischer noch auf | |
die Inszenierung der Ultras hatten? Die sich an den tausendfach verteilten | |
Fahnen im Frankfurter Block störten, weil ihnen damit der Blick auf den | |
Rasen verstellt war? Sie hatten keine Stimme, die zu hören gewesen wäre. | |
2 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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